Die Stammgäste empfängt Hund Benni schon bei der Tür. Dort tritt gerade ein Mann um die 50 ein, er streichelt dem braunen Deutsch-Kurzhaar-Jagdhund den Kopf, setzt sich an die Bar und bestellt ein Bier. Es wird nicht das einzige Puntigamer an diesem Dienstagmittag bleiben.

Die zwei Hocker neben ihm sind bereits besetzt, die Runde Männer kennt sich. Später stößt Egon Zens zu ihnen, er nimmt an einem kleinen Tisch an der Wand Platz. Mindestens dreimal in der Woche kommt der pensionierte Elektriker hierher: "Hier trifft man Leute, und ich habe viele neue kennengelernt."

Die Tankstelle ist im ländlichen Raum oftmals der letzte Ort der Begegnung.
Foto: Alexander Danner

Hier, das ist genau genommen keine Bar und auch kein Wirtshaus, sondern ein Café, das an eine Tankstelle anschließt. Es ist einer der letzten gesellschaftlichen Treffpunkte in Tillmitsch, einer weniger als 4.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Gemeinde in der Südsteiermark, 40 Kilometer südlich von Graz.

Vor der Tür donnert der Verkehr über die B67, eine der meistbefahrenen Straßen der Umgebung. Sie teilt das von den Ausläufern des Sausaler Hügellandes umgebene Tillmitsch in zwei Hälften. An dieser Stelle passiert sie reihenweise Einfamilienhäuser, einen Gebrauchtwagenhändler, die Feuerwehr.

Egon Zens (links an der Wand) und weitere Stammgäste in dem Café, das an den Tankstellenshop anschließt.
Foto: Alexander Danner

Die nächstgelegenen Lokale in der Umgebung sind ein italienisches Restaurant und ein familiengeführter Heuriger im benachbarten Gralla. Ein Wirtshaus allerdings fehle hier schon lange, sagt Zens. Die meisten hätten im Lauf der Jahre zugesperrt. Deshalb haben der 64-Jährige und viele andere ihren Stammtisch in die Tankstelle Sunko verlegt. Benannt ist die laut Eigenwerbung "Tankstelle ihres Vertrauens" nach ihrem Besitzer Martin Sunko.

Seit 30 Jahren in der Tankstelle

1992 hat der Automechaniker die Tankstelle erworben. Nach und nach ergänzte er den Shop durch ein Café, fügte eine Waschstraße und eine Werkstatt hinzu und schaffte sich einen Tankautomaten an, der rund um die Uhr geöffnet ist.

All den Wandel hat Sunko an der Wand festgehalten. Dort hängen ein Schwarz-Weiß-Bild der ursprünglichen Tankstelle aus den 1950er-Jahren, ein Foto von ihr aus der Vogelperspektive, eine Collage der Kundschaft und auch die Auszeichnungen, die Sunko über die Jahre erhalten hat: für Freundlichkeit etwa oder guten Kundenservice.

Seit 1992 betreibt Martin Sunko seine Tankstelle im steirischen Tillmitsch.
Foto: Alexander Danner

Der 61-Jährige hat sich einen Kundenstamm aufgebaut – vor allem wegen des Cafés. "80 Prozent der Leute, die herkommen und etwas trinken, sind Stammgäste aus der Umgebung", erzählt er. Man kommt zum Plaudern und Verweilen, auf dem Tisch liegen Schnapskarten, ein Fernseher läuft, und neben dem Ausgang stehen zwei Wettautomaten. Der Tresen aus hellem Holz und grauen Marmorplatten schließt unmittelbar an die Kassa und den Verkaufsbereich an.

Hier findet sich alles, was es auch sonst üblicherweise bei Tankstelle zu kaufen gibt: von Motoröl, Babywindeln, Grillkohle und Zigaretten bis hin zu Zeitungen, Joghurt und Sekt. Tankstellen sind schon lange nicht mehr nur Servicestationen für Autos: Sie sind ein Multifunktionsort, der sich im ständigen Wandel befindet.

"Allrounder" Tankstelle

Vor allem in ländlichen Gebieten sind sie Nahversorger, die auch nach Ladenschluss oder am Sonntag geöffnet haben. Und sie sind mit fortschreitender Zersiedelung und dem Aussterben der Bäcker, Greißler und Wirtshäuser oftmals einer der letzten verbliebenen Orte des sozialen Lebens. Rund 2.800 Tankstellen zählt der Fachverband der Mineralölindustrie bei der Wirtschaftskammer (WKO) in Österreich. Ungefähr die Hälfte davon machen jene der großen Konzerne Eni, Shell, BP und OMV aus.

