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Alexander Eder weiß, wie ein waschechter Niederösterreicher antworten muss. Als der in Neuhofen an der Ybbs geborene Sänger unlängst während eines Wordraps – eines schnellen Videointerviews – gefragt wird, was sein Lieblingsgericht ist, zögert er nur Millisekunden, um dann die Antwort "A Bradl von der Oma" zu geben. Keine spektakuläre Enthüllung, aber passend zu vielem, was auf der Plattform Tiktok passiert: kurz, prägnant und nicht allzu kompliziert. Dass man damit eine Zielgruppe erreichen kann, die sonst kaum Nachrichten konsumiert, haben viele erkannt. Auch das Land Niederösterreich.

In Bundesländern, in denen bald gewählt wird, gibt es traditionell einen erhöhten Kommunikationsbedarf. Seit Mitte Mai 2022 betreiben zwei Mitarbeiter der niederösterreichischen Landesregierung den Tiktok-Kanal @noe.mit.allem. Die Bio verschwendet keine Buchstaben: "Offizielles Verlautbarungsorgan – Land Niederösterreich". Das ist nicht sexy, aber rechtlich einwandfrei.

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Landesschnipsel

Vor und hinter der Kamera stehen ein älterer Mann und eine junge Frau namens Hannes und Cornelia. Beide betreuen auch den offiziellen Instagram-Account des Landes, wo sie allerdings weniger vor der Kamera zu sehen sind. Denn die chinesische Plattform Tiktok hat ihre eigenen Regeln: Es darf ein bisschen abgedreht und schrill sein, vor allem aber braucht es Gesichter, die diskret durch den Content führen.

Darin liegt ein gewisses Risiko: Als die niederösterreichische Volkspartei im Frühjahr 2022 ein überdrehtes Video online stellte, in dem eine junge Mitarbeiterin als Hauptperson auftrat, wurde diese schnell quer durchs Internet geprügelt. Im Prinzip passierte damals etwas, was auf Tiktok und anderen Social-Media-Plattformen täglich passiert: Content wird aus dem Kontext gerissen und an ein Publikum ausgespielt, für das er ursprünglich nicht gedacht war. Das ist nicht immer ein Drama, kann aber vor allem für Privatleute sehr unangenehm sein.

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Hannes und Cornelia mussten sich dem Problem ungewollter Viralität bislang nicht stellen: Mit Stand Anfang 2023 hat der Kanal etwas über 1250 Follower. Einzelne Videos wurden bis zu 20.000-mal angeschaut, die meisten haben allerdings Zahlen im niedrigen bis mittleren vierstelligen Bereich. Aber wer einen offiziellen Tiktok-Kanal betreibt, tut das in der Regel eben nicht nur der nackten Zahlen wegen, sondern um Teenager zu erreichen, die man anders gar nicht erreicht.

Alpaka statt Boosta

So fuhr die Stadt Wien eine recht breite Impfkampagne auf Tiktok, bei der ernsthaft Fragen beantwortet wurden, aber auch eine menschengroße Spritze namens "Boosta" vorkam, die in Videos schon einmal Sachen durch die Gegend schmiss, wenn sie auf Impfunwillige traf. Wien ist übrigens ein gutes Stichwort: Wie die Kollegen in der Bundeshauptstadt stehen auch die Niederösterreicher im Verdacht, es mit der Trennung von Partei und Amt nicht immer genau zu nehmen. Das kann man dem Projekt@noe.mit.allem nicht vorwerfen: Der Kanal bewirbt die Landesregierung und das Bundesland als Ganzes. Die Landeshauptfrau hat ohnehin einen eigenen Kanal.

