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Ist Elternwerden eine Klimasünde?
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Mit ihrem Freund ist sie seit ein paar Jahren zusammen, die beiden wollen heiraten, und kürzlich habe sie sich sterilisieren lassen, sagt Laura. Die junge Frau findet: Ein Kind zu bekommen wäre "egoistisch". Nicht nur würde dieses die Auswirkungen des Klimawandels noch stärker spüren – es würde auch wesentlich dazu beitragen. Neben einer vegetarischen Ernährung und einem E-Bike sei ihr größter Beitrag zum Klimaschutz daher, auf Kinder zu verzichten.

Eine Entscheidung, die die deutsche Autorin Verena Brunschweiger nur gutheißen kann. Ihre zwei umstrittenen Bücher Kinderfrei statt kinderlos und Die Childfree-Rebellion sind eine Art Manifest gegen das Kinderkriegen. Kinder seien das Schlimmste, was man der Umwelt antun könne, argumentiert die Lehrerin aus Regensburg. Durch jedes nicht geborene Kind würden über 58,6 Tonnen CO2 jährlich eingespart.

Wegen der Menschen in den westlichen Industriestaaten würden Tiere aussterben und Menschen im Globalen Süden unter schweren Bedingungen leben müssen. "Ich weiß nicht, wie das die werdenden Eltern noch mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Allein wegen dieser Gruppen ist es geboten, dass wir reproduktionsmäßig ein bisschen zurückfahren", sagt Brunschweiger im Gespräch mit dem STANDARD. Anstatt eigene Kinder zu bekommen, sollte man Kinder bei sich aufnehmen, die schon geboren sind und keine Eltern mehr haben oder nicht bei ihren Eltern leben können. Sie selbst habe sich eingelesen und gemerkt, "was ich der Umwelt Gutes tun kann, wenn ich auf die Mutterschaft verzichte".

Harry und Meghan wollen sich aus Klimagründen auf zwei Kinder beschränken. Für Verena Brunschweiger wären zwei aber schon zu viele. Ein Kind pro Paar dürfe es maximal sein.
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Damit die Geburtenrate zurückgeht, fordert Brunschweiger die freiwillige Einkindpolitik. Indem es ab dem zweiten Kind weniger Karenzgeld gibt oder Kinderlose 50.000 Euro zum 50. Geburtstag erhalten, sollte die Überbevölkerung des Planeten eingedämmt werden. Die Pflege könnten künftig Roboter übernehmen oder Klimaflüchtlinge, die aus dem Globalen Süden nach Europa kommen, weil ihre Länder wegen der Erderhitzung nicht mehr bewohnbar sind.

Sind Eltern wirklich egoistische Klimasünder? Und wie würde eine Gesellschaft aussehen, in der die Menschen aufhören, Kinder zu bekommen? Das haben wir einen Demografen, einen Experten für Klimapolitik und eine Philosophin gefragt.

Der Demograf:

"Die Weltbevölkerung kann nicht unendlich wachsen, aber wir müssen vor allem beim Konsum gegensteuern"

"Wenn Frau Brunschweiger vorschlägt, dass die Menschen weniger Kinder bekommen sollen, geht sie meiner Vermutung nach von sehr negativen Annahmen aus. In ihrer Argumentation bezieht sie sich auf einen Artikel von Seth Wynes und Kimberly Nicholas von 2017. Die Autoren bedienen sich darin älterer Zahlen und schreiben, dass jedes ungeborene Kind 58,6 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen würde – mehr als auf Autofahren oder Flugreisen zu verzichten. Eine solche Zahl ist natürlich dramatisch – und kann Eltern bewusst machen, wie schlimm es werden könnte und welche Verantwortung sie tragen. Die Prognose basiert jedoch auf recht dünner Datengrundlage und folgt anschließend sehr pessimistischen, vereinfachenden Annahmen. Es ist beispielsweise nicht unbedingt davon auszugehen, dass künftige Kinder und Kindskinder so konsumieren werden, wie es der Durchschnitts-US-Amerikaner der 2000er-Jahre getan hat.

Nicht die Bevölkerungszahl allein ist entscheidend, sondern auch, wie viel Wohlstand herrscht und wie dieser Wohlstand genutzt wird. Die Weltbevölkerung kann nicht ins Unendliche wachsen, aber wir müssen vor allem beim Konsum gegensteuern. Und da werde ich nicht müde zu betonen, wie wichtig sogenanntes 'parenting for sustainability' ist. Die werdenden Eltern haben es in der Hand: Setzen sie ein Kind in die Welt, das ohne jegliches ökologisches Bewusstsein aufwächst und konsumiert, als gäbe es kein Morgen? Oder geben sie ihm mit, dass die Umwelt und Tiere schützenswert sind? Studien aus Dänemark zeigen, dass Kinder, die mit ihren Eltern mehr Zeit in der Natur verbringen, ein stärkeres Umweltbewusstsein entwickeln.

