Der Maharadscha war lange das Maskottchen der Air India. Hier rettet er eine Meerjungfrau aus den Fluten.
Foto: V. V. Shetye, Air-India/Sydney, 1963, Courtesy of Poster House

Ein Maharadscha rutscht auf einem Nagelbrett einen Berg in den Alpen hinunter. In Sydney rettet er eine Meerjungfrau aus den Fluten, in Moskau tanzt er auf dem Roten Platz, in New York serviert er als Playboy-Bunny verkleidet Drinks.

Der Maharadscha war lange das Maskottchen der Air India. Sie machte ihn vor allem in den 1960er-Jahren zum Helden auf den Plakaten der Destinationen, die sie anflog. Je beliebter der beleibte schnauzbärtige Großfürst beim Publikum wurde, desto mehr Freiheiten gönnte er sich bzw. gönnte ihm die Fluglinie. Unter anderem beauftragte sie den Zeichenkünstler Tomi Ungerer, ihn darzustellen, wie er die Münzen aus dem Trevibrunnen in Rom fischt, die die Touristen hineinwerfen, oder wie er als Amor mit Pfeil auf einen Herrn zielt, der in Paris das Gemälde einer Halbnackerten bewundert, die ihn ihrerseits aus dem Bild heraus streichelt. Kaum denkbar heute.

Plakate mit Geschichte

Zu sehen ist das alles in einer laufenden Schau im Poster House. Die Institution am Rand des Galerienviertels Chelsea in New York hat sich zur Aufgabe gemacht, die Ästhetik, Kultur und Wirkung von historischen wie gegenwärtigen Plakaten zu vermitteln und eine Sammlung anzulegen; ein Museum also, auch wenn es nicht so heißt. (Poster Museum nennt sich eine andere Institution in der Stadt, die allerdings eine Verkaufsgalerie ist.) 2019 eröffnete es mit einer Schau des Illustrators Alphonse Mucha, dessen Darstellungen der zur Jugendstilgöttin verklärten Schauspielerin Sarah Bernhardt legendär wurden und von dem das Poster House fast alle seiner mehr als hundert Arbeiten zeigte.

Samuel Steinmann, Gregor Brändli, Julian Bauer, Atelier: Tristesse für "Diáspora Sefardí" – Mizmorim Kammermusik Festival.
Foto: Tristesse/100 Beste Plakate e.V.

In den USA ist das Museum, "dedicated exclusively to posters", das erste seiner Art. In Europa gibt es entsprechende Sammlungen schon länger, das Deutsche Plakat Museum in Essen etwa seit 1974. Andere Institutionen sammeln auch oder nebenbei Plakate – wobei sie auf einen Unterschied achten, den es im Englischen nicht gibt. Dort bedeutet "Poster" sowohl Plakat als auch das, was wir im Deutschen unter einem Poster verstehen.

Wie Julia König von der Wienbibliothek und Peter Klinger vom Mak betonen: Plakate sind gedruckte öffentliche Ankündigungen, die affichiert werden, Posters sind eher Deko, Privatvergnügen, "Bravo-Fotos etwa zum An-die-Wand Picken". An die Wand picken kann man auch Repros von Mucha-Plakaten, da wird die Unterscheidung fließend. Originale in dem Sinn gibt es ja nicht, aber immerhin erste Drucke, limitierte Editionen sozusagen, auch wenn das Limit bei zehntausenden liegt. Für ein "Original", will heißen eines der vier Plakate für den Film Metropolis (1927), die es noch in gutem Zustand gibt, zahlte ein Sammler 690.000 Dollar, das war Weltrekord.

Othmar Handl, Stefan Joch & Andreas Putz mit Maša Stanić für Forward Festival / Zwupp Choose life (get vaccinated).
Foto: Forward Festival/Zwupp/100 Beste Plakate e.V.

