Grün-braun-weiße Aussichten auf den Winter.
Foto: Carlos Blanchard

Kitzbühel wirkt verschlafen an diesem Mittwoch. Die meisten der roten Gondeln der Hahnenkammbahn sind leer. Gemächlich schweben sie über grüne Baumwipfel, die Berghänge sind nur leicht angezuckert, die Temperaturen frühlingshaft.

Noch ist wenig zu spüren von den Hahnenkammrennen – von den Tagen, in denen Skisportinteressierte aus der ganzen Welt ihre Augen auf den Nobelort richten. Nur auf einem weißen Band, das sich durch das Gefälle schlängelt, herrscht emsiges Treiben. Pistenraupen kämpfen sich über die Steilhänge, das Tuckern eines Hubschraubers zerreißt die vormittägliche Stille.

Tauwetter auf der Piste

Jan Überall, der Generalsekretär des Kitzbüheler Ski Club (K.S.C.), der die Hahnenkammrennen organisiert, steigt aus einer Gondel. Auf seiner dicken Daunenjacke und auf seiner Mütze prangt die bekannte Kitzbüheler Gams. Alfons Walde hat sie 1931 für den Skiklub entworfen. Überall, ein gebürtiger Kitzbüheler Mitte 30, wird herzlich begrüßt, man kennt einander. Hände werden geschüttelt. An diesem Mittwoch wirkt er angespannt, immer wieder klingelt sein Handy.

Viele Menschen sind während des gesamten Jahres mit den Vorbereitungen für dieses Großereignis beschäftigt. Um die 200 Personen kümmern sich im Vorfeld allein um die Präparierung der Rennpiste. An den Renntagen sind mehr als 1400 Personen rund um den Hahnenkamm im Einsatz. "Eigentlich waren wir vor Weihnachten bereits rennfertig, alles war picobello", erinnert sich Überall. Alle hätten geglaubt, "die zwei Jahre Corona gebüßt zu haben".

Dann aber: vier Wochen Tauwetter. "Wären die Temperaturen nicht wieder gesunken, wäre es irgendwann kritisch geworden", räumt Pistenchef Herbert Hauser ein.

Pistenchef Herbert Hauser sorgt sich über das Tauwetter.

Eine der schwierigsten Abfahrten weltweit

Hauser, auf Skiern, blickt durch seine große, verspiegelte Sportbrille auf "seine" Piste: die Streif. Sie gilt als eine der schwierigsten Abfahrten der Welt. In der sogenannten Mausefalle fliegen die Athleten bis zu 60 Meter weit, über ein Steilstück mit 85 Prozent Gefälle. In der Zielschusskompression erreichen die Rennfahrer Geschwindigkeiten von mehr als 140 Kilometer pro Stunde.

"Die Arbeiten sind im Gange, morgen müssten wir eine perfekte Rennpiste haben." Hauser wirkt erleichtert, als er das sagt. Denn eine "perfekte Piste" ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Temperaturen steigen, der Schnee bleibt immer häufiger aus.

Robert Steiger vom Institut für Geografie der Universität Innsbruck hat mögliche Folgen des Klimawandels für den Tiroler Skitourismus untersucht und kommt zum Schluss, dass die Skigebiete bis 2030 im Durchschnitt um rund ein Viertel mehr Schnee produzieren müssen als heute, in Extremfällen gar um 82 Prozent mehr. Heute könnten demnach nur rund 18 Prozent der Skigebiete in Tirol über einen Zeitraum von mindestens 100 Tagen allein mit Naturschnee betrieben werden.

Das weiße Band als Sinnbild

Seit 2007 werden die Kitzbüheler Pisten flächendeckend beschneit. Heute spucken ganze 1180 Schneekanonen und Kunstschneelanzen das weiße Gold auf die 181 präparierten Pistenkilometer. Seit 2015 sorgen zudem Schneedepots für größere Schneesicherheit.

Obwohl die Temperaturen steigen, ist die Kitzbüheler Skisaison immer länger geworden – rund 200 Tage waren es etwa in den Saisonen 2016/17 und 2017/18. Das zeigen Daten des Skitourismusforschers Günther Aigner.

Im Gespräch mit dem STANDARD erzählt er von einer "Entkoppelung von meteorologischen Rahmenbedingungen" durch "Mensch und Technik". "Die Bilder von weißen Schneebändern in grüner Landschaft machen uns Menschen bewusst, dass wir uns immer weiter von der Natur entfernen", analysiert Aigner. Und das sei schwer verkraftbar.

Es ist angerichtet. Trotz Tauwetters ist die legendäre Streif rennfertig.
Foto: Carlos Blanchard

Keine Skibetrieb ohne Winter

Wer die Rolle des Wintersports in Kitzbühel verstehen will, muss zu Anton Bodner gehen. Der STANDARD trifft ihn am Mittwochnachmittag in seinem Büro. Auch auf seiner Brust prangt das Logo der Gamsstadt, im Vorzimmer ist es auf die Tapete gedruckt.

Die Debatte rund um weiße Schneebänder hat auch Bodner erreicht. "Skifahren ist so viel mehr, als nur eine Piste herunterzufahren", kommentiert er und nippt an seinem Kaffee. Dazu gehörten auch "Emotion und die winterliche Landschaft". Denn: "200 Skitage, das ist nicht meine Idee", schlussfolgert Bodner, der seit 2020 die Seilbahngeschicke leitet, und grenzt sich damit von seinen Vorgängern ab.

