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Neue Aufgabenstellungen und Prüfungsformate: Die künstliche Intelligenz Chat GPT, die sehr gut Texte verfassen kann, bringt wohl Veränderungen an den Unis.
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Die universitäre Hausarbeit steht vor dem Ende – zumindest in ihrer aktuellen Form. Bislang sind solche von Studierenden verfassten Texte der Beweis dafür, dass man mit wissenschaftlichen Methoden zeigen kann, was man vom Stoff verstanden hat, wie man ihn kritisch hinterfragt und auch in der Praxis anwenden kann. Das wiederum ist die ideale Prüfungsvorbereitung, geht es nach vielen Dozenten und Professorinnen.

Einige von ihnen klagen nun, dass sie künftig Studierenden keine Hausaufgaben mehr geben könnten. Denn mit dem Aufkommen der künstlichen Intelligenz Chat GPT, die menschenähnliche Texte verfassen kann, sei digitalem Schummeln Tür und Tor geöffnet, die Studierenden könnten KI-Aufsätze dann für ihre eigenen ausgeben und müssten gar nicht mehr selbst denken. In internationalen Medienberichten aus den vergangenen Monaten – im November wurde Chat GPT veröffentlicht – erzählen Studierende immer wieder, dass der Bot nun ihre wissenschaftliche Texte verfasse. Sogar die Noten hätten sich dadurch verbessert. Gleichzeitig berichten aber auch Lehrende, dass sie den automatisierten Texten bereits auf die Schliche kämen.

Der erste Reflex in der öffentlichen Debatte: Die künstliche Intelligenz sollte an Bildungseinrichtungen verboten werden. Doch so schwarz-weiß ist die Sache nicht. Und die meisten Expertinnen und Experten sowie die Institutionen in Österreich sind gegen ein Verbot. An den Schulen soll der Chatbot nicht verboten werden, heißt es vom Bildungsministerium auf STANDARD-Anfrage. Auch dazu befragte Lehrerinnen sehen davon ab, Chat GPT zu ignorieren, sondern thematisieren das Tool im Unterricht und wollen den Schülerinnen und Schülern so einen verantwortungsvollen Umgang damit beibringen. Der STANDARD berichtete.

Neue Aufgaben und Prüfungen

Diesen Weg schlagen auch einige Hochschulen ein, etwa die Universität Wien. An der größten Uni des Landes sei die Entwicklung nicht neu, man befasse sich schon länger damit. "Fakten und Wissensbestände anhäufen kann die Technik heute schon. Aufgabe der Universitäten ist es, Wissen zu bewerten und zu beurteilen und Sachverhalte kritisch reflektieren zu können. Das kann keine Technik, nur der Mensch", sagt eine Sprecherin.

Insofern werde sich auch die Lehre sowie die Forschung dahingehend ändern. Zum Beispiel wird laut Uni Wien "mehr Fokus auf den Entstehungsprozess einer schriftlichen Arbeit gelegt werden müssen und sich die Aufgaben- und Fragestellungen für schriftliche Arbeiten und für Leistungsbeurteilungen verändern – darin besteht gerade auch die Chance".

Nämlich so, dass die Aufgaben nicht mehr so leicht von Chat GPT übernommen werden können. Zum Beispiel in Form eines Erklärvideos oder eines Theaterstücks – wobei die KI das mittlerweile auch kann. Oder aber, dass ein Text oder gar eine Bachelorarbeit mithilfe des Bots verfasst wird, aber dann noch in einem Absatz bzw. Kapitel von den Studierenden reflektiert werden soll, wieso das Tool eingesetzt wurde, wie es das eigene Denken beflügelt hat oder wo die KI fehleranfällig ist.

Schummeln erkennen

Das schlägt etwa Robert Lepenies, Präsident der privaten Karlshochschule in Karlsruhe, im im Interview mit der Zeit vor. So würden nicht nur digitale Kompetenzen und die Fähigkeit, eine künstliche Intelligenz zu bedienen, erlangt, was in Zukunft immer wichtiger werde – sondern auch gleich in der Praxis die Möglichkeiten und Grenzen von Chat GPT erfahren und eingeordnet.

Zur Klausur kann man aus Lehrendensicht aber keine KI schicken. Gerade bei Onlineprüfungen wäre das Schummeln schwer zu beweisen. Eine Preprint-Studie, die noch nicht begutachte wurde, ergab zum Beispiel, dass Chat GPT 50 Prozent der Punkte bei einem der schwierigsten standardisierten Tests überhaupt erreichte: der medizinischen Zulassungsprüfung in den USA. Nur wenige Punkte mehr, und er wäre für das Studium zugelassen. Eine ähnliche Untersuchung, bei der Chat GPT Medizinklausuren absolvieren musste, kam zu dem Schluss, dass die KI auf dem Wissensstand eines Medizinstudierenden im dritten Jahr ist.

