Alexej Nawalny ist seit zwei Jahren kein freier Mann mehr.

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Es war vor genau zwei Jahren, da kehrte der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny zurück nach Moskau und wurde noch am Flughafen festgenommen. Er wurde zuvor unter nach wie vor ungeklärten Umständen mit dem Nervengas-Kampfstoff Nowitschok vergiftet, danach hatte man ihn in Deutschland medizinisch behandelt. Damals erklärte Nawalny, er wolle sich im Land dem Kampf gegen Putin stellen – nicht aus der Ferne als Kritiker im Ausland.

Immer wieder nutzt er nun, trotz drohender neuer Strafen, seine Auftritte bei laufenden Gerichtsverfahren, auch um öffentlich Wladimir Putins "Spezialoperation" gegen die Ukraine anzuprangern. Nun scheint Alexei Nawalny ernsthaft erkrankt. Sein Anwalt hatte bereits vor einigen Tagen kritisiert, sein in eine Isolationszelle gesperrter Mandant leide unter Fieber, Schüttelfrost und Husten. Medizinische Hilfe werde ihm verwehrt.

Neun Jahre Straflager

"Seid ihr überhaupt Menschen?", schreibt Julia Nawalnaja, Nawalnys Ehefrau, in einem dramatischen Appell an die Leitung der Strafkolonie in Melechowo, 260 Kilometer nordöstlich von Moskau. "Was geht in euren Köpfen vor, wie lebt ihr, wenn ihr euch darüber freut, dass ihr absichtlich einen Menschen habt erkranken lassen, dass ihr ihn nicht pflegt und ihm keine Medikamente gebt?"

Neun Jahre muss Nawalny im Straflager bleiben, verurteilt wegen angeblichen Betrugs. Ein Urteil, das viele, nicht nur seine Anhänger, als politischen Skandal betrachten. Zuletzt wurde er in die "Liste der Terroristen und Extremisten" aufgenommen. Die Klage dagegen verlor Nawalny. Er ist im Straflager nun unter "strengem Regime". Das bedeutet Verschärfung der Haftbedingungen: weniger Besuche, weniger Briefe und Pakete, Verkürzung der täglichen Spaziergänge im Freien.

Im "Betonkäfig"

Nawalny lebt nach eigenen Angaben in einer eigens umzäunten Holzbaracke. Immer wieder komme er in Isolationshaft wegen geringster Vergehen – etwa weil er sich zur falschen Zeit das Gesicht gewaschen hatte. "Seit Mitte August ist die ‚Wohnstätte‘ meines Vaters eine zwei mal zwei Meter große Strafzelle, die für einen zwei Meter großen Mann eher wie ein Betonkäfig aussieht", schreibt Nawalnys Tochter Dascha. "Er sitzt den ganzen Tag auf einem niedrigen Eisenstuhl (was die Rückenschmerzen verstärkt). Sogar sein Bett ist von 6 bis 22 Uhr an die Wand geschraubt."

Inzwischen setzen sich russische Ärzte in einem offenen Brief an Putin für eine adäquate medizinische Behandlung Nawalnys ein. "Die Haftbedingungen und das äußere Erscheinungsbild von Alexej Nawalny bereiten uns große Sorgen um sein Leben und seine Gesundheit", heißt es. Laut dem unabhängigen Onlinemedium Meduza haben bereits 600 Mediziner diesen Brief unterschrieben. Darunter auch Ärzte, die in staatlichen Kliniken arbeiten.

Der Protest hatte Erfolg. Laut seinem Anwalt bekommt Nawalny jetzt ein Antibiotikum und hatte Besuch vom Chefarzt einer Klinik, in der er schon nach einem lebensbedrohlichen Hungerstreik behandelt worden war.

Angst vor möglichen Repressalien haben die Unterzeichner des offenen Briefes offenbar nicht. In Meduza bringt es etwa der Transfusionsmediziner Mikhail Strimban auf den Punkt: "Ich bin 59 Jahre alt, ich habe es satt, Angst zu haben." (Jo Angerer aus Moskau, 16.1.2023)