Auch wenn man durch die technische Beschneiung "viele Möglichkeiten gewonnen" habe und "berechenbar" geworden sei, "kann und wird es keinen Skibetrieb und -tourismus ohne meteorologischen Winter geben", sagt Bodner.

Zukunftspläne

Doch wie lange lohnt es sich noch, die Pisten zu beschneien? Das Skifahren im Skigebiet sieht Bodner "in den nächsten zig Jahren" nicht gefährdet. Aber: "Wir werden uns damit auseinandersetzen, wie lange es noch möglich ist, bis ganz ins Tal abzufahren." Dies sei eine "wirtschaftliche Überlegung". Der "emotionale Winter" werde sich jedenfalls künftig "nur mehr auf der Höhe abspielen", meint Bodner. Kitzbühel liegt auf 762 Meter Seehöhe; sieben Abfahrten führen bis ins Tal.

Tourismus und Rennsport sind ein sehr geringes Klimaübel, findet Jan Überall, der Generalsekretär des Kitzbüheler Ski Clubs.
Foto: Carlos Blanchard

25.000 Besucherinnen und Besucher habe man an den Spitzentagen im Dezember verzeichnet, lässt Bodner wissen. "Wir wollen überhaupt nicht größer werden." Ziel sei es, sich "von der Spitze mehr in die Breite" zu entwickeln. Die teure Infrastruktur müsse das ganze Jahr über genutzt werden. Laut Statistik der Bergbahn Kitzbühel entfallen aktuell nur 300.000 von insgesamt 1,8 Millionen beförderten Gästen auf die Sommermonate.

Den Ganzjahrestourismus zu forcieren, das ist im Übrigen auch ein wesentlicher Baustein der neuen Tiroler Tourismusstrategie. Im Zeitverlauf hat die – zwar noch immer dominantere – Wintersaison bereits Nächtigungsanteile eingebüßt: 2019 wurden in Tirol im Sommer 22,1 Millionen Nächtigungen verzeichnet, im Winter waren es 27,8 Millionen.

"Tourismus als geringes Übel"

Der Tourismus ist die Lebensgrundlage vieler – in Tirol wie auch in Kitzbühel. Oder, in Bodners Worten: "Kitzbühel ohne Bergbahn ist für mich nicht vorstellbar und für viele andere auch nicht." Im Winter schaffe sie 450 Arbeitsplätze. "Wir wissen, dass wir Ressourcen verbrauchen, aber die Relation zum Nutzen für die Region lässt mich gut schlafen", kommentiert Bodner den Klimawandel.

Zu Beginn der Skisaison laufen die Beschneiungsanlagen in den Kitzbüheler Alpen auf Hochtouren. Das warme Wetter und steigende Energiekosten erhöhen den Druck auf die Bergbahnbetreiber.
DER STANDARD

Auch Überall pocht auf die Verhältnismäßigkeit. Beherbergung, Gastronomie und Seilbahnen kämen laut Erhebungen des Umweltbundesamtes auf einen Anteil von lediglich rund 1,55 Prozent des österreichischen Gesamtenergieverbrauchs. Der Wintertourismus allein auf lediglich rund 0,9 Prozent. Der Anteil des Rennsports daran dürfte wiederum "verschwindend gering" sein, ist sich Überall sicher. "Verglichen mit anderen Naturverbrechen ist der Tourismus ein sehr geringes Übel", findet Überall. Es ärgere ihn, wenn es heißt, dass es nur darum gehe, "Geld zu scheffeln". Der K.S.C. fungiere als "gemeinnütziger Verein", habe die "Förderung des Skisports und des Nachwuchses" zum Ziel und stemme die Kosten der Hahnenkammrennen zur Gänze selbst. Das gesamte Veranstaltungsbudget betrage rund 9,5 Millionen Euro.

Die Hahnenkammbahn in roter Signalfarbe.
Foto: Carlos Blanchard

Naturschutz vor Profit

"Unbezahlbar" seien die Hahnenkammrennen für Kitzbühel, sagt die Geschäftsführerin des Kitzbühel-Tourismus, Viktoria Veider-Walser, während die Gondel wieder talwärts schunkelt. Skifahren sei "die Cashcow im Wintertourismus", so Veider-Walser. "Dass man das nicht von einem auf den anderen Tag abdreht", liege deshalb auf der Hand. Es würden aber bereits viele "kurz- und mittelfristige Maßnahmen" getroffen, um "das Ganze effizienter zu gestalten" und den "Impact" zu minimieren. Es brauche eine Diskussion, wie man Tourismus "auf lange Sicht in Einklang mit der Natur" betreiben könne. "Naturerlebnis und Landschaft" seien schließlich die Hauptmotive der Urlaubsgäste. "Da wären wir sehr gut gehalten, wenn wir der Natur auch absolute Priorität einräumen", sagt Veider-Walser.

Durch die verkratzten Scheiben der Gondel sieht man die pompösen Hotelburgen, die die Talstation säumen. Und siehe da: auch dort ein weißes Band. Ein Teppich führt von der Einfahrt eines Hotels durch den Garten zum Skikeller – wohl um den aperen, feinen Rasen vor den Skischuhbeschuhten zu schützen. (Maria Retter, 14.1.2023)