Im Gastblog zeigen die Forscherinnen Konstantina Saliari und Karina Grömer die vielfältigen Gründe, warum Schafe vor tausenden Jahren gehalten wurden.

Welche Materialien finden wir vor, wenn wir tagtäglich den Kleiderschrank öffnen, um das herauszufischen, was wir an diesem Tag tragen wollen? In Zeiten von rund 70 Prozent Anteil von Chemiefasern wie Polyester, Polyamid und Cellulose an der Textilproduktion ist die in früheren Zeiten enorme Bedeutung der tierischen Wolle für die Bekleidung von den meisten kaum noch abzuschätzen. Das Wissen darüber erweitert nicht nur unsere historische Basis, sondern ist gerade jetzt, wo die Problematik von Mikroplastik und die Bedeutung von erneuerbaren Rohstoffen immer wichtiger werden, aktueller denn je.

Schafe zählen zu den ältesten Haustieren und bieten zusätzlich zur Wolle auch Fleisch und nahrhafte Milchprodukte. Während Knochenfunde von Schafen vergleichsweise häufig sind, sind Wollreste oder Wolltextilien nur in Ausnahmefällen erhalten.

Wissenschaft von Mensch-Tier-Beziehungen

Archäozoologische Analysen beinhalten nicht nur die Bestimmung von Skelettelementen und Tierarten, sondern auch die Bestimmung des Geschlechtes und des Schlachtalters sowie die Dokumentation von Zerlegungsspuren und pathologischen Erscheinungen an den Knochen. All diese Daten können Hinweise für die Rekonstruktion der Lebensumstände und Nutzung der Tiere geben. Konstantina Saliari stellt außerdem fest: "Generell ist die archäozoologische Unterscheidung zwischen Schaf- und Ziegenknochen wegen ihrer großen Ähnlichkeit oft nicht möglich, weshalb diese in diesen Fällen nur als 'Schaf/Ziege' bestimmt werden können. Schafe und Ziegen werden häufig als die kleinen Hauswiederkäuer zusammengefasst."

Die Schafe und wir – seit der Jungsteinzeit

Die ersten Schafe und Ziegen tauchen im heutigen Österreich vor mehr als 7.000 Jahren, im frühesten Neolithikum (Jungsteinzeit), als sehr frühe Haustiere auf, gemeinsam mit domestizierten Rindern, Schweinen und Hunden. Die meisten dieser Haustiere verbreiteten sich mit der Neolithisierung wahrscheinlich über Anatolien nach Griechenland und von dort weiter über den Balkan und den Mittelmeerraum.

Schafe aus der Jungsteinzeit und der Eisenzeit.
Foto: E. Pucher, Naturhistorisches Museum Wien

Die osteologischen Befunde erzählen von der spannenden, aber auch abenteuerlichen Frühphase der Schafhaltung in Mitteleuropa – eigentlich stand ihre Existenz auf Messers Schneide; aber alles der Reihe nach.

Das Hausschaf (zusammen mit der Hausziege) war bei seiner Ankunft in Mitteleuropa im frühen Neolithikum um 5500 vor Christus eines der bevorzugten Haustiere mit einem Anteil von oft mehr als 40 Prozent unter den Wirtschaftstieren. Diese Häufigkeit erklärt sich aus der nahöstlichen Herkunft der neolithischen Haustierwirtschaft.

Hornzapfen von Schafen aus dem Neolithikum bis zur Römerzeit.
Foto: Grömer & Saliari 2018

Aber schon im mittleren Neolithikum um circa 4800 vor Christus sinkt ihr Anteil in Europa dramatisch. Als Hauptursache für diese Abnahme wird oft ökologischer Druck angenommen. Hausschafe stammen wahrscheinlich vom Armenischen Mufflon ab, während sich die Hausziegen von der Bezoarziege herleiten lassen. Beide Wildformen haben in Europa nicht existiert und fanden sich ursprünglich in semiariden Gebieten, in denen sich die Umweltbedingungen, zum Beispiel Temperatur, Niederschlag und Nahrungsbedingungen, deutlich von jenen in Mitteleuropa unterscheiden. Im archäozoologischen Fundgut kann man Nachweise dafür entdecken: Beispielsweise finden sich Gebissanomalien bei Schafunterkiefern aus österreichischen Fundstellen, die als Hinweis auf ungeeignete Weidebedingungen interpretiert wurden. Nach dem anfänglich sehr hohen Anteil der kleinen Hauswiederkäuer im frühen Neolithikum wurden sie schon ab dem Ende des Neolithikums durch das Rind als häufigstes Haustier abgelöst.