Insofern werden wohl analoge und mündliche Prüfungen wieder wichtiger. So kann man laut Lepenies gut das gelernte Wissen bei Studierenden abfragen, ohne dass die Gefahr besteht, dass eine künstliche Intelligenz mithilft. Aufseiten der Uni Wien ist man überzeugt, dass es "gelingen wird, den Uni-Alltag mit diesen Veränderungen qualitätsvoll zu gestalten". Um die Fähigkeit des kritischen Denkens und Diskutierens gut zu vermitteln, brauche es womöglich auch eine angepasste Betreuung.

Denn letztlich stehen die Lehrenden, wenn sie eine Hausübung oder Seminararbeit erhalten, vor der Frage: Wie viel Eigenleistung steckt da wirklich drin? Je besser sie ihre Studierenden kennen, umso besser können sie auch deren Leistung einschätzen und dementsprechend stutzig werden, wenn diese plötzlich deutlich besser sind als früher. Auch wenn die Texte zwar sehr gut geschrieben, aber schlecht argumentiert sind oder nur an der Oberfläche bleiben, könnten das Indizien sein. Auch Programme könnten helfen, KI-Texte aufzudecken.

Gute wissenschaftliche Praxis

Dozenten berichten, sie hätten Chat GPT gefragt, ob er die Texte der Studierenden verfasst hat. Sich die Quellen für die wissenschaftliche Arbeit prüfen zu lassen – ein wichtiges Kriterium für gute wissenschaftliche Praxis – ist mit Chat GPT nicht zu empfehlen. Denn er ist dabei nicht so zuverlässig wie Forschende, die alles doppelt und dreifach prüfen. Der Bot erfindet teilweise Studien, die nie durchgeführt wurden, zitiert aus Fachjournals, die es nicht gibt, argumentiert sehr glaubwürdig Falschinformationen oder packt mitunter Meinung in die Texte. Ebenso kann es sein, dass von ihm verfasste Texte Plagiate enthalten. Die rechtliche Einschätzung eines KI-Textes ist laut Bildungsministerium noch unklar. Aber da Chat GPT einen Aufsatz aus vielen Vorgängertexten erstellt, ist er eher wie ein Ghostwriter zu werten.

All das sind wichtige Informationen für Studierende, die – geht es nach den Unis – künftig mit Chat GPT richtig umgehen und dadurch ihre gute wissenschaftliche Praxis (GWP) aufrechterhalten können sollen. Diese ist im Lehrangebot der österreichischen Hochschulen nach wie vor unterrepräsentiert, zeigte eine Befragung aller 74 Hochschulen der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Demnach fand man lediglich 37 Lehrveranstaltungen mit Schwerpunkt GWP oder Forschungsethik.

Für Forschende sollte es eigentlich ein Leichtes sein, in ihrem Fach Falschinformationen zu kennen oder dubiose Quellen zu entdecken. Doch Chat GPT argumentiert so glaubwürdig, dass er sogar wissenschaftliche Gutachterinnen und Gutachter täuschen kann. Das haben US-Forschende kürzlich herausgefunden. In 32 Prozent der Fälle konnten die Gutachter ausgetrickst werden – und das, obwohl nur acht Prozent der Chat-GPT-Resultate die spezifischen Anforderungen an den Text erfüllten.

Chancen

Doch der Bot ist nicht nur Fluch, sondern auch Segen. So kann Chat GPT Abhilfe bei nervigen Aufgaben schaffen, die viel Zeit fressen. Zum Beispiel kann er für Studierende das Literaturverzeichnis erstellen. Oder Lehrende können die KI fragen, ob sie etwas im Lehrplan vergessen haben, die Erstellung von Seminarplänen könnte auch die Uni-Verwaltung entlasten.

In der Forschung sei Chat GPT etwa hilfreich, um blinde Flecken zu erkennen, sagt Hochschulrektor Lepenies. Wer seinen selbstverfassten Text in das Programm einspiele, könne sich so seine Fehler anzeigen lassen oder auswerten, ob in der Literaturliste vorwiegend Männer vorkommen. Lepenies ist überzeugt, dass Chat GPT in Zukunft beim Schreiben nicht die grundlegende Technologie, sondern Begleiter sein wird – wie heute schon die automatische Rechtschreibprüfung. (Selina Thaler, 19.1.2023)