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Die langjährige Trikotnummer des kanadischen Eishockey-Stars Eric Lindros (hier in der Mitte bei einem Benefizspiel im November) führt ein Angeklagter als Begründung für sein Faible für die Nummer "88" an.

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Wien – Das am häufigsten ausgetragene Fußball-Derby Europas ist jenes zwischen Celtic Glasgow und den Glasgow Rangers. In der Saison 2016/17 war das auch als "The Old Firm" bezeichnete Aufeinandertreffen ein besonderes, da es das erste Spiel war, nachdem vier Jahre zuvor die Rangers wirtschaftlich zusammengebrochen sind. Für den heute 36-jährigen Herrn T. hat ein damaliger Pub-Besuch in Wien, um den Kick zu verfolgen, mehr als unangenehme Folgen: Der Österreicher muss sich vor einem Geschworenengericht unter Vorsitz von Stefan Apostol wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verantworten.

Es geht um zwei Fotografien, die im Zuge des Lokalbesuchs aufgenommen worden sind. Auf einer von ihnen soll der Angestellte den rechten Arm ausgestreckt haben und damit den "Hitlergruß" zeigen. Das Pikante daran: Auf beiden Abbildungen ist auch sein Vater mit dieser nazistischen Geste zu sehen. Der wurde aber nicht angeklagt, da bei ihm kein subjektiver Tatvorsatz nachweisbar gewesen sei, wie die Staatsanwältin bei ihrem Eröffnungsvortrag sagt.

Trikot mit Nummer "88"

Beim Sohn sei die Sache dagegen anders gelagert: Bei einer Hausdurchsuchung wurden Dateien sichergestellt, die sehr wohl eine rechte Gesinnung nahelegen. Und auch ein Eishockey-Trikot mit T.s Namen und der Spielernummer "88", das im Prozessverlauf eine Rolle spielen wird.

Die juristische Ungleichbehandlung der beiden Verwandten greift der Verteidiger mit Verve auf. Auch sein unbescholtener Mandant habe keinerlei subjektiven Vorsatz zur nationalsozialistischen Wiederbetätigung gehabt, sondern das Bild sei nach einem stundenlangen alkoholgeschwängerten Treffen von Fußballfans entstanden. Die bei T. gefundenen anderen Dateien seien zwar "teilweise geschmacklos, teilweise vielleicht tatbildmäßig, aber er hat sie nicht weitergeschickt, daher sind sie auch nicht angeklagt", erklärt der Verteidiger den Geschworenen. Überhaupt habe der 36-jährige Angestellte die inkriminierten Dateien selbst nur per Whatsapp übermittelt bekommen.

Und zwei Videos, in denen der sturzbetrunkene Angeklagte Judenfeindliches grölt? "Herr T. hat mir erklärt, dass er Rapid-Fan ist. Und wer die Fußballgeschichte kennt, weiß, dass Austria Wien in der Zwischenkriegszeit als 'Judenverein' bezeichnet worden ist. Sie wissen aus den Medien, wie primitiv diese Fußballanhänger sind", leitet der Verteidiger kühn ab, "die Beschimpfungen haben sich nur gegen Austria-Fans gerichtet."

"Nicht schuldig" für "unfassbaren Blödsinn"

Auf die Frage des Vorsitzenden bekennt T. sich "nicht schuldig". Als Verteidigungslinie wählt er zwei Schienen: "Es war in meiner Jugendzeit, ich war sehr mitläuferisch", meint er zu dem vor sechs Jahren entstandenen Foto vor dem Pub. Und: "Aus einer extrem vollg'soffenen G'schicht ist ein unfassbarer Blödsinn entstanden, aber ich habe den Nationalsozialismus nicht glorifiziert!", begründet er, warum er sich unschuldig sieht. Den Laienrichterinnen und -richtern verrät der Angestellte auch noch, dass er seit zwei Jahren in Therapie sei, da er auch andere Probleme in seinem Leben hatte, die er nun erfolgreich hinter sich lassen konnte.

"Können wir uns darauf einigen, dass es der 'Hitlergruß' ist?", will Apostol wissen. Bei der Polizei hatte T. zunächst nämlich noch behauptet, es handle sich um etwas anderes. Ja, er habe sich im Rausch damals mitreißen lassen, gibt der Angeklagte zu. "Was glauben Sie, ist der Aussagegehalt, wenn jemand das Bild sieht?" – "Dass es ein unglaublicher Blödsinn ist. Aber ich habe nichts glorifiziert!", bleibt T. dabei.

