Wer sich vegan ernähren möchte, sollte tierische Produkte nicht einfach nur weglassen, sondern adäquat ersetzen.

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Es ist nun wirklich nichts Neues, und viele kennen das vielleicht von sich selbst: Jahr für Jahr nehmen sich Österreicherinnen und Österreicher zu Silvester vor, sich im neuen Jahr gesünder zu ernähren. Seit Jahren rangiert das Vorhaben unangefochten auf Platz eins der Neujahrsvorsätze, zeigen Umfragen.

Am vergangenen Weltvegantag stellte sich unser Videoteam die Frage: "Wie vegan is(s)t Österreich?".
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Manche starten im Zuge dessen mit dem "Veganuary" (aus dem Englischen von "veganism" und "january") in das neue Jahr und verzichten einen Monat lang auf Fleisch, Fisch, Milch, Eier, Käse und Co. Die einmonatige Challenge wurde in Großbritannien von der gleichnamigen gemeinnützigen Organisation ins Leben gerufen. Jane Land und Matthew Glover, die die Initiative gestartet haben, wollen damit für die Vorteile des Veganismus werben. Und das scheint zu funktionieren: Seit dem Beginn der Challenge im Jahr 2014 hat sich die Zahl jener, die mitmachen, jedes Jahr mehr als verdoppelt.

Und auch die Zahl jener, die sich längerfristig pflanzenbasiert ernähren, steigt. In Österreich ernähren sich etwa vier Prozent vegetarisch und zwischen ein und zwei Prozent vegan. Vor allem junge Menschen essen immer häufiger fleischlos oder vegan. Mehr als zwei Drittel von ihnen lehnen die Fleischindustrie ab. Die jüngere Generation ernährt sich doppelt so oft vegetarisch und vegan wie der Durchschnitt der gesamten Bevölkerung.

Effekte von Veganuary überschaubar

Ganz besonders präsent ist das Thema auch hierzulande zum Jahresbeginn. Pünktlich zum Veganuary werben Lieferdienste mit veganen Aktionswochen, das Sortiment in Supermarktregalen mit pflanzlichen Ersatzprodukten scheint im Jänner besonders schnell zu wachsen. Aber ist eine einmonatige Ernährungsumstellung überhaupt sinnvoll? Ist das gesund? Und was passiert dabei im Körper?

Die kurze Antwort: "In einem Monat wird nicht viel passieren, außer dass man vielleicht ein wenig abnimmt", sagt Ernährungsmediziner Cem Ekmekcioglu von der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin der Med-Uni Wien. Das liegt daran, dass die tägliche Kalorienzufuhr bei veganer Ernährung tendenziell geringer ist als bei omnivorer Kost. In tierischer Nahrung sind mehr gesättigte Fette, wohingegen Obst und Gemüse – von dem viele wohl während eines veganen Monats mehr essen würden – eine geringere Energiedichte haben.

Außerdem werden über vegane Lebensmittel sehr viele Ballaststoffe aufgenommen, die das Sättigungsgefühl verbessern und den Blutzuckerspiegel positiv beeinflussen. "Durch einen hohen Gehalt an Ballaststoffen wird der Zucker aus dem Darm langsamer aufgenommen. Es wird also Insulin eingespart", erklärt der Ernährungsmediziner.

Nicht weglassen, sondern ersetzen

Aber all diese möglichen Effekte müssen in einem breiteren Kontext betrachtet werden. Zahlreiche große Studien zeigen, dass Menschen, die sich vegan ernähren, generell gesundheitsbewusster leben. Sie bewegen sich mehr, rauchen weniger und trinken seltener Alkohol. Das geht aus langfristigen Beobachtungen hervor.

Beim Veganuary passiert eine Ernährungsumstellung aber oft von heute auf morgen. Dabei sollte man unbedingt planen und sich vorab informieren, rät Christina Dengg. Sie ist Ernährungswissenschafterin und -beraterin mit Schwerpunkt auf vegane Ernährung und weiß: Eine Ernährungsumstellung ist nicht einfach.

Vegan? Das könnte ich nicht!, denken wohl viele. Zu aufwendig scheint das Auseinandersetzen mit der Ernährungsweise, zu kompliziert die Gerichte. Was kommt morgens statt Kuhmilch ins Müsli? Was ersetzt den Käse im mittäglichen Sandwich, und was kommt abends statt Wurst oder Fleischgericht am besten auf den Teller? Mandeljogurt mit Granola, Kartoffelgerichte, Kichererbsen-Currys oder Reispfannen mit Tofu – was für versierte Veganerinnen und Veganer ein ganz normaler Speiseplan ist, ist für viele andere kulinarisches Neuland.

