Im Gastblog schildert Marianne Buchegger anhand von zwei Geschichten, wie wichtig es ist, auf mögliche Anzeichen einer Demenz zu reagieren.

"Ich war immer jemand, der nicht aufgegeben hat. Also rapple ich mich jeden Tag auf, gehe raus und denke mir, ich will meinen Weg erfüllt gehen."
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"Ich dachte lange, dass das alles normal ist. Also, meine Müdigkeit, dass ich den normalen visuellen Radius nicht mehr wahrnehmen konnte, mein Zittern oder die kalten Füße. Ich dachte, dass mein erhöhtes Schmerzempfinden vielleicht damit zu tun hat, dass es mir so komisch geht. So ist's dann die letzten zehn Jahre gegangen. Ich war beim Neurologen, aber der hat damals nichts finden können, und ich hab mich auch damit zufriedengegeben, obwohl mein Bauch gesagt hat, da ist aber etwas.

Vor drei Jahren dann ist es schlimm geworden, die Vergesslichkeit, die Müdigkeit. Alles war so unendlich anstrengend, ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. In der Arbeit dachte ich nach drei Stunden, ich muss nach Hause, ich kann nicht mehr. Ich hatte Sorge, ob da nicht vielleicht ein Tumor in meinem Kopf ist. Ich habe all meinen Mut zusammengenommen und bin wieder zum Neurologen. Wieder war nichts zu finden. Dieses Mal aber wollte ich eine zweite Meinung und bin zu einem anderen Arzt gegangen.

Dieser Arzt hat mich dann wieder zu einem weiteren Arzt geschickt, der mich umfassend angeschaut hat und mich zu einem weiteren Arzt und intensiveren Untersuchungen geschickt hat. Und dann bekam ich jetzt im August die Diagnose Frontotemporale Demenz.

Bumm. Ich war erschüttert, natürlich – ich dachte, jetzt geht's also um meine Existenz. Gleichzeitig war ich aber auch erleichtert, weil ich jetzt wusste, was los ist. Ich habe gute und schlechte Tage. An den schlechten Tagen frage ich mich immer wieder, was auf mich zukommt. Wie soll ich meine kommenden Jahre verbringen? Das, was für mich an diesen dunklen Tagen das Schlimmste ist, ist die Ungewissheit. Niemand kann mir sagen, wie mein Verlauf sein wird. Das ist bei jedem anders.

An den guten Tagen sammle ich Informationen, ich lese viel über meine Krankheit. Mir ist es sehr wichtig, mit anderen Menschen zusammenzukommen und mich auszutauschen. Ich gehe in Selbsthilfegruppen und versuche meine sozialen Kontakte aufrechtzuerhalten. Ich stecke noch mitten im Verarbeitungsprozess, ich gehe in Psychotherapie. Ich weiß, dass ich früher sterben werde als andere. Das macht mich immer wieder traurig und wütend. Ich war aber immer jemand, der nicht aufgegeben hat. Also rapple ich mich jeden Tag auf, gehe raus und denke mir, ich will meinen Weg erfüllt gehen."

Das ist Pauls Geschichte. Er ist 56 Jahre alt und besucht seit zwei Monaten eine Selbsthilfegruppe in Wien.

Maria (62) hat Sorge, dass sie an Demenz erkrankt ist. Sie hat, so wie Paul, bemerkt, dass sie sich schlechter orientieren konnte. Dass der Schlaf verändert war, die Köperwahrnehmung "irgendwie anders". Auch das Kurzzeitgedächtnis war nicht mehr so wie früher.

Auch Maria hat den Mut aufgebracht, ihre Befürchtung vor Demenz mit dem Hausarzt zu besprechen. Sie hat mit ihm ein umfassendes Anamnesegespräch geführt, bei dem ersichtlich wurde, dass eine intensivere Testung in einer Gedächtnisambulanz sinnvoll ist. Dort wurden dann unterschiedliche neuropsychologische Tests, Laboruntersuchungen und körperliche Untersuchungen durchgeführt, die letztendlich zeigten, dass Maria an einer starken Depression leidet. Durch passende medikamentöse Einstellung und Psychotherapie konnte Maria durch ihre Krankheit begleitet werden und fühlt sich mittlerweile wieder stärker.

Beide Geschichten berichten von mutigen Menschen. Es braucht Mut, sich dem zu stellen, was Angst macht. Die vielen Vorurteile, die mit Demenz und Vergesslichkeit verbunden sind, machen es schwer, sich auf Abklärungsuntersuchungen einzulassen. Dabei wird leider immer wieder übersehen, dass es einige Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen gibt. Diese sind wiederum gut behandelbar und teilweise heilbar. So wie Marias Depression.

Schwerer wiegt oft die Angst davor, was passiert, wenn eine Demenz tatsächlich diagnostiziert wird. "Und trotzdem. Ich rapple mich jeden Tag auf, gehe raus und denke mir, ich will meinen Weg erfüllt gehen." Um seine Selbstbestimmung, solange es geht, aufrechtzuerhalten, wird Paul sowohl psychotherapeutisch als auch medizinisch begleitet. Zusätzlich besucht er einmal in der Woche eine Selbsthilfegruppe in Wien, damit seine Selbstbestimmtheit, solange es geht, aufrechterhalten bleibt. Wagen Sie es. (Marianne Buchegger, 25.1.2023)