Johanna Mikl-Leitner möchte weiterhin im geräumigen Büro im obersten Stockwerk des St. Pöltener Landhauses arbeiten.
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Die Landeshauptfrau ist in der Defensive. Die vor fünf Jahren erreichte absolute Mehrheit für die Volkspartei ist bei der Niederösterreich-Wahl am 29. Jänner so gut wie fix dahin, eine aktuelle ATV-Umfrage sieht sie bei 40 Prozent. Johanna Mikl-Leitner versucht, die Verluste möglichst klein zu halten – auch mit polarisierenden Forderungen.

STANDARD: Sie fordern strafrechtliche Konsequenzen für radikale Klimaproteste. Warum bringen Sie ein Bundesthema in den Landtagswahlkampf?

Mikl-Leitner: Wien liegt mitten in Niederösterreich, und wir sehen das als gemeinsamen Lebensraum: 200.000 Pendlerinnen und Pendler fahren von Niederösterreich nach Wien. Die Blockaden sorgen einerseits für Verärgerung, andererseits können auch Leben gefährdet werden. Die Rettungsorganisationen machen sich Sorgen. In Deutschland muss man sich bereits dann vor Gericht verantworten, wenn man die Gefährdung leichtfertig in Kauf nimmt. Deshalb soll der Landesverfassungsdienst einen Vorschlag ausarbeiten, den wir dann der Justizministerin zur Verfügung stellen.

STANDARD: Dass Wien mitten in Niederösterreich liegt, ist schon eine sehr konstruierte Ausrede für ein populäres Wahlkampfthema.

Mikl-Leitner: Wenn Sie die Rettungsorganisationen als populistisch bezeichnen, ist es Ihre Sache. Ich nehme ihre Sorgen ernst.

STANDARD: Johannes Schmuckenschlager, dem ÖVP-Umweltsprecher aus Ihrer Landespartei, ist das Klimaschutzgesetz nicht wichtig. Wieso sollte dann jemand, dem Klimaschutz ein Anliegen ist, die ÖVP wählen?

Mikl-Leitner: Wir sind Vorbild beim Klimaschutz. Ich weiß nicht, ob Sie darüber informiert sind, dass über 50 Prozent der Windenergie und 25 Prozent der Sonnenenergie aus Niederösterreich kommen. Wir sind europaweit auf Platz eins bei den Klimabündnis-Gemeinden. Und mit dem blau-gelben Bodenbonus machen wir aus Grau wieder Grün.

STANDARD: Vor einem Jahr haben Sie noch gesagt, Sie wollen gar keine neuen Windräder.

Mikl-Leitner: Ich glaube, jeder hat mitbekommen, was letztes Jahr passiert ist. Wir machen Tempo, indem wir neue Windräder aufstellen, aber natürlich auch alte Windkraftwerke durch stärkere Modelle ersetzen.

STANDARD: Es entsteht der Eindruck, Sie entdecken erst im Wahlkampf Ihr Klimagewissen.

Mikl-Leitner: Vielleicht schauen Sie die Statistik an: Allein im letzten Jahr haben wir 33 Windräder aufgestellt. Nur zur Information.

STANDARD: Ein schneller und einfacher Weg, um CO2-Emissionen einzusparen, wären niedrigere Tempolimits: 100 auf der Autobahn, 80 auf der Landstraße. Warum sind Sie dagegen?

Mikl-Leitner: Ich bin weder dagegen noch dafür, Frau Gewessler (Verkehrsministerin Leonore Gewessler, Anm.) ist zuständig.

"Ich bin weder dagegen noch dafür, Frau Gewessler ist zuständig", sagt Mikl-Leitner zu Temporeduktionen auf Autobahnen und Landstraßen.
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STANDARD: Niederösterreich soll bis 2040 klimaneutral sein. Falls dieses Ziel erreicht wird: Wie wird sich das Leben der Menschen in Niederösterreich dadurch verändern?

Mikl-Leitner: Indem man bewusster lebt.

STANDARD: Die Klimakrise wurde über Jahrzehnte vernachlässigt. Jetzt hat die Politik wahnsinnig wenig Zeit, um aufzuholen. Sie glauben wirklich, dass das ohne Einschnitte möglich ist?

Mikl-Leitner: Einschnitte müssen nicht sein. Ich komme mit dem Auto von A nach B, ob das jetzt mit Diesel betrieben wird oder mit einem Elektromotor. Das kann ich mir in anderen Lebensbereichen genauso vorstellen.

STANDARD: Eltern haben zwei Jahre Karenzanspruch, in die Landeskindergärten können Kinder aber erst ab zweieinhalb. Sie wollen diese Lücke bis 2024 schließen. Aktuell fußt die Kinderbetreuung in Niederösterreich darauf, dass Mütter ihren Job aufgeben. Wie konnten Sie diesen skandalösen Zustand so lange verantworten?

