Eine grobe Unzufriedenheit mit dem Regierungskurs kann der grüne Vizechef an der eigenen Basis nicht ausmachen.

Werner Dedl

Der leidenschaftliche Tarockspieler, Hobbytischler und Sänger Stefan Kaineder ist bemüht, als grüner Landesparteichef in Oberösterreich und als Bundesvize gleich auf zwei großen Politbühnen den Ton anzugeben. Sein religiöses Unterfutter sieht er als studierter Theologe im politischen Alltag durchaus als Vorteil.

STANDARD: Studien der jüngsten Zeit zeigen einmal mehr, dass das Vertrauen in die Politik massiv gesunken ist, das Image sich extrem verschlechtert hat. Beunruhigen Sie solche Fakten?

Kaineder: Ich sehe es vielmehr als Auftrag. Wenn ich die Leute auf der Straße frage, was sie von der Politik erwarten, dann sagen die: "Arbeiten, Verantwortung übernehmen, Entscheidungen herbeiführen." Und sich nicht in andere Richtungen verirren. Und diesbezüglich haben wir jetzt zu liefern.

STANDARD: Bleiben wir bei den nackten Zahlen: 1981 stimmten der Aussage, Politiker würden Ihre Sache im Großen und Ganzen nicht gut machen, 30 Prozent zu. Im vergangenen Sommer waren es dagegen 61 Prozent. Ebenfalls 64 Prozent sind davon überzeugt, dass Politikerinnen und Politiker bestechlich sind.

Kaineder: Sie können mir jetzt noch so viele Zahlen vorlegen. Ich bin und bleibe ein Optimist. Und sehe daher die Studienergebnisse als Spiegel einer sehr konsequenten Arbeit unserer grünen Justizministerin. Sie hat dafür gesorgt, dass jeder und jede vor dem Gesetz gleich behandelt wird. Unabhängig von Rang und Amt wird gegen Personen ermittelt. Und da gibt es halt einen riesigen Scherbenhaufen im Nachklang von Schwarz-Blau. Den die Grünen jetzt wegräumen.

STANDARD: Es ist ja durchaus elegant, aus der genannten Umfrage letztlich ein grünes Plus herauszulesen ...

Kaineder: Aber es passiert de facto so. Es sind vor allem dank der Grünen viele unschöne Dinge aufgekommen, die wir jetzt konsequent bereinigen. Die Grünen stehen eben für eine saubere Politik.

STANDARD: Eine andere Conclusio vieler Politologen ist, dass es mehr Transparenz in der Politik braucht. Umgekehrt gefragt: Wieso wird so gerne gemauschelt in der Politik?

Kaineder: Ich nehme für uns in Anspruch, dass wir genau das Gegenteil machen. Wir haben auf Bundesebene europaweit herzeigbare, große Schritte gemacht. Etwa wenn es um gläserne Parteikassen geht und der Rechnungshof heute in die Bücher schauen kann. So etwas schafft Transparenz. Gemauschel hat in der Politik nichts verloren.

STANDARD: Man hat aber das Gefühl, die Grünen als Junior-Regierungspartner sind über weite Strecken völlig schmerzbefreit. Kein Skandal auf ÖVP-Seite scheint die Koalition auch nur ansatzweise zu erschüttern, vor allem weil die Grünen brav in Demut den Kopf einziehen, oder?

Kaineder: Der Maßstab, an dem ich diese Regierungsbeteiligung messe, ist, ob wir grüne Politik umsetzen können. Und ganz ehrlich: Die relevanten Initiativen diese Bundesregierung kommen aus der grünen Ecke. Da müssen sogar Sie mir wohl zustimmen. Klima ticket, Abschaffung der Maklerprovisionen, verpflichtende Herkunftskennzeichnung auch in der Gastronomie. Es gelingt uns sehr eindrucksvoll, dieses Land besser zu machen.

STANDARD: Der Preis für die genannten Erfolge in Grün ist dennoch ein hoher. Etwa wenn die ÖVP auffallend deutlich nach rechts blinkt und sich in Asyl- und Migrationsfragen, wie zuletzt beim Schengen-Thema, klar positioniert. Warum kommt da von grüner Seite keine Kritik?