Stilbildend

Plakate sind Kommerz ebenso wie angewandte Kunst. Eine Schau, apropos, die gerade im Mak läuft, betont Letzteres. Nicht der Marktpreis zählte bei der Auswahl der 100 besten Plakate 21, sondern eine Jury wählte nach ästhetischen Gesichtspunkten aus rund 2000 Einreichungen aus. Dass sieben heimische Einreichungen unter den 100 sind, wird als Erfolg bewertet. Aus der Schweiz allerdings kamen 54. Das könnte daran liegen, dass halt mehr Agenturen und Individuen von dort eingereicht haben, wohl aber eher an den bekannt hohen Standards der helvetischen Gebrauchsgrafik – der International Swiss Style war viele Jahre stilbildend und ist es teilweise immer noch.

Die ausgezeichneten Besten bewerben vor allem Kultur und politische Anliegen, klassische Produktplakate sind kaum unter ihnen. Sie sind auch seltener geworden in Zeiten, in denen die Werbung immer mehr online geht und sogar Plakatflächen im Posterformat langsam von LED-Monitoren besetzt werden. Insofern sind fast alle einschlägigen Ausstellungen auch historische Reminiszenzen an die großen Zeiten der Reiseplakate, der Politwerbung oder der psychedelischen Konzertpromotion, an Pioniere in Österreich wie den weithin bekannten Joseph Binder (Meinl, Arabia, Magazin Fortune) oder an seinen weniger bekannten, aber ebenbürtigen Vorgänger Julius Klinger.

Der hegte 1912 die "unbescheidene Hoffnung, (...) daß unsere Arbeiten vielleicht einst in fünfzig oder hundert Jahren starke Kulturdokumente sein werden für die Art, wie der Kaufmann Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts seine Waren anpries". Das schrieb er, als Wort-Bild-Affichen die öffentlichen Räume dominierten und als Karl Kraus sich fragte: "Gibt’s denn ein Leben außerhalb der Plakate?"

Galen Gibson-Cornell, "The Scream", 2021, Posters von Berlin und New York City.
Foto: Galen Gibson-Cornell, The Scream, 2021

Kreative Destruktion

Gibt es. Und weil auch für Affichen die 80:20-Regel gilt, nämlich dass nur ein Fünftel etwas wert ist, wird dieser Anteil hochgehalten, gesammelt, ausgestellt und über die Jahrzehnte eben zu Kulturdokumenten. Der Rest wird ignoriert, oder er stört. Womit wir bei der zweiten laufenden Schau im Poster House wären. Die hat eine sechzig Jahre alte Aussage des Werbechefs David Ogilvy zum Titel genommen, nämlich dass maskierte Bürgerwehren – "masked vigilantes on motorbikes" – die hässlichen Plakate an Amerikas Landstraßen zerstören mögen.

Es geht also um radikale Eingriffe in die vorhandene Plakatszene. Ferne Enkel von Duchamps mit seiner Moustache auf der Mona Lisa übermalen und verfremden vorhandene Drucke. Sie zerschneiden Werbeplakate von Ferienparadiesen – "creative destruction!" – und ersetzen Logos durch Blumen. Sie remixen und collagieren Ikonen der Kommerzkultur zu neuen Bildern. Eine Arbeit, The Scream, verwebt Streifen aus New Yorker und Berliner Werbeplakaten zu einer Reverenz vor Munch. Die Schau betont den subversiven Charakter der meisten Arbeiten. Der Blick des Besuchers wird darauf gelenkt, der Dominanz der Bilder (und Texte) etwas entgegenzustellen. Allerdings – man ahnt es, die Begleittexte bestätigen es, man nimmt es als Lauf der Dinge zur Kenntnis – vereinnahmen manche der angeprangerten Konzerne und Labels bereits ihre Kritiker und lassen sie für sich arbeiten. Eine neue Runde im Spiel Kunst und Kommerz ist eröffnet. (RONDO, Michael Freund, 22.1.2023)