Im Gastblog schildert Hansjörg Rabanser das Leben und Wirken einer in Vergessenheit geratenen Künstlerin des 19. Jahrhunderts.

In einschlägigen Publikationen zum Vorarlberger Kunstschaffen scheint der Namen Regina Nesensohn äußerst selten auf. Erst 2021 wurde die sehr früh verstorbene Porträtmalerin im Rahmen eines Festvortrags des Vorarlberger Museumsvereins gewürdigt und ihre Biografie einer breiteren Öffentlichkeit nahegebracht.

Frühe Jugend und erste künstlerische Pläne

Aus der Ehe des aus Götzis kommenden Kornhändlers und Bäckers Anton Nesensohn (1759 bis 1817) und der Katharina Nasal (1781 bis 1849) aus Feldkirch entstammten elf Kinder, von denen die meisten jedoch früh verstarben. Die Drittgeborene wurde am 6. Jänner 1802 auf den Namen Maria Regina Katharina getauft. Ihre Jugend war von der bayerischen Besatzungszeit, der 1816/17 herrschenden Hungersnot sowie Teuerungswelle und letztendlich auch vom frühen Unfalltod des Vaters überschattet. Unter diesen Umständen – die Familie lebte in zunehmend ärmlichen Verhältnissen – war die Mutter wenig erfreut, als die Tochter den Wunsch äußerte, die unsichere Laufbahn einer Künstlerin einzuschlagen.

Wie Reginas Talent entdeckt wurde, ist nicht überliefert, erste künstlerische Erfahrungen sammelte sie in Feldkirch. Bei wem, ist nicht bekannt, doch käme dafür die Feldkircher Künstlerfamilie Bobleter infrage. Regina Nesensohn wollte jedoch mehr und strebte nach einer gediegeneren Ausbildung in Wien, zu der ihr schließlich die Mutter die Einwilligung gab.

Wiener Jahre

Stammten dilettierende Künstlerinnen ursprünglich meist aus adeligen und großbürgerlichen Kreisen, so nahm seit dem 18. Jahrhundert die Zahl an jungen Talenten aus der Mittel- und Unterschicht deutlich zu. Allerdings entstanden Kunst- und Kunstgewerbeschulen für Frauen vorwiegend erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sodass sich Letztere zuvor an privat geführte Kunstschulen oder an Privatlehrer wenden mussten. Ein kostspieliger Umstand, den auch Regina Nesensohn zu spüren bekam, nachdem sie im Sommer 1826 nach Wien gezogen war. Da sie in keinen Archivunterlagen der damals bekannten Institutionen und Akademien aufzufinden ist, muss angenommen werden, dass sie Privatunterricht erhielt, wobei der Name eines Ausbildners überliefert ist: Professor "Ros". Es darf spekuliert werden, ob damit nicht der bekannte Historienmaler Karl Russ gemeint sein könnte.

Bereits nach dem ersten Halbjahr befand sich Nesensohn in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten, weshalb ihre Mutter beim Feldkircher Stadtmagistrat vorstellig wurde, fünf Arbeiten ihrer Tochter als Beweis für deren Können vorlegte und um eine Unterstützung für diese bat. Das Bittgesuch wurde an das k. k. Land- und Kriminalgericht Feldkirch beziehungsweise an das Kreisamt Bregenz weitergereicht, wobei die Behörden eine einmalige Zahlung aus diversen Armenfonds der Stadt Feldkirch als zulässig erachteten und auch ins Auge fassten. Die Letztentscheidung lag jedoch beim k. k. Gubernium in Innsbruck, das sich im Jänner 1827 aber gegen eine Förderung aussprach. Auch das 1823 begründete Tiroler Nationalmuseum Ferdinandeum, welches junge Talente mit Stipendien für deren Ausbildung unterstützte, versagte der Künstlerin einen Zuschuss.

Schreiben des Tiroler Guberniums an den Vorstand des Tirolischen Nationalmuseums, 1827.
Foto: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck

Wenngleich Nesensohn eine finanzielle Zuwendung vorenthalten wurde, so muss sie dennoch ihre Ausbildung abgeschlossen haben und als Porträtmalerin tätig gewesen sein, denn in den Totenbüchern wird sie dezidiert als solche betitelt. Ob sie von ihrer künstlerischen Arbeit leben konnte oder sich auch anderweitigen Erwerbstätigkeiten zuwenden musste, bleibt ungewiss, denn weiterführende Informationen zu ihrem Leben und Wirken in Wien konnten bisher nicht ausfindig gemacht werden.

Die künstlerischen Arbeiten

Regina Nesensohn widmete sich vornehmlich dem Miniaturporträt, einem Sujet, das bei Künstlerinnen der Biedermeierzeit neben Landschafts- und Blumenmalereien besonders beliebt war. Sie malte mit gekreuzten Pinselstrichen, die einen pointilistischen, leicht verwischten Effekt erzielten. Damit kann ihrem Stil eine gewisse Nähe zu den Arbeiten des französischen Porträt- und Miniaturmalers Jean Baptiste Isabey und dessen Schülers Rodolphe Bell attestiert werden.

Bildnis eines Mannes, 1829.
Foto: Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien

Eine eingehende Untersuchung ihrer Werke gestaltet sich als äußerst schwierig, da nur wenige Arbeiten erhalten und meist nur über die Literatur fassbar sind. So fehlt heute jede Spur des Bildnisses einer Dame mit Schleier, das 1923 bei einer Kunstauktion in Wien sowie 1924 im Rahmen einer Ausstellung in der Albertina präsentiert worden war. Eine weitere Porträtminiatur einer Dame wurde 2013 auf der Kunstmarkt-Internetplattform Artprice angeboten. Die bisher einzige bekannte, in einer österreichischen Sammlung überlieferte Arbeit Nesensohns befindet sich in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien: Das "Bildnis eines Mannes", ein Aquarell auf Elfenbein im Oval-Format, ist mit "R. Nesensohn." signiert und mit 1829 datiert.

Letzte Jahre

Nesensohn blieb ledig und wohnte unmittelbar vor ihrem Tod an der Adresse Hernals Nr. 72. Unweit davon fand das kurze Leben der Künstlerin auch sein Ende, denn das Sterbebuch des Allgemeinen Krankenhauses am Alsergrund vermerkt am 4. Jänner 1840 ihren Tod. Als Ursache ist "Nervenfieber" (Typhus) angegeben. Die Verstorbene fand ihre letzte Ruhestätte auf dem Friedhof der benachbarten Gebäranstalt. Regina Nesensohn ist in der Folge wohl äußerst rasch in Vergessenheit geraten – in Wien wie auch in ihrer Heimat Vorarlberg. (Hansjörg Rabanser, 18.1.2023)