"Vegane Ernährung braucht Vorbereitung", sagt Ernährungswissenschafterin Dengg. Das betrifft auch die Frage, ob man dabei ausreichend mit Nährstoffen versorgt wird. Denn bei veganer Kost ist die Sorge, ob man auch wirklich genügend Kalzium, Eisen oder Zink zu sich nimmt, oft besonders groß – bei einem selbst oder im Umfeld.

Man sollte sich ohnehin immer – unabhängig davon, welche Ernährungsform man lebt – damit auseinandersetzen, ob man optimal mit allen notwendigen Nährstoffen versorgt ist. Für vegan Lebende gibt es jedoch eine wichtige Regel, betont Dengg: "Lebensmittel nicht nur weglassen, sondern ersetzen." Fleisch etwa sollte nicht ersatzlos gestrichen werden, sondern beispielsweise durch ein Mehr an Hülsenfrüchten ersetzt werden.

Eine gute Alternative sind hin und wieder auch vegane Fleischersatzpodukte – auch wenn sie nicht den besten Ruf genießen. Schnitzel aus Soja oder Burgerpattys auf Erbsenbasis werden viel diskutiert, auch in der Wissenschaft. Die Nährstoffe aus solchen Produkten können vom Körper nicht so gut aufgenommen werden, zeigte unlängst ein schwedisches Forschungsteam. Wie gesund kann das also sein?

Essen ist mehr als nur Nährstoffaufnahme

Die Aufregung rund um vegane Fleischalternativen ist definitiv viel größer als angebracht, findet die Ernährungswissenschafterin. Es gebe natürlich qualitative Unterschiede. Aber viele Fleischersatzprodukte am Markt sind tadellos, man kann sie gerne auch regelmäßig verzehren. Gleichzeitig stellt Dengg klar: "Ein veganes Produkt ist nicht immer automatisch ein gesundes Produkt." Genauso wie fleischlastiges Fastfood nicht gesund ist, sei es veganes eben auch nicht. Muss es aber auch nicht sein, sagt Dengg: "Als Ernährungsberaterin sage ich auch ganz klar, man muss sich nicht immer hundertprozentig gesund ernähren." Ernährung habe nämlich viel mehr Funktionen als bloße Nährstoffzufuhr, "Essen soll auch Spaß machen." Sie rät deshalb zu Abwechslung: "Es muss nicht jeden Tag der Fleischersatz sein. Man kann auch mal zu Linsen, dann wieder zu Bohnen und ein anderes Mal zu Tofu oder Tempeh greifen."

Kann man trotz abwechslungsreicher Ernährung von manchen Nährstoffen nicht genügend aufnehmen, sollte man sie möglicherweise supplementieren. Bei veganer Ernährung gibt es ein paar Nährstoffe (mehr dazu unten in der Infobox), bei denen die Versorgung kritisch oder potenziell kritisch werden kann, wie die Ernährungsberaterin sagt. Manche stehen Supplementen kritisch gegenüber, dabei sei das nichts Schlimmes, stellt Ernährungswissenschafterin Dengg klar. Es spricht nichts gegen eine gezielte und geplante Supplementierung, im Gegenteil. "Bei omnivorer Ernährung wird auch sehr oft supplementiert, nur passiert das schon bei den Tieren", betont sie. Und wenn man nur den Jänner über auf vegan umstellt, könne man Supplementierungen auch getrost ignorieren, ergänzt Ernährungsmediziner Ekmekcioglu: "In einem Monat wird man sicherlich keine Mangelerscheinungen bekommen."

Dass Veganerinnen und Veganer nicht den Anspruch haben, sich rund um die Uhr perfekt gesund zu ernähren, zeigen auch zahlreiche Umfragen. Die meisten Menschen, die sich für eine vegane Ernährungsweise entscheiden, machen das vielmehr aus ethischen statt aus gesundheitlichen Gründen. Klimaschutz und Tierwohl sind häufig die wichtigeren Faktoren. Immerhin soll eine vegane Ernährungsweise rund 40 Prozent weniger CO2-Emissionen produzieren als fleischlastige Kost. Ein beträchtlicher Teil der Treibhausgase wird von der Viehzucht verursacht, drei Viertel der landwirtschaftlichen Fläche Österreichs wird für die Produktion von Fleisch- und Milchprodukten verwendet.