Der Vorschlag, dass sich anstelle unserer Kinder künftig Klimaflüchtlinge um die älteren Menschen kümmern, wäre politisch wohl nur sehr schwer umzusetzen. Das könnte für gesellschaftliche Instabilität sorgen und von radikalen Gruppierungen für Verschwörungstheorien genützt werden. Es löst aber auch nicht das Problem der Überalterung, denn auch Flüchtlinge altern. Außerdem ist nicht gesichert, dass automatisch mehr Menschen zu uns kommen, je extremer die klimatischen Bedingungen im Globalen Süden werden. Es kann sein, dass sie sich dann den Weg durch die Wüste mit Schleppern gar nicht mehr leisten können. Der Klimawandel wird nicht ganz Afrika nach Europa holen – er wird eher zu mehr Binnenmigration führen. Es werden Leute aus Teilen Afrikas, wo Landwirtschaft nicht mehr möglich ist, in die Städte abwandern. Erst wenn dort die Situation kritisch wird, könnten die Reicheren nach Europa aufbrechen.

Zu Ende gedacht, was Frau Brunschweiger fordert, könnte das zu einer Gesellschaft von Klimaskeptikern führen. Würden nämlich umweltbewusste Paare eher auf Kinder verzichten, bestünde die nächste Generation vielleicht aus Menschen, die von Eltern großgezogen wurden, die den Klimawandel für Unsinn halten. Würden sie dann so lange konsumieren, bis die Welt sozusagen in der Klimakatastrophe versinkt? Oder würden auch diese jungen Menschen früher oder später bemerken, dass ihre Eltern auf dem Holzweg waren und es Zeit ist, etwas zu ändern?"

Erich Striessnig leitet das Institut für Demografie an der Universität Wien.

Der Klimaexperte:

"Man sollte mehr ans Leben glauben und alles daransetzen, dass das schlimmste Szenario nicht eintritt"

"Es wäre meiner Meinung nach ein fataler Fehler, wenn sich die Klimabewegung gegen Leben wenden würde. Noch dazu, weil die Bevölkerung in reichen Ländern ohne Migration ja sowieso rückläufig wäre. Die Bevölkerung wächst auch nur in jenen Gegenden stark, wo die Pro-Kopf-Emissionen mit ein bis zwei Tonnen pro Kopf ohnehin extrem niedrig sind – etwa in Afrika.

Die Forderung, keine oder weniger Kinder zu bekommen, ist also eine, die im Grunde genommen von einem anderen Problem ablenkt – dem fossilen Lebensstil. Selbst wenn sich die Geburtenrate halbiert: Mit dem Lebensstil, den wir jetzt haben, würden wir immer noch zu viel ausstoßen. Der Fokus muss also sein, vom fossilen Lebensstil wegzukommen. Wir brauchen eine schnelle Dekarbonisierung, die Emissionen bis 2030 halbiert.

Zum einen müssen wir die Umsetzung von Lösungen beschleunigen, anstatt sie nach wie vor zu bremsen. Genau das passiert im Moment, zum Beispiel indem Bewilligungen für Photovoltaik- und Windkraftanlagen lange dauern. Zum anderen brauchen wir dringend neue Konsummuster, ganz besonders bei der Ernährung. Für ein stabilisiertes Klima müsste unser Fleischkonsum sinken. Auch der Flugverkehr müsste abnehmen, aber in den nächsten Jahren wird genau das Gegenteil der Fall sein. Beim Artensterben ist ebenfalls nicht das Bevölkerungswachstum, sondern die industrielle Landwirtschaft mit ihren Spritzmitteln und die globale Erhitzung das Problem. Diese Art von Landwirtschaft sollte man nicht einmal mit der Hälfte der Bevölkerung aufrechterhalten.

Wichtig ist auch zu sagen, dass die Herausforderungen einer Gesellschaft ja nicht nur ökologischer, sondern auch sozialer und ökonomischer Art sind. Wenn die Menschen weniger oder gar keine Kinder mehr bekommen, könnte eine Überalterung zum Problem werden. Eine freiwillige Einkindpolitik wäre zwar harmloser als das, was in China gemacht wird, trotzdem halte ich es für problematisch, wenn sich der Staat hier einmischt.

