Matteo Messina Denaro nach der Festnahme.

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Matteo Messina Denaro stand zusammen mit zahlreichen anderen Bürgerinnen und Bürgern in einer Schlange vor der Privatklinik La Maddalena in Palermo, als ein Großaufgebot von Carabinieri zuschlug: Der Super-Pate der Cosa Nostra, wie der sizilianische Arm der Mafia genannt wird, seit langem an Krebs erkrankt und an einem Nierenleiden, wollte sich unter falscher Identität offenbar für einige Untersuchungen im Hinblick auf eine Chemotherapie anmelden. Er versuchte noch eine letzte Flucht, vergeblich.

Bevor die Handschellen zuschnappten, fragten ihn die Carabinieri, wie er heiße. "Mein Name ist Matteo Messina Denaro", habe der Gesuchte, der eine Wollmütze und eine dicke braune Lederjacke trug, den Fahndern lapidar geantwortet. So endete die lange Flucht des letzten und gefährlichsten Bosses der sizilianischen Mafia – genau 30 Jahre nach der Verhaftung von Toto Riina, des damaligen Superpaten an der Spitze der Cosa Nostra.

"Boss der Bosse"

Messina Denaro war damals umgehend nach der Verhaftung Riinas untergetaucht – und spätestens nach der Festnahme von dessen Nachfolger Bernardo Provenzano im Jahr 2006 galt der Gangster aus Castelvetrano in Nordwest-Sizilien, der wegen seiner schmächtigen Gestalt "U siccu" (der Dürre) genannt wurde, als der "Boss der Bosse" der Cosa Nostra. Der Sohn des lokalen Paten "Don Ciccio" hatte schon als 18-Jähriger seinen ersten Mord begangen und brüstete sich damit, dass man mit seinen Opfern "einen ganzen Friedhof füllen" könnte.

Die Festnahme Messina Denaros in Palermo.

Bei den Mordanschlägen Anfang der 1990er-Jahre gegen die Mafiajäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino zählte der damals 30-jährige Messina Denaro bereits zum engeren Führungszirkel der Cosa Nostra. Auch bei den Bombenanschlägen in Rom, Florenz und Mailand im Sommer 1993, bei denen zehn Menschen ums Leben kamen und mehr als 100 verletzt wurden, war er beteiligt gewesen. Insgesamt soll Messina über 50 Morde selber begangen oder diese in Auftrag gegeben haben. In Abwesenheit wurde er deswegen zu mehreren lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

Der Name Denaro bedeutet auf Italienisch "Geld" – und dies hatte im Leben von Messina Denaro immer eine zentrale Rolle gespielt. In seiner Jugend fuhr er Porsche-Sportwagen; am Armgelenk trug er goldene Rolex-Uhren. Auch sein Image als Playboy pflegte der Spross des mächtigsten Mafia-Clans von Trapani sorgfältig. Zu seinen Opfern zählte auch ein Hoteldirektor in Castelvetrano, in dessen Betrieb eine Österreicherin gearbeitet hatte, in die sich der damals noch junge Mafioso verliebt hatte: Messina, der mit einigen Freunden immer wieder im Hotel aufgekreuzt war, um der "ragazza" den Hof zu machen, wurde vom Direktor weggewiesen, weil dieser die Präsenz der Gangster als rufschädigend empfunden hatte. Der Hotelier bezahlte seinen Mut mit dem Leben; seine Leiche wurde im Meer versenkt.

Das Untertauchen vor vor 30 Jahren hinderte Messina Denaro nicht daran, ein weit verzweigtes Wirtschafts- und Finanzimperium aufzubauen – mit Drohung und Erpressung aus dem Hintergrund, aber auch durch Schmiergeldzahlungen an korrupte Politiker.

