Eine Mauerdurchbruchstelle im Keller.

Foto: Regine Hendrich

Der Notausstieg auf dem Gehsteig.

Foto: Regine Hendrich

Das Forscherteam Wiener Unterwelten in einem alten Luftschutzkeller im ersten Bezirk.

Foto: Regine Hendrich

Historiker Marcello La Speranza (li.) und Fotograf Lukas Arnold.

Foto: Regine Hendrich

Die verlassene Gärtnerei Hirschstetten in der Donaustadt.

Foto: Lukas Arnold

Tiefbunker am Yppenplatz im 16. Bezirk.

Foto: Lukas Arnold

Verlassene Jugendstilkapelle in der Vega-Payer-Weyprecht Kaserne in 1140 Wien.

Foto: Lukas Arnold

In jenem Gründerzeitgebäude Ecke Rosengasse und Teinfaltstraße in der Wiener Innenstadt, in dem die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) residiert, ist ein Stück Geschichte unter der Erde verborgen. Wer es aufsuchen möchte, muss am Portier vorbei, durch eine Tür und zwei Stockwerke hinuntersteigen. Folgt man der Markierung an der Wand, ein nach unten zeigender Pfeil, findet man sich in einem verlassenen, verstaubten Luftschutzkeller wieder. Er ist Teil des im Zweiten Weltkrieg geschaffenen "Schutzraum-Netz Innere Stadt", einer kilometerlangen Tunnelanlage, die von den Nationalsozialisten zum Schutz vor Bomben errichtet wurde: Kelleranlagen wurden ausgebaut, mit der nötigten Infrastruktur ausgestattet unda unterirdisch mit benachbarten Wohnblöcken verbunden.

Die alten Holztüren im Keller des GÖD-Kellers stehen noch, die gezimmerten, mit Wandverputz belegten Holzbänke entlang der Wand ebenso. Reste der alten Stromleitung baumeln von der Decke, ein Feuerlöscher hängt noch in einer Ecke. Kennzeichen wie ein auf eine Holztüre aufgemaltes Rotes Kreuz am Sanitätsraum sind noch erkennbar, in einem Bereich des Kellers weist die Aufschrift "Nur für Küch.personal" auf nach Personengruppen geordnete Abschnitte hin. Die phosphoreszierende Markierung der Notausgänge und der Mauerdurchbruchstelle im Fall einer Verschüttung leuchtet nach 80 Jahren immer noch im Dunklen.

In einer Nische des Kellers führt eine Sprossleiter aus Eisen aus dem Schacht nach oben ins Freie, zu einem der Notausgänge, über die man den Gehsteig erreichen kann. Die Ausstiege sehen aus wie Kanaldeckel, erkennbar sind sie an der Aufschrift "Notausstieg Mannesmann". Es ist der Name jenes inzwischen aufgelösten deutschen Unternehmens, das sich ab dem 19. Jahrhundert auf Eisenformen spezialisiert hatte. Hier harrten Menschen während der Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg aus. Bis zu fünf Stunden dauerte es mitunter, bis Entwarnung gegeben wurde, erklärt der Historiker und Archäologe Marcello La Speranza. Er ist Autor mehrerer Bücher mit dem Schwerpunkt Festungsbauwerke und Militärgeschichte, außerdem ist er Kurator der Ausstellung "Erinnern im Inneren" im Haus des Meeres im sechsten Bezirk.

Die vergessene Seite der Stadt

Und er ist ein Teil des Forscherteams Wiener Unterwelten. Der andere Teil ist der Fotograf Lukas Arnold. Als Kind schon hätten ihn mittelalterliche Burgruinen "magisch angezogen", erzählt Arnold. Als Fotograf begeistere ihn nun die "Ästhetik des Verfalls".

Die beiden lernten sich vor fünf Jahren kennen, sie teilen eine Passion für verlassene, unerforschte Orte. Sie wollen Wien "von einer dunklen, geheimnisvollen und vergessenen Seite" zeigen, denn in der Unterwelt, "da lebt die Geschichte", sagt La Speranza.

Kürzlich ist ihr Bildband "Verfallene Orte in Wien" erschienen. 22 Orte in insgesamt 18 Bezirken haben sie dafür aufgespürt, "die es unserer Meinung nach Wert sind, dokumentiert und festgehalten zu werden", erzählt Arnold. Darunter fallen beispielsweise den Leiner auf der Mariahilferstraße vor dessen Abriss, eine vergessene Jugendstilkapelle in Breitensee oder der Feuerleitturm im Arenbergpark. Und sie verschaffen sich Zugang zu verborgenen Welten unter Straßen und Plätzen wie dem Bunker unter dem Yppenplaz.

"Einmalige Zeitkapsel"

Der Luftschutzkeller nahe der Freyung war zum Zeitpunkt seiner Errichtung Teil eines Amtsgebäudes des NS-Verbands "Deutsche Arbeitsfront". Die Fläche blieb nach Kriegsende weitgehend ungenützt. La Speranza sagt, es handle sich um eine "seinerzeitige mustergültige Ausstattung eines Luftschutzkellers" und daher um eine "einmalige Zeitkapsel". Er sagt auch, er würde sich von der Stadt und von manchen Hausbesitzern mehr Initiativen wünschen, um "auch solche Orte aus dunklen Kriegsjahren für die Zukunft zu erhalten".

Vonseiten der Kulturabteilung der Stadt heißt es, es gebe zwar keine Initiativen, die sich ausschließlich auf den Schutz sogenannter Lost Places spezialisieren. Jedoch stünden etwa sämtliche in Wien noch vorhandenen Luftschutzbunker unter Denkmalschutz. Zudem verweist man auf den Altstadterhaltungsfonds – ein Förderinstrument, das auf Antrag der Eigentümerinnen und -eigentümer die Restaurierung und Konservierung historischer Bauten unterstützt. "Wir haben in der Regel keinen Einfluss darauf, welche Gebäude erhalten werden", sagt Arnold. "Aber wir können sie zumindest dokumentieren." (Anna Giulia Fink, 16.1.2023)