Mikl-Leitner: Das Wort "skandalös" weise ich zurück. Niederösterreich hat ein unglaublich breites Netz an Betreuungseinrichtungen. Wir haben eine Betreuungsquote bei den Drei- bis Sechsjährigen von 98,5 Prozent. In den letzten drei Jahren haben wir über 200 Kleinstkinderbetreuungsgruppen errichtet und konnten damit zusätzlich über 3000 Kinder von null bis zweieinhalb betreuen. Sie tun ja so, als würden wir bei null anfangen! Aber wir haben eine sehr gute Basis, die wir jetzt weiter ausbauen.

STANDARD: Sie schließen diese Lücke ja nicht umsonst. Aber wieso so spät?

Mikl-Leitner: Wir schließen die Lücke, aber das heißt nicht, dass wir nicht vorher schon Kleinstkinderbetreuungseinrichtungen gehabt hätten.

STANDARD: Die sind aber teils extrem teuer.

Mikl-Leitner: Es hat hier immer Förderungen gegeben. Und mir war wichtig, dass wir bei den Kosten etwas machen. In Zukunft wird am Vormittag alles gratis sein. Am Nachmittag zahlte man früher 380 bis 500 Euro pro Monat – zwar auch gefördert, aber jetzt wird die Kleinkinderbetreuung am Nachmittag nur mehr maximal 180 Euro kosten und in sozialen Härtefällen auch gratis sein.

STANDARD: Denken Sie im Ernst, dass SPÖ-Chef Franz Schnabl Landeshauptmann werden kann?

Mikl-Leitner: Ja, selbstverständlich. Eine aktuelle Umfrage sagt Rot-Blau für die Landtagswahl 47 Prozent voraus, und sowohl Franz Schnabl als auch Udo Landbauer (FPÖ, Anm.) erheben den Landeshauptmannanspruch. Das nehme ich sehr ernst.

STANDARD: 2018 haben Sie den "günstigsten Wahlkampf aller Zeiten" angekündigt. Dann haben Sie fast 650.000 Euro mehr als erlaubt ausgegeben. Werden Sie diesmal einen gesetzeskonformen Wahlkampf führen?

"Eine aktuelle Umfrage sagt Rot-Blau für die Landtagswahl 47 Prozent voraus und sowohl Franz Schnabl als auch Udo Landbauer (FPÖ, Anm.) erheben den Landeshauptmann-Anspruch. Das nehme ich sehr ernst."
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Mikl-Leitner: Wir haben auch 2018 einen gesetzeskonformen Wahlkampf geführt. Für die Überziehung haben wir eine kleine Gebühr bezahlt.

STANDARD: Wenn ich im Halteverbot parke und Strafe zahle, war das trotzdem illegal.

Mikl-Leitner: Der Landesgeschäftsführer hat im Fokus, dass das eingehalten wird.

STANDARD: Die Grenze liegt bei sechs Millionen Euro. Ist das nicht absurd viel?

Mikl-Leitner: Wir haben uns dabei an Wien orientiert, es muss für Wien und Niederösterreich das Gleiche gelten.

STANDARD: Muss es das?

Mikl-Leitner: Wir haben ein großes Land, und es ist wichtig, die Menschen zu informieren.

STANDARD: Und das würden Sie zum Beispiel mit drei Millionen nicht schaffen?

Mikl-Leitner: Das will ich mit Ihnen jetzt nicht diskutieren. Aber ja, Demokratie braucht einen finanziellen Mitteleinsatz.

STANDARD: Hat die Bundes-ÖVP mit der Ära Kurz aus Ihrer Sicht ausreichend abgeschlossen?

Mikl-Leitner: Karl Nehammer macht das sehr gut und geht seinen eigenen Weg.

STANDARD: Er holte Gerald Fleischmann als Kommunikationschef in die Partei. Dieser ist nicht für seine Distanz zu Sebastian Kurz bekannt.

Mikl-Leitner: Es ist immer meine Haltung gewesen, dass sich jeder sein Team selbst zusammenstellen kann.

STANDARD: Wolfgang Sobotka ist der umstrittenste Nationalratspräsident in der Geschichte der Zweiten Republik. Glauben Sie, dass er bis 2024 im Amt bleibt?

Mikl-Leitner: Ja.

STANDARD: Wenn Ihre Partei am Wahltag unter 40 Prozent fällt, wer hat dann das größere Problem: Sie oder Karl Nehammer?

Mikl-Leitner: Auf alle Fälle Niederösterreich.

STANDARD: Gibt es ein Wahlergebnis, bei dem Sie sagen, Sie treten zurück?

Mikl-Leitner: Mit solchen Fragen setze ich mich nicht auseinander. (Sebastian Fellner, 13.1.2023)