Im Community-Artikel kritisiert Lektor und Experte für Finanzwirtschaft Mario Hübler die aktuellen Entwicklungen in der Wirtschaftspolitik.

Seit Beginn der Covid-Pandemie wurden umfangreiche Hilfs- und Unterstützungspakete für Unternehmen aufgelegt. Gleichzeitig sind die größten Privatvermögen, die zum Großteil aus Unternehmensanteilen bestehen, auf ein historisches Rekordniveau angewachsen. Unter dem Schlagwort der "Wettbewerbsfähigkeit" gewinnt die Umverteilung nach oben nun weiter an Dynamik.

Unternehmenshilfen trotz Rekordgewinnen

Bereits im Rahmen des ersten Energiekostenzuschusses wurden 1,3 Milliarden Euro Zuschüsse für Unternehmen fixiert. Zuletzt wurde ein weiterer Energiekostenzuschuss bis Ende 2023 beschlossen, der einen noch höheren Anteil der Energiekosten der Unternehmen abdeckt, und auch die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme werden gelockert. Rund fünf bis neun Milliarden Euro sind dafür vorgesehen. Dabei handelt es sich bei den Energiekostenzuschüssen nur um eine der zahlreichen Unterstützungsleistungen für Unternehmen der letzten Jahre, die sich auf über 14 Milliarden Euro summieren – exklusive der ebenso milliardenschweren Garantien sowie Maßnahmen wie Kurzarbeit.

Um diese Zahlen einordnen zu können: Die Beseitigung von dauerhafter Armut in Österreich würde laut aktuellen Schätzungen der beiden Ökonomen Markus Marterbauer und Martin Schürz rund zwei Milliarden Euro pro Jahr erfordern. Die Kosten der vieldiskutierten Mindestsicherung belaufen sich auf etwa 900 Millionen Euro jährlich. Doch während vor dem Erhalt von Mindestsicherung das Privatvermögen auf einen kleinen Rest aufgebraucht werden muss, zeigt sich an der Spitze der umgekehrte Mechanismus: Dort vergrößerten sich die Vermögen der Reichsten seit Ausbruch der Pandemie in atemberaubendem Tempo, während viele von deren Unternehmen umfangreiche Staatshilfen erhielten. Die meisten dieser Hilfen wurden nicht einmal an Ausschüttungsverbote geknüpft. Auf der einen Seite fließen Hilfsgelder in die Unternehmen, auf der anderen Seite erzielen diese Rekordgewinne und können historisch hohe Dividenden ausschütten.

Durch die aktuelle Wirtschaftspolitik wird die Ungleichheit noch weiter verschärft.
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Schon im Jahr 2021 erzielten allein die 20 aktuell im österreichischen Leitindex ATX gelisteten Unternehmen einen historischen Rekordgewinn von rund 10,2 Milliarden Euro. Diese historische Zehn-Milliarden-Grenze erreichten die ATX-Konzerne im Jahr 2022 bereits im ersten Halbjahr und konnten den Gewinn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum damit um fast 80 Prozent steigern. Die Kombination aus Rekordgewinnen, Rekorddividenden und milliardenschweren Staatshilfen bei gleichzeitiger Senkung der Körperschaftssteuer sollte misstrauisch stimmen.

Das Streben nach Wettbewerbsfähigkeit

Im Rahmen der Trickle-down-Theorie, die Ende des vergangenen Jahrhunderts ihren wirtschaftspolitischen Höhepunkt erlebte, wurde versprochen, dass alle davon profitieren würden, würde man die Steuern für Unternehmen, hohe Einkommen und Vermögen radikal senken. Der Wohlstand würde dann nur so von oben herabtröpfeln. Empirisch betrachtet gilt die Trickle-down-Theorie nicht nur als widerlegt, vielmehr führten die Steuersenkungen an der Spitze zu gegenteiligen Effekten.

Im aktuellen Diskurs scheint die Senkung von Steuern – wie zuletzt jene der Körperschaftssteuer auf ein neues Allzeittief – nicht mehr ausreichend. Nunmehr muss der Staat aktiv Geld in die Unternehmen pumpen, anderenfalls würde die Wettbewerbsfähigkeit leiden. Der französische Ökonom Thomas Piketty befürchtete mit Blick auf das destruktive Steuerdumping bereits vor einigen Jahren, dass die Unternehmenssteuern in Zukunft negativ werden und "sich sogar in Subventionen verwandeln" könnten. Wer dies damals noch belächelte, muss jetzt feststellen: Es ist so weit.