Apostol wundert sich zwar, warum das Verfahren gegen den Vater eingestellt worden ist, beschäftigt sich dann aber mit den bei der Hausdurchsuchung sichergestellten Dateien und dem Trikot. Zu Ersteren sagt T., es handle sich um "geschmacklose Bilder". Dass auf der Sportbekleidung sein Name samt der Nummer "88" stehe, habe einen ganz anderen Hintergrund.

Wissensdefizite zu angeblichem Idol

"Ich habe früher Eishockey gespielt, und Eric Lindros war mein großes Vorbild. Und der hatte die Nummer 88", behauptet der Angeklagte. Der Vorsitzende beherrscht jedoch die Benutzung einer Suchmaschine einwandfrei und kann daher die Frage stellen: "Lindros? Wo hat der denn überall gespielt?" T. zählt mehrere Vereine auf, darunter die "Edmonton Oilers. Mit denen hat er den Stanley Cup gewonnen." Apostol schaut auf seine Notizen. "Nein, für die hat er nie gespielt. Und auch für viele der anderen Vereine, die Sie erwähnt haben, nicht." Lindros gewann den prestigeträchtigsten Eishockey-Pokal übrigens überhaupt nie.

Apostol hat aber neben dem fehlenden Wissen über das angebliche Idol Lindros noch einen anderen Grund, an der Aussage des Angeklagten zu zweifeln. "Die Nummer 88 hat Sie ja sonst auch beschäftigt", hält er T. die gefundenen digitalen Bilder vor. Auch dort findet sich dieser aus dem achten Buchstaben des Alphabets – also "H" – abgeleitete Code für "Heil Hitler" mehrmals. Der Vorsitzende zeigt ihm auch noch andere sichergestellte Abbildungen aus dem Akt, etwa die "Hitler Sport Marzipanschokolade". "So was findet man nur bei Nazis", merkt der Vorsitzende an, der monatlich Fälle von NS-Wiederbetätigung verhandelt. Auf einem anderen bearbeiteten Bild ist zur Aufschrift "Multi-Kulti ist für'n Arsch" das Gesicht einer ehemaligen Grünen-Politikerin auf eine pornografische Aufnahme montiert.

"Judenschweine!" und "Hitlergruß"

"Diese Sachen habe ich bekommen zum Teil. Das sind Dinge, die im Internet kursieren", stellt der Angeklagte klar. Zwei Videos hat er allerdings selbst gemacht, der Vorsitzende spielt sie vor. Zu sehen ist T., der alkoholinduziert zwar schwierig zu verstehen ist, aber unter anderem zum Refrain eines Schlagers "Judenschweine!" brüllt und den rechten Arm ausstreckt. "Das gilt rein der Austria Wien", verteidigt er sich, wiewohl er gleichzeitig zugibt, sich für die Aufnahmen heute zu schämen.

"Jetzt haben Sie vorher gesagt, bei dem Hitlergruß vor dem Pub haben Sie sich 'mitreißen' lassen, da Sie betrunken waren. Jetzt zeigen Sie ihn da auf dem Video auch?", wundert Apostol sich. T. kann nur neuerlich betonen, dass das Jahre her und er "ein glühender Fußballfan" gewesen sei. Sein Verteidiger hat sogar einen langjährigen Freund seines Mandanten stellig gemacht. Der war zwar im Pub nicht dabei, ist aber selbst nach Eigenangaben gläubiger Jude und habe nie ein Problem mit dem Angeklagten gehabt, berichtet der Zeuge.

Religiöse Unschärfen beim Verteidiger

Die Anklägerin betont in ihrem Schlussplädoyer, es gehe nicht darum, "T. jahrelang wegzusperren, sondern darum, ein Zeichen zu setzen". Der Verteidiger versucht dagegen herauszustreichen, dass der Angeklagte keine nationalsozialistische Gesinnung in sich trage. Die Wortwahl bei der Argumentation ist optimierungsfähig. Der Rechtsvertreter unterstreicht die Religiosität des jüdischen Charakterzeugens nämlich mit der Begründung: "Er geht regelmäßig in die Moschee."

Die Laienrichterinnen und -richter sind sich rasch einig: Mit sieben zu einer Stimme sprechen sie T. der Wiederbetätigung schuldig. Er wird rechtskräftig zur Mindeststrafe von einem Jahr bedingt verurteilt. "Sie haben sich keinen Gefallen getan mit Ihrer Verantwortung", begründet der Vorsitzende das Strafmaß. Zwar würden die Milderungsgründe klar überwiegen, und es handle sich um einen vergleichsweise minderschweren Fall, das fehlende Geständnis biete aber keine Möglichkeit einer außerordentlichen Strafmilderung. (Michael Möseneder, 16.1.2023)