Über das Darknet werden Medien ausgetauscht, die sexuellen Kindesmissbrauch darstellen. Forschende versuchen, dort bei der Prävention anzusetzen.
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Es handelt sich um eines der größten Tabuthemen, wie der aktuelle Fall um Schauspieler Florian Teichtmeister zeigt: Kommen Pädophilievorwürfe auf, sind diese oft besonders schockierend. Charismatische Persönlichkeiten kommen für viele vermeintlich nicht als Täter infrage, obwohl sexuelles Begehren, das auf Kinder gerichtet ist, wie andere psychische Störungen Menschen in allen Gesellschaftsgruppen betrifft.

Noch immer suchen viele pädophile Personen keine Hilfe, obwohl Therapien die beste Maßnahme darstellen, um Übergriffe und die Herstellung und Verteilung von sogenannter Kinderpornografie zu verhindern. Wie die Psychologin Hedwig Wölfl im STANDARD-Gespräch darlegt, wird in Fachkreisen meist nicht von "Kinderpornografie" gesprochen, weil der Begriff die Bilder und Videos als bloße sexuelle Präferenz verharmlost, sondern von Materialien sexuellen Kindesmissbrauchs.

Zunahme an Missbrauchsmaterial

"Leider sehen wir, dass die Verbreitung von solchem Material im Internet zunimmt und dass die derzeitigen Strategien zur Eindämmung dieses Trends unzureichend sind", sagt Christoffer Rahm, Psychiater und Forschungsgruppenleiter am schwedischen Karolinska Institutet in Stockholm. Im Jahr 2021 wurden weltweit fast 85 Millionen Dateien aufgespürt, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg um etwa 30 Prozent, berichtet das US-Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder.

Rahm hat mit seinem Team ein anonymes internetbasiertes Therapieprogramm getestet, das "Prevent It" ("Verhindere es") heißt. Damit wollen die Forschenden sexuellen Missbrauch von Kindern verhindern und die gesammelten Daten wissenschaftlich auswerten. Das bemerkenswerte Resultat der ersten Studie, die im Dezember veröffentlicht wurde: Nach der angewandten kognitiven Verhaltenstherapie nutzten die Teilnehmer seltener Medien, die sexuellen Kindesmissbrauch zeigen. Durchgeführt wurde die Studie in Zusammenarbeit mit verschiedenen Einrichtungen. Beteiligt waren etwa Fachleute aus der Sexualmedizin, die schwedische Stelle für Strafvollzug und Bewährung, Kinderrechtsorganisationen und ein Patientenvertreter.

Anonymität im Darknet

Offensichtlich werden dabei die Grenzen der Studie – immerhin muss sich das Team darauf verlassen, dass die Angaben der Beteiligten wahrheitsgemäß sind. Forschungsarbeiten zum Thema sind auch aus anderen Gründen nicht einfach durchzuführen – etwa aufgrund von ethischen, rechtlichen und logistischen Hindernissen. Therapieteilnehmende sind schwierig zu finden, vor allem in einer Zahl, die für begleitende Studien aussagekräftige Statistiken zulässt. Immerhin handelt es sich auch um (potenzielle) Straftäter.

Personen, die sich zu jungen Menschen vor und rund um die Pubertät hingezogen fühlen, suchen mitunter im Darknet nach Kindesmissbrauchsbildern. Damit bleiben sie anonym und können schwieriger strafrechtlich verfolgt werden. Einige geben in den Foren auch an, dass sie aufhören wollen, entsprechende Bilder und Videos zu konsumieren, aber Betreuungsdienste nicht kontaktieren. Zu groß seien Scham und Angst vor Strafen.

Durch das Angebot des anonymen "Prevent It"-Programms wollte das schwedische Forschungsteam testen, ob so eine Hürde abgebaut werden kann, um besser Prävention und Opferschutz zu leisten. Dafür posteten die Forschenden im Zeitraum von zweieinhalb Jahren Links zum Angebot in Chats und Diskussionsforen im Darknet.