Die meisten Menschen, die sich für eine vegane Ernährung entscheiden, machen das, um Klima und Tiere zu schützen.
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Positive Effekte bei Diabetes und Adipositas wahrscheinlich

Ist die vegane Ernährungsform allerdings ausgewogen, gut geplant und abwechslungsreich, kann sie sich durchaus positiv auf die Gesundheit auswirken. Etwa auf den Cholesterinspiegel, sagt Ernährungsmediziner Ekmekcioglu. Möglicherweise könnte eine vegane Ernährungsweise auch leicht blutdrucksenkend wirken, wie Metastudien nahelegen.

"Bei veganer Ernährung ist die Wahrscheinlichkeit für Typ-2-Diabetes geringer, das haben große Kohorten-Studien gezeigt", berichtet Ekmekcioglu weiter. Das kann mit dem im Schnitt geringeren Körpergewicht von vegan lebenden Menschen im Vergleich zu Omnivoren zusammenhängen, denn davon hängt die Insulinresistenz vor allem ab. "Betroffene von Typ-2-Diabetes sollten mehr Ballaststoffe zu sich nehmen, abnehmen und sich körperlich betätigen", erklärt er.

Bei Adipositas-Betroffenen ist es ähnlich. Es soll weniger Energie zugeführt als verbraucht werden, die gesättigten Fettsäuren sollen reduziert werden. Dass das mit veganer Ernährung besonders gut gelingen kann, liegt in der Natur der Sache. Es gibt keine Therapieempfehlung, dass sich Menschen mit einem der beiden Krankheitsbilder vegan ernähren soll, stellt Ekmekcioglu klar, aber: "Wenn so jemand zu mir kommt und sich vegan ernähren will, werde ich nichts dagegen haben, und die Person wird sehr wahrscheinlich davon profitieren."

Wie sich eine Ernährungsumstellung auf Menschen ohne Vorerkrankung auswirkt, lässt sich pauschal kaum sagen. Das hängt maßgeblich davon ab, wie man sich davor ernährt hat: Stellt ein Fleischtiger auf vegan um, oder hat man ohnehin schon wenige tierische Produkte gegessen? Stellt man auf möglichst gesundes veganes Essen um, oder setzt man fast täglich auf rasche vegane Fertigprodukte?

Fitteres Gefühl, besserer Schlaf

Umfragen zeigen, dass sich viele nach einer Umstellung auf vegane Ernährung fitter fühlen, besser schlafen, etwas abnehmen und sich das Hautbild verbessert. "Sehr oft profitiert auch die Verdauung, weil man mehr Ballaststoffe zu sich nimmt", berichtet Dengg. Trotzdem könne man nicht sagen, dass eine Ernährungsform gesünder sei als eine andere. "Man kann sich sowohl vegan als auch omnivor gesund ernähren", stellt sie klar. Jemand, der hin und wieder Lachs oder ein Ei isst, sei nicht automatisch gesünder oder ungesünder als eine gänzlich vegan lebende Person. Dazu kommt, dass die Gesundheit von sehr viel mehr Faktoren abhängt als bloß von dem, was wir zu uns nehmen: "Man kann eine Veganerin, die sich ausgewogen ernährt, adäquat supplementiert, viel Sport macht und auf die mentale Gesundheit achtet, nicht mit einem Omnivoren vergleichen, der jeden Tag Fleisch isst, keinen Sport macht und regelmäßig raucht", sagt Dengg.

Dementsprechend wird auch eine einmonatige Ernährungsumstellung keine allzu großen Effekte haben, wenn sonst alles beim Alten bleibt. Aber – und auch das zeigen die Zahlen – für viele ist ein veganer Jänner ohnehin nur der Start für eine längerfristige Umstellung des Lebensstils, die dann freilich auch mit größeren Effekten einhergeht. Aber ganz egal, ob es der Beginn von etwas Größerem ist oder beim Experiment bleibt, Ernährungsmediziner Ekmekcioglu ist überzeugt: "Gegen ein veganes Monat spricht jedenfalls absolut nichts." (Magdalena Pötsch, 14.1.2023)