Es gibt Momente, da wirkt der Tiktok-Account wie die Sendung Niederösterreich Heute, das inoffizielle Verlautbarungsorgan der Landesregierung. Es gibt kurze Videos und Minireportagen: Hannes und Cornelia besuchen den Himmelschlüsselhof in Texingtal, wo Menschen mit einer geistigen Behinderung leben und sich um Esel und andere Tiere kümmern. Sie schauen auf der Freiwilligenmesse im Landhaus vorbei, in der beliebteste Pizzeria des Landes oder machen Alpaka-Yoga. Genau genommen ist das "Yoga zwischen Alpakas", die Tiere selbst machen nicht mit. Es werden die schönsten Adventmärkte und der Schneeberg als Ausflugsziel vorgestellt. Das ist alles nicht revolutionär, man kann dagegen aber auch wenig sagen.

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Bier- und Weinservice

Der Tiktok-Kanal wird aber auch dazu genutzt, dem jungen Publikum einen Kern von harter Information zu geben. Über dem Sommer erfahren die Jugendlichen in der Serie "Sommerzeit ist Festlzeit", welche Regeln für sie gelten: Bier und Wein gibt es in Niederösterreich ab 16 Jahren, Zigaretten und anderen Alkohol ab 18 Jahren. Bis 14 Jahre darf ich bis 23 Uhr unterwegs sein, zwischen 14 und 16 Jahren bis ein Uhr.

Dass sich Jugendliche von diesen Regeln beeindrucken lassen, nur weil sie auf Tiktok kommuniziert werden, ist nicht besonders wahrscheinlich, aber immerhin wissen sie so, wann sie sich besser nicht erwischen lassen. Und es gibt auch nicht nur schlechte Nachrichten: Hannes und Cornelia informieren auch über das niederösterreichische Schulstartgeld und erklären, wie man an ein Gratis-Interrailticket kommen kann. Bei klassischen Medien würde man das "Servicejournalismus" nennen.

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Aber wie bei allen Tiktok-Kanälen dürfen auch bei @noe.mit.allem der Blödsinn und das Spielerische nicht fehlen. Sehr gut an kommt bei der Community die Rubrik "Ortstafelraten". Dabei muss man einen Ort in Niederösterreich anhand von Emojis erkennen. Putz-manns-dorf ist zum Beispiel ein Schwamm, ein männliches Gesicht und drei Häuser. Es ist ein wilder Ritt durch die mehr als 570 Gemeinden Niederösterreichs, mit variierender Schwierigkeit. So ist Horn recht leicht zu erraten, während es bei Mais-bir-baum hilft, erst einmal zu wissen, dass es einen solchen Ort überhaupt gibt.

Als die Fußballerinnen des Sportklub Niederösterreich Sankt Pölten (SKN) in der Champions League spielen, werden Einzelnen von ihnen auf Tiktok Fragen zum Land gestellt, die sie beantworten müssen, während sie gleichzeitig den Ball mit den Füßen oben halten müssen. Manche Fragen sind, wenn man sich nicht gleichzeitig auf einen Fußball konzentrieren muss, für geübte Niederösterreicher von überschaubarer Schwierigkeit.

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Was ist die Hauptstadt von Niederösterreich, was der höchste Berg, welches Jubiläum wird heuer gefeiert? Im Grunde zieht sich das durch den gesamten Content des Tiktok-Heimatkanals: Für Niederösterreicher funktioniert er vermutlich, weil sie sich darin wiederfinden.

Ein Highlight namens St. Pölten

Aber jemand, der das Land von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und ihrem immerhin 25 Jahre im Amt befindlichen Vorgänger Erwin Pröll nicht ganz so gut kennt, der kann von Hannes, Cornelia und ihren Tiktok-Videos schon ein bisserl was lernen.

Und manchmal wird man dann doch überrascht. Als die SKN-Stürmerin Melanie Brunnthaler nach einer besonderen Sehenswürdigkeit in Niederösterreich gefragt wird, nennt sie "St. Pölten". Die Antwort gilt nicht. Das interpretiere jeder, wie er will. (Jonas Vogt, 14.1.2023)