Veränderung von Denkmustern

In der Folge meldeten sich 160 Probanden, berichten sie im Fachblatt "Internet Interventions" – 157 Männer, zwei nichtbinäre Personen sowie eine, die keine Geschlechtsangabe machte. Sie wurden zufällig einer von zwei Gruppen zugeordnet. Eine erhielt kognitive Verhaltenstherapie (KVT oder englisch CBT), eine etablierte Form der Psychotherapie, mit der versucht wird, Probleme durch konkrete Veränderungen von Verhalten und Denkmustern zu lösen. Die andere Gruppe stellte die Placebo-Vergleichsgruppe dar. In beiden Fällen erhielten die Beteiligten über acht Wochen hinweg Lesetexte, Videopräsentationen, "Hausaufgaben" und individuelles schriftliches Feedback von Psychotherapeuten.

Dabei mussten die Probanden angeben, wie oft sie wöchentlich Bilder und Videos ansahen, die sexuellen Kindesmissbrauch zeigen. Das Studienergebnis demonstriert, dass dieser Wert in beiden Gruppen im Lauf der Zeit wesentlich zurückging. In der letzten Woche hatte etwa die Hälfte jener Beteiligten aus beiden Gruppen, die das Programm nicht abgebrochen hatten, gar keine einschlägigen Medien konsumiert.

Positive Effekte und Drop-out

Es gab zudem einen kleinen, aber statistisch signifikanten Unterschied zugunsten der kognitiven Verhaltenstherapie, sagt Studienautorin Johanna Lätth. Im Idealfall würde das pädophile Verhalten bei den Therapieteilnehmern ganz aufhören, "aber die Ergebnisse geben uns Hoffnung, dass es einen machbaren, effektiven und sicheren Weg gibt, diese Personen zu behandeln. Wir glauben, dass dies eine wertvolle Ergänzung zu anderen Maßnahmen sein könnte, die darauf abzielen, den sexuellen Missbrauch und die Ausbeutung von Kindern zu verhindern."

In der "Prevent It"-Gruppe wurde häufiger von positiven Therapieeffekten berichtet. Dazu gehören hoffnungsvollere Gefühle und der Zugang zu mehr Werkzeugen zur Prävention. Die Verhaltenstherapie hatte allerdings auch eine höhere Drop-out-Rate: 37 Probanden übermittelten noch nach der Therapie Daten, in der Placebogruppe waren es 50 Personen. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine sofortige Verhaltensänderung für manche Menschen zu schwierig ist. In künftigen Therapien will das Forschungsteam daher einige Anpassungen vornehmen, etwa wie bei der Placebogruppe zu Beginn ausführlicher zum Nachdenken über ihre Teilnahme an dem Programm anregen.

"Nur zuschauen" keine Verteidigung

Zusätzliche Informationen werden auf der Studienwebsite bereitgestellt, wo sich Betroffene auch zur Teilnahme an der anonymen Onlinetherapie anmelden kann. Derzeit ist dies für die englische Version möglich, ab kommendem Februar aber auch für die Therapie auf Deutsch (in Kooperation mit der Universität Hamburg), Schwedisch und Portugiesisch. Gefördert wird das Projekt von der Europäischen Kommission. Darüber hinaus gibt es weitere Plattformen (siehe auch Infobox unten) für Menschen, denen ihr sexuelles Begehren gegenüber Kindern – oder auffälliges Verhalten im Bekanntenkreis – Sorgen machen.

"Wenn Bilder oder Videos vom sexuellen Missbrauch eines Kindes auf der ganzen Welt verbreitet werden, wiederholt sich das Verbrechen immer und immer wieder", heißt es auf der Website zum "Prevent It"-Programm. "Diejenigen, die sich Material über Kindesmissbrauch im Internet ansehen, verteidigen ihr Verhalten manchmal damit, dass sie 'nur zuschauen' und nicht selbst körperlichen Missbrauch begehen." Dies sei aber keineswegs unschuldig und in den meisten Staaten illegal, betont die Forschungsgruppe – ein solches Bild "ist das Ergebnis eines sehr schweren Verbrechens". (Julia Sica, 16.1.2023)