Wenn jemand allerdings aus persönlicher Entscheidung sagt, er möchte kein Kind in eine Welt setzen, die auf ein Chaos zusteuert, dann ist das zu respektieren. Zugleich ist es natürlich bedauerlich, denn ich glaube, dass menschliches Leben auch unter schwierigen Umständen lebenswert ist. Man sollte mehr ans Leben glauben und alles daransetzen, dass das schlimmste Szenario nicht eintritt.

Hoffnung gibt besonders die junge Generation, die unsere Gesellschaft gerade umzukrempeln versucht. Ich sage immer: Früher haben Erwachsene ihren Kindern die Welt erklärt, heute erklären Jugendliche und junge Erwachsene ihren Eltern die Klimakrise. Sie kennen sich aus – und geben ganz entscheidende Impulse, weil es um ihre Zukunft geht."

Reinhard Steurer ist Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur.

Die Philosophin:

"Wir wollen doch nicht das Klima um des Klimas willen retten, sondern die Klimakrise vermeiden, damit wir überleben können"

"Auf die Frage, ob man heute noch Kinder bekommen darf, würde ich sagen: Ja, man darf. Aber es sollte eine bewusste Entscheidung sein.

Der Antinatalismus, in dessen Richtung auch die Argumentation von Verena Brunschweiger geht, ist kein neues Phänomen. Es gab ihn im Buddhismus, im Christentum, bei Arthur Schopenhauer. Er geht davon aus, dass Leid um jeden Preis zu vermeiden ist. Deshalb sei es womöglich besser für den Menschen, gar nicht erst geboren zu werden. Das ist schon mein erster Kritikpunkt: Warum sollte Leid das einzige Kriterium sein? Ich könnte doch auch ins Zentrum meiner Überlegungen stellen, wie Leben gelingen und gedeihen kann. Derzeit gewinnen antinatalistische Bewegungen wieder an Fahrt – vor allem durch die Klimakrise. Auch hier sollte die Frage nicht lauten, ob es Menschen überhaupt braucht, sondern eher: Brauchen die Menschen nicht einen anderen Lebensstil?

Die Forderung, dass die Politik bei der Entscheidung für oder gegen Kinder mit Goodies eingreifen soll, halte ich für einen irritierenden Vorschlag. Vielmehr sollte die Politik verantwortungsvolle Entscheidungen möglich machen, etwa indem sie kostenlos Verhütungsmittel zur Verfügung stellt. Damit würde sie ermöglichen, dass sich Menschen gegen ein Kind entscheiden können oder auch zum richtigen Zeitpunkt für ein Kind. Finanzielle Anreize für Kinderlose zu schaffen, wenn vielerorts Verhütung schlecht verfügbar oder ein Schwangerschaftsabbruch nicht möglich ist, fände ich zynisch.

Dass ein 'sanftes' Aussterben der Menschheit – wie es der Antinatalismus empfiehlt – funktionieren würde, kann ich mir nicht vorstellen. Denn die Gesellschaft würde unter anderem überaltern – dabei ist doch eine gute Durchmischung wesentlich für eine gedeihliche und funktionierende Gesellschaft. Außerdem: Wenn man schon ein Aussterben fordert, wäre es dann nicht nur logisch, es jetzt gleich zu beenden, anstatt bis zum 'natürlichen' Lebensende zu warten, um weiteres Leid bis dahin jedenfalls ausschließen zu können? Wäre dann nicht eine Selbsttötung die Konsequenz? Diese Frage wird von Antinatalisten selten beantwortet.

Zu sagen, dass es anderen helfen würde, wenn wir tot wären, dieses Argument finde ich ebenfalls schwierig. Damit wird über ganz viele Kreisläufe spekuliert, die wir nicht ausreichend überblicken können. Warum soll es besser sein, wenn uns andere Lebewesen überleben? Wenn wir Menschen sterben, welche Auswirkungen würde das auf die restlichen Lebewesen et cetera haben? Wir wollen doch nicht das Klima um des Klimas willen retten, sondern die Klimakrise vermeiden, damit wir überleben können.

Wenn Sie mich fragen, was Eltern ihren Kindern schulden, würde ich sagen: Lebensbejahung – trotz allem. Die Zukunft ist ungewiss, und wir spekulieren, was 2050 sein wird: Wir müssen am Besseren arbeiten, unseren Lebensstil hinterfragen und endlich ändern – anstatt in einer apokalyptischen Verdrossenheit zu versinken. Das sind wir Kindern 'schuldig'."

Lisz Hirn ist Philosophin, Publizistin und Dozentin. Sie ist Obfrau des Vereins für praxisnahe Philosophie und im Vorstand der Gesellschaft für angewandte Philosophie.

(Text und Protokolle: Lisa Breit, 29.1.2023)