Während die klassische Trickle-down-Theorie auf dem Versprechen beruhte, dass alle von den Steuersenkungen an der Spitze profitieren würden, besteht nun die Drohkulisse, dass es allen schlechter gehen wird, wenn das Steuergeld (das in Österreich zum Großteil aus Arbeit stammt) nicht in immer größerem Ausmaß in die Unternehmen fließt. Das Versprechen vom wachsenden Wohlstand durch geringere Steuern an der Spitze wurde zur Drohung mit sinkendem Wohlstand bei ausbleibenden Subventionen und Zuschüssen für die Unternehmen – und die Apologeten des freien Marktes fordern im Namen der Wettbewerbsfähigkeit immer höhere staatliche Zuwendungen. Es handelt sich um eine neue Variante der Trickle-down-Theorie, die auf einer aktiven Umverteilung nach oben basiert.

Mitten im "Prekariatskapitalismus"

Die Politologin Albena Azmanova schlägt vor, unser aktuelles Wirtschaftssystem nicht mehr als "neoliberalen Kapitalismus", sondern als "Prekariatskapitalismus" zu bezeichnen, da die grundlegenden Prämissen nahezu spiegelverkehrt sind: Während im "neoliberalen Kapitalismus" das Dogma von schlanken Staaten und wenig Interventionismus herrschte, zeichnet sich der aktuelle "Prekariatskapitalismus" durch einen aktiven und interventionistischen Staat aus, der jedoch nicht wie in den Nachkriegsjahrzehnten von oben nach unten, sondern aktiv nach oben umverteilt – die immer schiefer werdende Vermögensverteilung liefert davon eindrucksvoll Zeugnis ab.

Es reicht, so Azmanova, im aktuellen Narrativ nicht mehr aus, dass sich der Staat möglichst wenig in die Wirtschaft einmischt, er muss nun aktiv und zugunsten der mächtigsten Wirtschaftsakteure eingreifen. Während der "neoliberale Kapitalismus" den Wettbewerb in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik stellte, geht es nun um Wettbewerbsfähigkeit, was mit einem aktiven Eingreifen des Staates zugunsten bestimmter Unternehmen oder ganzer Staaten einhergeht und damit eine Einschränkung des Wettbewerbs für die begünstigten Unternehmen bedeutet.

Wettbewerbsfähigkeit als alternativloses Nullsummenspiel?

Das Dogma der Wettbewerbsfähigkeit wird wie bei der klassischen Trickle-down-Theorie stets unter dem Motto gerechtfertigt: "Es bleibt uns ja nichts anderes übrig – es gibt keine Alternative!" Dabei stellt das Streben nach Wettbewerbsfähigkeit ein Nullsummenspiel dar, bei dem die steigende Wettbewerbsfähigkeit der einen zwangsläufig die Wettbewerbsfähigkeit aller anderen reduziert. Da Wettbewerbsfähigkeit immer relativ zu anderen Unternehmen oder Staaten zu sehen ist, können nicht alle gleichzeitig wettbewerbsfähiger werden. Genau wie beim destruktiven Steuerwettbewerb der letzten Jahrzehnte droht ein Unterbietungs- beziehungsweise im Fall der Subventionen ein Überbietungswettbewerb, der einige wenige auf Kosten des Großteils der Gesellschaft reicher macht.

Aktuell findet unter dem Schlagwort der Wettbewerbsfähigkeit eine Umverteilung nach oben statt, die historisch betrachtet einmalig ist: Während frühere Krisen dazu führten, dass der Sozialstaat ausgebaut und ein gesellschaftlicher Ausgleich gesucht wurde (so in den Nachkriegsjahrzehnten), sieht sich der Sozialstaat aktuell immer häufigeren Attacken ausgesetzt, die Gesellschaft driftet zusehends auseinander, und die Vermögensungleichheit nimmt ein immer abstrakteres Ausmaß an. Doch all das scheint sekundär, wenn es "uns" nur wettbewerbsfähiger macht. Angesichts des Ausmaßes dieser Umverteilung an die Spitze sowie der Tatsache, dass dringend notwendige Gelder für Bildung, Gesundheit und Pflege offensichtlich fehlen, überrascht es, dass die öffentliche Debatte nicht kontroverser geführt wird. (Mario Hübler, 19.1.2023)