Schafhaltung für Milch, Fleisch oder Wolle?

Mithilfe archäozoologischer Daten konnte etwa gezeigt werden, dass die ersten Schafe (und Ziegen) hauptsächlich für ihr Fleisch gehalten wurden – ein Indikator ist das relativ junge Schlachtalter. Im heutigen Österreich findet man häufige archäozoologische Hinweise auf die systematische Sekundärnutzung der Schafe für ihre Wolle und Milch erst ab der Frühbronzezeit an der Wende vom dritten ins zweite Jahrtausend vor Christus. Beispielsweise ist die größere Häufigkeit von älteren weiblichen Schafen ein Hinweis auf Milchnutzung.

In der nachfolgenden Eisenzeit gibt es einige Fundstellen, in denen Schafe sehr häufig sind und in denen der Schwerpunkt der Nutzung nicht auf Fleisch und Milch, sondern auch auf Wolle liegt. Hinweise darauf sind die Häufigkeit von Schaf, hohes Schlachtalter und relativ ausgeglichene Geschlechtsverteilung. Ein Beispiel ist der späteisenzeitliche Zentralort von Roseldorf (Niederösterreich), der seit mehreren Jahren durch Archäologinnen und Archäologen vom Naturhistorischen Museum Wien untersucht wird. Neue Forschungen im früheisenzeitlichen Bergbaurevier Schwaz-Brixlegg (Tirol) zeigen aber auch, dass dort die kleinen Wiederkäuer und vor allem die Schafe weiterhin sehr wichtig für die Ernährung der Bergleute waren.

Archäologische Textilreste

Zu diesen interessanten Daten zur Nutzung von Schafen kommen nun noch die Überreste von Schafen in Form von Textilien aus Wolle dazu. Es ist bemerkenswert, dass es aus der Jungsteinzeit fast nur Textilien aus Pflanzenfasern gibt – obwohl die Wolle von Tieren doch eigentlich viel einfacher zu gewinnen und aufbereiten ist. Zum einen mag dies an den Erhaltungsbedingungen für Organik liegen (Schafwolle oder Leder erhält sich in den Pfahlbauten nicht) – zum anderen zeigen die archäozoologischen Analysen auch, dass offenbar in dieser frühen Zeit die Fleischnutzung wichtiger war. Wir kennen die frühesten Textilien aus Wolle in Zentraleuropa erst aus der Zeit um 2500 vor Christus. Erst in der Mitte der Bronzezeit um 1600 vor Christus sind Textilien aus Wolle häufiger als solche aus Pflanzenfasern.

Die Fasern von Textilien aus der Bronzezeit (um 1200 vor Christus) und Eisenzeit (um 700 vor Christus) unter dem Mikroskop. Salzbergwerk Hallstatt.
Foto: A. Rausch, Grafik: NHM Wien

Karina Grömer kann ausgehend vom derzeitigen Stand der Textilforschung festhalten: "Es ist interessant zu sehen, dass wir in den Textilien sogar die Züchtungserfolge der Schafe zwischen Bronzezeit zu Eisenzeit feststellen können – die Leute wollten immer feinere und qualitätsvollere Wolle haben, auch immer hellere, damit man Textilien auch färben konnte." Es gibt verschiedene Faserarten im Fellkleid eines Schafes: die groben Grannenhaare, die bei primitiven Schafrassen sehr lang und "borstig" sind, und die feine flauschige Unterwolle. Bronzezeitliche Textilien haben teilweise einen hohen Anteil der groben Grannenhaare, was dem entsprechenden Textil beim Anfassen ein sehr "pieksiges" Gefühl gibt.

Farbige und verzierte Textilien aus dem Salzbergwerk Hallstatt aus der Eisenzeit.
Foto: A. Rausch, Grafik: NHM Wien

In der Eisenzeit sind diese Grannenhaare fast nicht mehr in den Textilien zu finden, man hatte es also durch Zucht, aber auch durch sorgfältige Aufbereitung des Materials geschafft, unerwünschte Effekte zu eliminieren. Das Ergebnis sind hochqualitative Textilprodukte. Auch die Zucht in Richtung eines immer helleren beziehungsweise weißen Haarkleides ermöglichte dann erst die bunte, mit kräftigen Farben gefärbte Textilwelt in der Eisenzeit Mitteleuropas. Schafe lieferten also schon in der Urgeschichte einen wichtigen Beitrag zum ästhetischen Aussehen der Menschen. (Konstantina Saliari, Karina Grömer, 19.1.2023)