Die anderen sind die sogenannten weißen, also eigentümergeführten Tankstellen. Insgesamt ging die Anzahl der Tankstellen lange zurück, doch zuletzt stieg sie wieder an. Gründe für die Zunahme sind die automatisierten Tankautomaten einerseits und die vermehrte Kooperation mit Supermärkten andererseits. So wurden im Umfeld einiger Filialen Tankautomaten aufgestellt – umgekehrt sind zahlreiche Tankstellen mit kleinen Lebensmittelshops ausgestattet.

Breite Palette an Produkten wichtig

Beim Fachverband der Mineralölindustrie bestätigt man, dass es immer wichtiger werde, eine breite Palette an Produkten anzubieten. Tankstellen hätten sich seit geraumer Zeit zu einem "Allrounder" in Sachen Dienstleistung entwickelt, heißt es aus der Presseabteilung. Das sei auch deshalb notwendig, weil Menschen mit der Zunahme von Elektroautos und dem Aufladen des Fahrzeugs mehr Zeit an Tankstellen verbringen würden. Die Ausweitung des Angebots bedeutet allerdings eine Mehrbelastung fürs Personal – und der Job galt schon bisher als unattraktiv.

Denn die Standorte sind oft abgelegen, die Arbeitszeiten lang – was Tankstellen zu allem Überdruss häufig zum Schauplatz von Überfällen macht. Doch auch das ändert sich: Erstens ermöglichen die 24-Stunden-Tankautomaten personalfreie Nachtdienste. Und zweitens wird zunehmend bargeldlos bezahlt. Dementsprechend gingen die Raubüberfälle laut Bundeskriminalamt in den vergangenen zehn Jahren von 100 pro Jahr auf 30 zurück. Der Rückgang hängt allerdings auch damit zusammen, dass sich Verbrechen generell verstärkt ins Internet verlagert haben, Delikte im öffentlichen Raum hingegen zurückgehen.

Die erste Tankstelle des Landes ging 1924 am Grazer Jakominiplatz in Betrieb. Stilistisch orientierte man sich bei der Architektur stets an dem aus den USA bekannten Stil mit dem kleinen Häuschen und dem flachen, freistehenden Dach davor, das Schutz vor Regen bietet. Die Nationalsozialisten versuchten, den "Heimatschutzstil" für sie durchzusetzen: mit Steildach und ländlichen, regionalen Architekturformen. Nach dem Krieg ging man wieder zum amerikanischen Typus zurück. Bis heute ist der Ort ein beliebtes Motiv in der Fotografie, das zahlreiche Bildbände füllt.

Tankstellen sind "Allrounder" für Dienstleistungen: Angeboten wird eine breite Palette an Produkten.
Foto: Alexander Danner

Abhängen auf dem Parkplatz

Der Steirer Helmut Eberhart hat sich eingehend mit Tankstellen und ihrem Funktionswandel beschäftigt. Der Kulturanthropologe hat lange die Rolle von Beiseln im 21. Jahrhundert erforscht, als es ihm im Jahr 2014 beim Tanken "plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel: Manche Tankstellen sind nichts anderes als Beiseln!"

So begann er, Tankstellen zu studieren, er sprach mit Besitzern und Gästen, organisierte Lehrveranstaltungen am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz und später dann eine Ausstellung. Tankstellenpächter können schon lange nicht mehr vom Treibstoffverkauf allein leben, zusätzlich setzen ihnen die Selbstbedienungszapfsäulen und elektronisch betriebenen Fahrzeuge zu. Umso größer wurde die Wichtigkeit des Shop- und Gastrobereichs.

"Dass Tankstellen heute extrem stark genützt werden, hängt zu einem guten Teil mit dem Wirtshaussterben zusammen", sagt Eberhart. "Sie erfüllen dort dieselbe Funktion des geselligen Austauschs." Während der Pandemie waren ihre Parkplätze mancherorts eine der letzten verbliebenen Möglichkeiten des Verweilens. Harald Pfleger, Vize-Obmann der Sparte Tankstellen bei der WKO, ist pensionierter Tankstellenpächter, einen Waschplatz besitzt er weiterhin. Auf dessen Parkplatz, erzählt er, hätten sich während der Lockdowns die Mistkübel mit McDonald's-Sackerln und Bacardi-Flaschen gefüllt.

Jugendliche kämen heute noch "zum Vorglühen": Sie trinken ein Getränk, essen einen Snack und ziehen dann weiter. Die "Trinkgelage von früher" gebe es heute nicht mehr, die Leute kämen auch "auf einen Kaffee und ein Topfentascherl, oder sie schauen Formel 1 oder Skirennen".

Um diese "kommunikativen Bereiche" sorgt sich der Kulturanthropologe Eberhart: Wenn sie mit Zunahme der Tankautomaten wegfielen, wenn also nach den Wirten auch die Tankstellencafés zusperrten, "dann bleibt den Menschen oft nur mehr das Feuerwehrfest". (Anna Giulia Fink, Max Stepan, 19.1.2023)