Nach den Erfahrungen mit Corona-Pandemie, Inflation und Krieg ist ein gut gefüllter Vorratsschrank vielen Menschen wichtiger geworden als finanzielle Altersvorsorge.

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In einer Zeit vielfacher Krisen zeigt sich: Das Hemd ist den meisten Menschen tatsächlich näher als die Hose. Trotz oder gerade wegen der hohen Inflation wird Privaten die Vorsorge für die eigene Zukunft zwar wichtiger – das Thema Nachhaltigkeit verliert dabei aber an Bedeutung. Nur noch 55 Prozent der Befragten erwarten, dass das Nachhaltigkeit künftig wichtiger wird, das sind acht Prozentpunkte weniger als ein Jahr zuvor, geht aus einer Studie der Erste Bank und der Wiener Städtischen Versicherung hervor. Im Gegenzug gehen fast dreimal so viele wie zuvor davon aus, dass nachhaltige Finanzprodukte sukzessive weniger wichtig werden.

Wie kommt es zu dieser Entwicklung, obwohl die Finanzbranche seit Jahren die Werbetrommel für nachhaltige Geldanlage rührt? Erste-Bank-Chefin Gerda Holzinger-Burgstaller führt dies auf die derzeitigen "Multikrisen" zurück, die andere Dinge in den Vordergrund gerückt hätten – etwa wenn man im Alltag an der Supermarktkrise die Inflation zu spüren bekomme. Dazu komme, dass der Bereich Nachhaltigkeit sehr technologielastig sei und im Vorjahr starke Kursverluste hinnehmen musste.

Kein nachhaltiger Rückgang

Allerdings sagt Holzinger-Burgstaller einschränkend über die Entwicklung: "Dieser Rückgang wird kein nachhaltiger sein." Jedoch zeichnete zuletzt eine Studie der Arbeiterkammer ein ähnliches Bild. Demnach sind den meisten Anlegenden beim Kauf von Wertpapieren eine einfache Verständlichkeit und hohe Rendite wichtiger als ökologische und soziale Kriterien.

Generell haben die diversen Krisen bei der Vorsorge andere Dinge in den Vordergrund rücken lassen. Befragt, wofür sie in den vergangenen Monaten vorgesorgt haben, wurden mit 46 Prozent Lebensmittelvorräte am häufigsten angeführt. Auch Wasser und Energieträger wie Batterien wurden häufiger genannte als finanzielle Altersvorsorge, für die 23 Prozent der Befragten vorgesorgt haben wollen. "Obwohl derzeit die finanziellen Belastungen durch die hohe Inflation spürbar steigen, sehen wir, dass die Menschen besonders in Krisenzeiten Sicherheit und Halt suchen", sagt Städtische-Vorstand Manfred Bartalszky.

Wofür legen die Menschen Geld auf die hohe Kante? Meistens als finanzielle Reserven für Krisenfälle, wie 71 Prozent der Befragten angeben. Dahinter folgen die Gesundheit und die Familie als Gründe für finanzielle Vorsorge, die eigene Pension ist mit 61 Prozent demnach nur der viertwichtigste Grund, finanziell vorzusorgen. Mit 29 Prozent ist der Bereich Pflege weit abgeschlagen und rangiert gleichauf mit Geld für Freizeit und Reisen als Sparziel.

Damit fühlt sich Bartalszky gar nicht wohl: Junge Menschen könnten sich nicht vorstellen, künftig selbst davon betroffen zu sein. Oft würden sich Menschen erst um dieses Thema kümmern, wenn in der Familie oder im näheren Umfeld selbst ein Pflegefall auftrete. Im Bereich Pflegevorsorge ist dem Städtische-Vorstand zufolge "viel Aufklärungsarbeit nötig".

Einschränkung im Konsum

Holzinger-Burgstaller verweist auf das wegen der Krisen geänderte Konsumverhalten: 87 Prozent achten beim Einkauf stärker auf Preise und Sonderangebote. Beim Licht wollen 86 Prozent sparen. Auch bei Konsumausgaben wie Bekleidung, auswärts essen oder Freizeit tritt mehr als die Hälfte der Befragten auf die Bremse. Auch beim Urlaub oder Tagesausflügen wird gespart.

Trotz dieser Einschränkungen ist finanzielle Vorsorge bedeutender denn je, 90 Prozent der Befragten bezeichnen sie als wichtig. Das spiegelt sich auch im Sparverhalten wider, mit 247 Euro pro Monat ist der durchschnittliche Vorsorgebetrag so hoch wie nie in der jährlich durchgeführten Studie. Männern legen im Mittel 316 Euro auf die hohe Kante, bei Frauen sind es 168 Euro – das sind um 46 Prozent weniger als bei männlichen Zeitgenossen.

Handlungsbedarf sieht Bartalszky bei der Finanzbildung, da sich 28 Prozent der Befragten nicht gut informiert fühlen. Ebenso fordert er von der Politik mehr Anreize vorzusorgen und eine Reform der staatlich geförderten Zukunftsvorsorge. Mehr Flexibilität in der Veranlagung und bei den Kapitalgarantien, lauten seine diesbezüglichen Wünsche. (Alexander Hahn, 15.1.2023)