Polizeibeamte vor einem abgerissenen Gehöft in Lützerath.

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Die Aktivisten im Tunnel galten als letzte Besetzer von Lützerath.

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Erkelenz – Fünf Tage nach Beginn der Räumung des Braunkohleorts Lützerath im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen haben zwei noch verbliebene Klimaaktivisten einen unterirdischen Tunnel unter der Siedlung verlassen. Das beobachtete ein dpa-Reporter am Montag. Die Aktivisten im Tunnel galten als letzte Besetzer von Lützerath.

Nach der fast vollständigen Räumung des Protestdorfs durch die Polizei haben Klimaaktivisten und -aktivistinnen in der Gegend aber weiter mit Aktionen gegen den Braunkohleabbau protestiert. Im rund 20 Kilometer entfernten Tagebau Hambach wird seit den frühen Morgenstunden ein Schaufelradbagger besetzt, teilte ein Sprecher des Energiekonzerns RWE am Montag mit.

Der Bagger im rheinischen Braunkohlerevier habe den Betrieb eingestellt, sagte ein RWE-Sprecher. Es seien vier Menschen auf dem Bagger, die Polizei sei informiert. Nach Angaben der Protestgruppe "Gegenangriff – für das gute Leben" hatten acht Aktivisten den Bagger besetzt. Mit der Aktion wolle man sich mit den Menschen in Lützerath solidarisch zeigen. Zudem kritisierte die Gruppe das dortige Vorgehen der Polizei und forderte die Vergesellschaftung der Energieproduktion.

Klimaaktivisten in Rollstühlen seilten sich am Montagmorgen von einer Autobahnbrücke der A44 ab. Die Brücke liegt vier Kilometer Luftlinie von Lützerath entfernt.
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Gut vier Kilometer Luftlinie von Lützerath entfernt seilten sich Klimaaktivisten von einer Autobahnbrücke ab. Es handle sich um fünf Personen, zwei davon im Rollstuhl, sagte ein Polizeisprecher. Der Verkehr auf der Autobahn 44 lief während der Aktion weiter, auf der Landstraße unter der Brücke ging dagegen nichts mehr. Die Aktion soll Montagmittag wieder beendet gewesen sein.

NRW-Innenminister verteidigt Polizei in Lützerath gegen Gewaltvorwürfe

Nach Zusammenstößen zwischen Aktivisten und Polizisten bei der Demonstration vor Lützerath warfen beide Seiten einander Gewalttätigkeit vor. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) nahm Sonntagabend die Polizei in Schutz. Diese habe "hochprofessionell" gearbeitet, sagte er in der ARD-Talkshow "Anne Will". Die Aktivistin Luisa Neubauer widersprach dem, aus ihrer Sicht war der Einsatz unverhältnismäßig gewalttätig.

Er werde aber jeden Fall von unangemessener Polizeigewalt untersuchen lassen, kündigte Reul an. "Wir haben ein, zwei Filme im Netz gesehen, wo wir sagen: Das sieht nicht gut aus. Das werden wir uns genau anschauen, da haben wir auch Strafanzeige gestellt vorsichtshalber, weil ich finde, das muss gecheckt werden", berief er sich auf die Praxis der letzten Jahre. Es sei aber nicht so, als wären bei der Demonstration massenhaft "wildgewordene Polizisten" unterwegs gewesen. Von den Veranstaltern der Demo hätte er sich gewünscht, sich klar von Gewalt zu distanzieren, aber das sei nicht geschehen.

Neun Aktivisten im Krankenhaus

Aktivistin Neubauer widersprach Reul : "Das sah in keiner Weise professionell aus", kritisierte sie – und verwies darauf, dass nach Angaben einer Sanitäterin der Demonstranten viele Menschen von der Polizei schwer verletzt worden seien. Der Protest dagegen sei friedlich gewesen.

Demonstrierende und Polizisten standen einander am Samstag gegenüber.
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Am Rande der Großdemo hatten laut Polizei rund 1.000 großenteils vermummte "Störer" versucht, auf das abgesperrte Gelände vorzudringen. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Zwölf Personen wurden fest- oder in Gewahrsam genommen. Nach Polizeiangaben wurden neun Aktivisten mit Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Eine Sprecherin des Sanitätsdiensts der Demonstranten hatte hingegen gesagt, es sei eine "hohe zweistellige bis dreistellige Zahl" von Teilnehmern verletzt worden.

Baum- und Holzhäuser geräumt

Nach dem Abzug der beiden Aktivisten aus dem Tunnel ist der Braunkohleort seit Sonntagnachmittag nun vollständig geräumt. Die meisten Gebäude waren am Sonntag schon abgerissen – darunter auch der Bauernhof von Bauer Eckardt Heukamp, dem letzten Landwirt von Lützerath. Laut einer Mitteilung der Polizei wurden auch die 35 "Baumstrukturen" sowie knapp 30 Holzkonstruktionen geräumt. Knapp 300 Personen seien weggebracht worden, wobei es zu vier Widerstandshandlungen gekommen sei. Seit Beginn der Räumung seien 154 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.

Der Energiekonzern RWE geht davon aus, dass der Abriss von Lützerath schon bald abgeschlossen wird. Man erwarte, dass der Rückbau noch acht bis zehn Tage dauere, sagte ein Sprecher der "Rheinischen Post" vom Montag. "Im März oder April könnte der Tagebau dann das frühere Dorf erreichen und abbaggern." Bis zum Ende des Rückbaus wolle die Polizei vor Ort bleiben. (APA, 16.1.2023)