Etwas hat sich verändert im Washingtoner Kapitol. Man spürt es schon, wenn man sich durch das Labyrinth unterirdischer Gänge zum Plenarsaal vorarbeitet.

"Yes! We’re open", verkünden jetzt rote Schilder – ein Hinweis auf die angeblich neue Transparenz und die Abschaffung aller Corona-Regeln durch die neue republikanische Parlamentsmehrheit. Aus einigen Zimmern dringt ungewohnter Zigarrengeruch. Der größte Auftrieb herrscht vor Raum 1117, wo Reporter auf den prominentesten republikanischen Neuling warten: Er heißt George Santos und hat seine Herkunft, seine Religion und seinen gesamten beruflichen Werdegang frei erfunden.

Vermutlich bloß aus Schlamperei landeten einige wenige Verschlussakten in der Garage von Joe Bidens Privatanwesen. Für die Republikaner freilich ein gefundenes Fressen.
Foto: AFP/Nicolas Asfouri

Am Eingang des großen Sitzungssaals des Repräsentantenhauses sind die Metalldetektoren abgebaut worden. Man könnte jetzt also unbemerkt mit einer Waffe in den Saal marschieren. Drinnen sind die meisten Bänke nach dem chaotischen Wahlmarathon vor einer Woche jetzt leer. Davon unbeeindruckt, peitscht der neue Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, mit schwindelerregendem Tempo Geschäftsordnungen, Gesetzesinitiativen und Ausschüsse durch.

Kritik der Opposition

"Am Montag haben die Republikaner ein Gesetz eingebracht, das den Vermögenden helfen soll, bei ihren Steuern zu betrügen, und so den Lifestyle der Reichen und Schamlosen unterstützt. Am Dienstag wurde ein Ausschuss eingesetzt, um die Justiz zu behindern und Aufrührer zu beschützen. Am Mittwoch haben sie klargemacht, dass sie alles tun werden, um ein bundesweites Abtreibungsverbot durchzusetzen", lässt Hakeem Jeffries, der Fraktionschef der Demokraten, die erste Wochenhälfte Revue passieren.

Handlungsfähigkeit beweisen und die rechten Mobilisierungsthemen bedienen: Das sind die Maximen der neuen, aber knappen rechten Mehrheit. Freilich werden die meisten Aktivitäten symbolisch bleiben, weil sich der demokratisch dominierte Senat und das Weiße Haus querstellen. Dort dürften sowohl eine Verschärfung des Abtreibungsrechts als auch die drastische Kürzung des Budgets der ohnehin notorisch unterfinanzierten Steuerbehörde IRS gestoppt werden.

Je weniger die Republikaner an konkreten Reformen hinbekommen, desto mehr setzen sie auf ihren Kulturkampf, der inhaltliche Differenzen der Fraktion zu überdecken hilft. Der Kampf gegen den "Washingtoner Sumpf", die Zerstörung der "linken Meinungsdiktatur" sowie die Diskreditierung und Amtsenthebung von Joe Biden stehen ganz oben auf der rechten Agenda.

Rituale, die Schmerzen bereiten

Der gelernte Marketingmann McCarthy schlug sich nach dem Kapitolsturm vom 6. Jänner 2021 auf die Seite von Donald Trump. Nach einer weiteren tiefen Verbeugung vor den rechtsextremen Rebellen in den eigenen Reihen in der vorigen Woche leitet er nun eine Mission, die auf die Blockade möglichst vieler Biden-Vorhaben hinausläuft. Die Lunte für den wohl dramatischsten Showdown bei der demnächst fälligen Anhebung der Schuldenobergrenze hat McCarthy schon gelegt.

Eigentlich ist der öffentliche Streit über die Staatskredite ein Ritual, das sich alle paar Jahre wiederholt. Doch dieses Mal fühlt es sich anders an. Die Fraktionsrechten haben McCarthy die feste Zusage abgehandelt, dass jede Anhebung der Schuldengrenze mit massiven Kürzungen einhergehen muss und zudem die nicht gesetzlich vorgeschriebenen Ausgaben den Stand von 2022 nicht übersteigen dürfen. Das ist völlig utopisch.

Wenn sich aber Repräsentantenhaus, Senat und Präsident nicht einigen, könnte der größten Wirtschaftsnation der Welt bald das Geld ausgehen. Davor warnte am Freitag auch Finanzministerin Janet Yellen. Ein dramatischer Zahlungsausfall und eine globale Finanzkrise wären die Folgen. Doch Trump und seine Verbündeten schreckt das nicht.

