Im Gastblog erklärt der Mediziner Timon E. Adolph, wie durch ein besseres Verständnis von Stoffwechselprozessen im Darm neue Ernährungstherapien für Patientinnen und Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen entwickelt werden.

Was haben Sie heute Morgen gefrühstückt, und was steht heute Mittag auf Ihrem Speiseplan? Sehr wahrscheinlich sind es prozessierte Nahrungsmittel, also Produkte, die verpackt aus dem Supermarktregal genommen werden und sofort zum Verzehr geeignet sind. Die westliche Ernährung hat Einzug in unser Leben gehalten, obwohl wir mittlerweile gut verstehen, dass diese ein Risiko für viele chronische Erkrankungen wie zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit sich bringt. Und häufig begleitet die westliche Ernährung ein Lebensstil, der gekennzeichnet ist durch zu wenig körperliche Aktivität sowie Nikotin- und Alkoholkonsum – Verhaltensweisen, die die Entstehung oder Verschlechterung von chronischen Erkrankungen zusätzlich begünstigen.

Wie dieser Lebensstil aber unsere Gesundheit beeinflusst, wird oft schlecht verstanden. Ernährungstherapien sind bereits gelebte Praxis in der Medizin des 21. Jahrhunderts, zum Beispiel bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder auch dem Reizdarmsyndrom, bei Gicht, aber auch bei entzündlichen Erkrankungen des Darms, zum Beispiel Zöliakie. Bei diesen Erkrankungen ist die Ernährungstherapie bereits heute ein zentraler Ansatz. Bei vielen anderen entzündlichen Erkrankungen des Darms, zum Beispiel bei Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa, versteht die moderne Medizin nicht, wie Nahrungsmittelbestandteile diese verschlechtern (oder verbessern) können, obwohl bereits lange vermutet wird, dass die Ernährung einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf dieser Erkrankungen hat.

Der Beweis dieser Vermutung gestaltet sich als außerordentlich schwierig, da mehr als 25.000 chemische Bestandteile in unserer Nahrung enthalten sind und chronisch entzündliche Darmerkrankungen komplex und sehr unterschiedlich ausfallen können. Mein Ziel als Gastroenterologe ist es, zu verstehen, wie bestimmte langkettige Fettsäuren in einer westlichen Ernährung chronisch entzündliche Darmerkrankungen beeinflussen – erst mit diesem Wissen lassen sich gezielte Ernährungstherapien entwickeln.

Die Abbildung zeigt spezialisierte Darmepithelzellen (in Grün), sogenannte Paneth-Zellen (benannt nach dem Wiener Mediziner Josef Paneth), die in ihrer Funktion als zellulärer Sensor für Stress und Entzündungstreiber im Darm untersucht werden.
Foto: MUI/Julian Schwärzler

Erste Erkenntnisse aus den Studien unserer Arbeitsgruppe konnten beweisen, dass langkettige Fettsäuren, sogenannte mehrfach ungesättigte Fettsäuren (Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren) Entzündungsprozesse im Darm hervorrufen können. Der Nachweis gelang uns zunächst in einem Zellkulturmodell mit Darmepithelien (Schicht der Darmschleimhaut), dann experimentell in Modellsystemen von Mäusen und schließlich auch direkt in Darmepithelien von Patientinnen und Patienten mit Morbus Crohn.

Allerdings gilt für diese Entzündungsantwort durch Nahrungsmittelfette eine gewisse zelluläre Voraussetzung, die nicht jede Patientin und jeder Patient aufweist: die Minderfunktion eines bestimmten antioxidativen Eiweißes in Darmepithelzellen. Dieses Eiweiß nennt sich GPX4 und es schützt vor Schäden an mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Wie diese Entzündungsprozesse in Darmepithelien ausgelöst werden und welche Mechanismen schließlich zur Darmentzündung führen, das will ich mit meinem Team erforschen, um neue Therapiestrategien zu entwickeln und der Entzündung entgegensteuern zu können.

Das Konzept der metabolen Darmentzündung

Viele Studien konnten zeigen, dass eine westliche Ernährung – gekennzeichnet durch vermehrte Aufnahme von Fett oder einfachem Zucker – Darmentzündungen in experimentellen Modellsystemen von Mäusen verschlechtert. Die genetische Empfänglichkeit vorausgesetzt, ließ sich dieser Zusammenhang in zahlreichen Untersuchungen über die Veränderung der Darmmikrobiota (Darmflora) erklären. Wir können also davon ausgehen, dass eine westliche Ernährung die Darmgesundheit nur bei bestimmten Patientinnen und Patienten negativ beeinflusst, nämlich bei jenen, die eine genetische Disposition aufweisen. Allerdings ist unklar, welches genetische Risikoprofil vorliegen muss, um auf ein spezielles Nahrungsmittel in einer westlichen Diät mit einem Entzündungsreiz zu antworten.

Viel Freiraum für Forschung

Die Vermutung, dass die Ernährung Treiber von entzündlichen Darmerkrankungen sein könnte, weckte schon vor zehn Jahren mein Interesse. Damals untersuchte ich im Rahmen meines PhDs an der University of Cambridge, (UK), wie sich ein genetisches Risiko in eine Morbus-Crohn-Erkrankung übersetzen ließe. Heute untersuche ich in eben diesem Rahmen, ob es langkettige Fettsäuren in der westlichen Ernährung sind, die eine starke Zunahme von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen in den letzten 20 Jahren erklären könnten.

Das Verständnis von Entzündungsmechanismen durch Nahrungsmittelbestandteile eröffnet neue Möglichkeiten zur Ernährungstherapie. Im Bild das Team um Timon E. Adolph mit Julian Schwärzler, Moritz Meyer, Lisa Mayr, Felix Grabherr und Almina Jukic (von links nach rechts).
Foto: MUI/D. Bullock

Seit 2016 leite ich eine Arbeitsgruppe an der Medizinischen Universität Innsbruck, die sich mit dem Thema der metabolen Darmentzündung speziell in Darmepithelien beschäftigt. Wir analysieren Entzündungsmechanismen in Modellen, die wir in den letzten Jahren entwickelt und veröffentlicht haben, und wir wollen neue Erkenntnisse auf den Menschen übertragen und erste Therapiemöglichkeiten evaluieren.

Außerdem hoffe ich, dass wir im nächsten Schritt eine klinische Ernährungsstudie bei Patientinnen und Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen durchführen können, die es uns erlauben wird, das erarbeitete Konzept in eine neue Therapieform zu übersetzen. (Timon E. Adolph, 25.1.2023)