Multimilliardär auch im Untergrund

In dieser ganzen Zeit gab es immer wieder Spuren zu Messina Denaro – unter anderem zu einer Villa im deutschen Baden-Baden. Und erst vor knapp zwei Jahren freute man sich schon über seine Festnahme in Den Haag – allerdings war der Zugriff ein Schlag ins Wasser: Der Mafoso entpuppte sich als ein in Spanien lebender Brite, der für den Besuch eines Formel-1-Rennens in die Niederlande gereist war. Erst nach einem DNA-Test stand fest, dass es sich nicht um den Gesuchten handelte. Auch Berichte, denen zufolge er urlaubend in Griechenland oder bei einem Fußballmatch in Palermo gesichtet worden sei, ließen sich nicht beweisen.

2013 berichtete das Nachrichtenmagazin "L’Espresso", dass Messina Denaro eine Tochter habe, die bei der Mutter des Bosses aufgewachsen war. Nun aber, als Volljährige, wollte sie mit ihrer Familie nichts mehr zu tun haben. Sie ging für immer fort.

"Diabolik", wie Messina Denaro wegen seiner Kaltblütigkeit und in Anlehnung an eine bekannte italienische Comicfigur auch genannt wurde, investierte über Strohmänner große Summen in die legale Wirtschaft, mit Vorliebe ins Baugewerbe und in die vom Staat massiv subventionierte Windkraft. Aber auch Olivenölproduzenten, Supermärkte und Tankstellen gehörten zu seiner mafiösen Holding.

Zettelchen statt Whatsapp-Nachrichten

Das Vermögen des Super-Paten wird aktuell auf vier bis fünf Milliarden Euro geschätzt – obwohl die italienische Justiz im Laufe der Jahre unzählige Vermögenswerte und Immobilien im Wert von mehreren Milliarden Euro konfisziert hatte. Seine Geschäfte und Kontakte organisierte Messina Denaro ganz klassisch – fast schon altertümlich: Statt auf Handys, Computer und Internet setzte er auf "pizzini": kleine Zettelchen mit Notizen, Informationen und Befehlen, die von Hand zu Hand gingen. So hatten schon seine Vorgänger auf der Flucht kommuniziert.

Bei einem Bombenanschlag starben 1992 die Mafiarichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino.
Foto: Reuters / Tony Gentile

Messina Denaro war nach der Verhaftung der beiden Super-Paten Toto Riina und Bernardo Provenzano aus Corleone der letzte Vertreter der Generation der "prima grandezza' – also der Cosa Nostra, die gezielt und in großer Zahl Mitglieder der staatlichen Behörden und Institutionen ins Visier genommen hatten – Politiker, Richter, Staatsanwälte, Polizeibeamte, aber auch Priester und Journalisten.

Gleiche Macht, weniger Morde

Mit der Verhaftung am Montag schließt sich ein Kreis: Riina und Provenzano sind inzwischen im Gefängnis gestorben, nun ist auch ihr schwerkranker Nachfolger Messina Denaro hinter Gittern. Die Mafia ist politisch und wirtschaftlich nach wie vor einflussreich und mächtig, aber sie mordet (fast) nicht mehr: In den 1980er- und 1990er-Jahren starben in Italien jedes Jahr durchschnittlich 500 bis 600 Menschen durch die Hand der Clans, im Rekordjahr 1991 zählte man über 1.900 Tote. Heute liegt die Zahl der Mafiamorde noch bei knapp zwei Dutzend jährlich.

Wie sehr sich das Klima geändert hat, zeigte sich auch an der Reaktion der zufällig Anwesenden bei der Verhaftung: Sie applaudieren, als sie merkten, wen die Carabinieri gerade verhaftet haben. Das hätten sich vor einigen Jahren nur wenige getraut.

"Heute ist ein Tag zum Feiern, denn wir können unseren Kindern sagen: Man kann die Mafia schlagen": So kommentierte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni den Coup der Carabinieri. Man habe zwar nur eine Schlacht und noch nicht den Krieg gewonnen, aber die Verhaftung Messina Denaros sei "ein schwerer Schlag für die organisierte Kriminalität", sagte Meloni, die am Montag gleich ins Flugzeug nach Palermo stieg, um die Sicherheitskräfte zu ihrem Erfolg zu beglückwünschen.

Messina Denaro wurde indes in eine Carabinieri-Kaserne gebracht und soll umgehend in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt werden. (Dominik Straub, 16.1.2023)