Mit voller Wucht

Mit harten Bandagen gehen die Republikaner auch bei der Einrichtung von Untersuchungsausschüssen vor. Deren Aufgaben stehen schon vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit fest: Sie sollen nicht nur die Missstände an der Grenze zu Mexiko und das Versagen der Biden-Regierung beim Afghanistan-Abzug offenlegen. Ein Gremium will den renommierten Immunologen Anthony Fauci für die behauptete Freisetzung des Coronavirus in einem Labor verantwortlich machen, ein anderes die Verwicklung Joe Bidens in die tatsächlich nicht unproblematischen Geschäftsaktivitäten seines zeitweise drogensüchtigen Sohnes Hunter nachweisen.

Die dramatischste Wirkung aber dürfte der Ausschuss zur Untersuchung der vermeintlichen politischen Instrumentalisierung der Justiz entfalten, der von dem glühenden Trump-Fan Jim Jordan geleitet wird und praktisch unbegrenzte Kompetenzen hat. Kritiker befürchten eine Hexenjagd wie zu Zeiten des Kommunistenjägers Joe McCarthy während des Kalten Krieges.

Auch US-Präsidenten haben mitunter Bubenträume. Im Falle von Joe Biden ist das eine grüne Corvette Stingray.
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Ausgerechnet der Präsident persönlich hat mit der "Garagen-Affäre" um unsachgemäß gelagerte Verschlusssachen seinen Gegnern nun die beste Munition geliefert. Eigentlich hatte Biden einen schlauen Plan, wie er das parlamentarische Sperrfeuer der Rechten kontern wollte: Einerseits verstärkte er das Juristenteam im Weißen Haus und geht mit Kritik an Trumpisten zunehmend in die Offensive. Gleichzeitig reist er durchs Land und vermarktet die politischen Erfolge seiner billionenschweren Investitionspakete.

"Geheime Regierungsdokumente neben der Corvette?"

Doch als der Präsident am Donnerstag im Weißen Haus die positiven Konjunkturdaten verkünden wollte, interessierte sich niemand für die Zahlen. "Geheime Regierungsdokumente neben der Corvette?", rempelt der Korrespondent von Fox News Biden an: "Was haben Sie sich dabei gedacht?" Der Präsident reagiert schmallippig: Er nehme den Schutz vertraulicher Unterlagen sehr ernst und arbeite mit der Justiz zusammen. Im Übrigen stehe sein Oldtimer-Sportwagen, in dessen Nähe Geheimakten gefunden wurden, in einer abgeschlossenen Garage.

Das ändert nichts daran, dass geheime Papiere aus Bidens Zeit als Vizepräsident weder dorthin noch in das Büro einer Denkfabrik gehören, wo ebenfalls Unterlagen gefunden wurden. Zwar weist das Weiße Haus zu Recht darauf hin, dass es gravierende Unterschiede zwischen Bidens Schlamperei und dem Beiseiteschaffen von Unterlagen durch seinen Vorgänger Trump gibt: Nicht nur hatte der 300 Geheimakten auf sein privates Anwesen Mar-a-Lago schaffen lassen, während es bei Biden offenbar nur ein Dutzend sind. Auch weigerte sich Trump zunächst, die Papiere herauszugeben, während Bidens Anwälte den Fund im vorigen November unverzüglich dem Justizministerium – allerdings nicht der Öffentlichkeit – meldeten.

"Wo bleibt die Razzia?"

Biden, der Trumps Umgang mit den Akten "unverantwortlich" genannt hatte, hat nun ein Glaubwürdigkeitsproblem. Juristisch dürfte die Sache für ihn kaum Konsequenzen haben, aber politisch ist die Wirkung fatal: Eine Anklage von Trump ist in diesem Meinungsklima kaum denkbar. Gleichzeitig befindet sich Biden schwer in der Defensive: Mindestens drei Ausschüsse wollen sein mögliches Fehlverhalten aggressiv unter die Lupe nehmen.

So hat sich die Stimmungslage innerhalb weniger Tage komplett gedreht. Vom Chaos bei den Republikanern, von der faktischen Machtübernahme der Extremisten in der Fraktion ist plötzlich kaum noch die Rede. Stattdessen fragt der rechte Einpeitscher Jordan: "Wo bleibt die Razzia?" Und zielt auf Biden. (Karl Doemens, 13.1.2022)