Kaineder: Ich bin nicht der Erklärbär der ÖVP. Das steht auch so in keinem Regierungsprogramm. Wenn die ÖVP glaubt, sie muss merkwürdige politische Aussagen machen, dann muss man eben auch die ÖVP dazu fragen.

STANDARD: Es gibt allerdings eine beachtliche Menge an Grünwählerinnen und Grünwählern, die von ihrer Partei maßlos enttäuscht sind und sich bei grünen Kernthemen – etwa dem Migrationsbereich – deutlich mehr Kante wünschen würden. Ist es nicht schlichtweg die Angst, dass man weiß, dass man im Fall von Neuwahlen wohl die Regierungsbank räumen müsste?

Kaineder: Ich habe sehr viel mit Grünen, Gemeinderätinnen und Gemeinderäten sowie Sympathisantinnen und Sympathisanten zu tun. Und da bekomme ich eigentlich ausschließlich positive Rückmeldungen. Aber ja: Einfach ist die Regierungsarbeit nicht. Und es fordert von uns ein gewisses Maß an Pragmatismus. Aber um es uns einfach zu machen, sind wir ohnehin nicht in die Politik gegangen. Und bei Vorhaben wie der Aufhebung des Amtsgeheimnisses braucht es eben einen längeren Atem. Aber wichtig ist doch, dass wir als Grüne da nicht lockerlassen.

STANDARD: Etwa das Mittragen des strammen Rechtskurses der ÖVP sorgt durchaus für ein spürbares Brodeln an der grünen Basis. Ist der Weg, dies einfach zu negieren, nicht letztlich ein Verrat an der eigenen Klientel?

Kaineder: Überhaupt nicht. Und ich bleibe dabei: Wenn die ÖVP populistische Ansagen macht, die in Wahrheit nie reale Politik sind, dann muss ich als Grüner das nicht erklären.

STANDARD: Aber wenn Sie als stellvertretender Bundeschef die grünen Werte verinnerlicht haben, dann gibt es doch auch eine persönliche Schmerzgrenze. Wann würde es für Sie mit der ÖVP nicht mehr gehen?

Kaineder: Es geht nicht um meine schmerzlichen Grenzerfahrungen. Ich messe diese Regierungsbeteiligung daran, ob wir sinnvolle Dinge, die dieses Land verbessern, auch umsetzen können.

STANDARD: Was Sie schon mehrfach ausführlich erwähnt haben in diesem Gespräch. Aber haben die Grünen nicht letztlich den Glauben an sich selbst verloren?

Kaineder: Natürlich nicht. Aber die eigentliche Frage ist doch, ob die grüne Bewegung es letztlich schafft, zu tun, wofür sie gegründet worden ist. Nämlich diese Gesellschaft so zu verändern, dass wir mit unserem Leben, Arbeiten und Wirtschaften den Planeten nicht kaputtmachen.

STANDARD: Mit Blick auf das noch junge Regierungsjahr. Wo plant man, grüne Duftmarken zu setzen?

Kaineder: Aus grüner Perspektive geht es um zwei Dinge: Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. Und vor allem die Entscheidungen auf Bundesebene letztlich auf Länderebene auch umzusetzen. Etwa die Schaffung von Vorrangzonen im Bereich der Windenergie. Und noch ein persönliches, viel direkteres Ziel: Ich bin jetzt jede Woche im Wirtshaus. Wir haben in Oberösterreich begonnen, an den Stammtischen im Land mit den Menschen über Politik zu diskutieren. Wir müssen mehr auf die Leute zugehen und erklären, was wir für gescheit und richtig halten.

STANDARD: Der Stammtisch war bislang eigentlich immer das Hoheitsgebiet der FPÖ. Ist das der richtige Boden für grüne Politik?

Kaineder: Am Stammtisch ist immer auch ein Platz für Grüne. Mir persönlich tut das gut und uns als Partei tut das gut. Wenn wir direkt mit den Leuten reden, werden wir auch leidenschaftlich im Diskurs. Und die Menschen schätzen den unmittelbaren Austausch. Und es ist die Grundübung der Demokratie: Wir diskutieren darüber, was wir für gescheit und richtig halten. (Markus Rohrhofer, 17.1.2023)