Makrophagen spielen als Teil des angeborenen Immunsystems eine essenzielle Rolle. Viele Einblicke, wie genau diese Abwehrkräfte funktionieren, verdanken wir dem Immunologen Bruce Beutler.
Foto: Getty Images / iStockphoto

Für seine Entdeckungen zur Aktivierung der angeborenen Immunität wurde Bruce Beutler vor zwölf Jahren mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet. Sein Bruder Earl hatte damals schon Wochen zuvor eine Vorahnung. Noch vor der Verkündigung der Prämierten neckte er den Genetiker ganz in der Manier eines älteren Bruders in einem Telefonat: "Na, gewinnst du dieses Jahr endlich den Nobelpreis?" Als Beutler schließlich wenig später eine Mail mit dem Betreff "Nobelpreis" erreicht, traut er seinen Augen nicht.

"Ich hatte Jetlag, weil ich am Vortag von einer Hongkong-Reise zurückgekommen bin. Ich habe mitten in der Nacht mein E-Mail-Postfach gecheckt. Als ich die Nachricht gelesen habe, hielt ich sie für einen Scherz", erinnert sich der Forscher im Interview mit dem STANDARD. Erst als er zur Überprüfung seinen eigenen Namen googelt und zahlreiche Berichte findet, wird dem US-Amerikaner klar, dass er den begehrten Preis tatsächlich gewonnen hat. Seinem Bruder spricht er noch in derselben Nacht auf die Mailbox.

Frühe Förderung

Für den Sohn deutsch-ukrainischer Immigranten zeichnet sich die medizinische Laufbahn schon im Kindesalter ab. Besonders sein Vater, ein Medizin-Professor, konnte in ihm und den Geschwistern schon früh ein naturwissenschaftliches Interesse wecken. "Mein Vater hat seine eigene Familie im Alter von 15 Jahren verlassen, um an der Universität von Chicago Medizin zu studieren. Ich wollte es ihm gleichtun."

In seiner Jugend macht Beutler mit seiner Familie regelmäßig Trips in die großen amerikanischen Nationalparks Sequoia und Yosemite: "Diese Plätze von natürlicher Schönheit fand ich schon als kleiner Bub einfach fantastisch!" Damals habe er mit dem Gedanken gespielt, Zoologe oder Ornithologe zu werden. Er habe es geliebt, stundenlang Tiere zu beobachten. "Mein Vater hat mich allerdings tadelnd darauf hingewiesen, dass Beobachten allein noch keine wirkliche Wissenschaft ist."

Letztlich gelingt es ihm, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten: 1976 beendet er sein Biologie-Studium an der Universität von Kalifornien – mit gerade einmal 18 Jahren. Danach besucht er die medizinische Fakultät der Universität von Chicago. Sein Doktortitel wird ihm mit 23 Jahren verliehen.

Nobelpreis für Studien zu angeborener Immunität

Ende der Neunziger liegt sein Fokus auf der Untersuchung von Mäusen mit genetisch veränderten Toll-like-Rezeptoren: "Rezeptoren sind Proteine, die vereinfacht gesagt sogenannte Signalmoleküle binden. Diese lösen dann Prozesse im Inneren der Zelle aus. Im Fall der Toll-like-Rezeptoren werden Strukturen von Krankheitserregern erkannt. Sie steuern die entsprechende Aktivierung der Gene, die für eine adaptive Immunantwort nötig sind."

Durch diesen Vorgang kann das angeborene Immunsystem zwischen körpereigenen und fremden Zellen unterscheiden. Seine bahnbrechenden molekularen und genetischen Studien über die angeborene Immunität bescheren Beutler schließlich den Nobelpreis. Der Vater dreier Söhne betont: "Um den Nobelpreis zu gewinnen, darf die eigene Arbeit nicht nur ein Job sein – schon gar nicht ein Nine-to-five-Job, bei dem man widerwillig eine Uhr stempelt und am Ende froh ist, nach Hause zu gehen. Der Beruf muss eine Berufung sein."

Seit der Verleihung des Nobelpreises war Beutler nicht untätig. Sein Team konnte weitere bedeutende wissenschaftliche Fortschritte erzielen: "In gewisser Weise fühle ich mich seit dem Nobelpreis mehr unter Druck gesetzt, ständig neue Entdeckungen zu machen – und das sollte ich auch. Von einer Person, der viel gegeben wird, wird auch viel erwartet."

Gene mit Schlüsselwirkung

Hauptaugenmerk legte Beutler zuletzt auf die gezielte Veränderung des Genoms von Mäusen. Auf diese Weise konnte er Nukleotide, also die Bausteine der Gene, nach eigenen Vorstellungen modifizieren. Dies könnte man künftig für genetische Mutationen nutzen, um Krankheiten abzuschwächen oder gänzlich zu verhindern. "Seit einigen Jahren versuchen wir herauszufinden, welche Gene eine Schlüsselbedeutung für die Immunität haben. Mit modernen Technologien können wir gewisse Veränderungen auf die exakt dafür verantwortlichen Nukleotide zurückführen."

Der laut Beutler größte Meilenstein war die Entwicklung eines Systems, das diesen Prozess beschleunigt: "Für die erhobene Datenmenge der letzten elf Jahre hätten wir früher über 1700 Jahre gebraucht."

Bruce Beutler bezeichnet seinen Beruf als Berufung.
Foto: BioTechMed

Anlässlich der "Nobel lectures", einer Vorlesungsreihe der universitätsübergreifenden Initiative "BioTechMed" von Uni Graz, TU Graz und Med-Uni Graz, war Beutler im Dezember in Österreich zu Gast. Im Rahmen dieser Veranstaltung werden jährlich Nobelpreisträgerinnen oder Nobelpreisträger eingeladen.

Spitzenforschung zugänglich machen

Ziel ist es, Spitzenwissenschaft einem breiten Publikum zu vermitteln. Die Möglichkeit, in verschiedenen Ländern, insbesondere Europa, Vorträge zu halten, bezeichnet der Italien-Liebhaber als Privileg: "Obwohl ich in den USA geboren bin, fühle ich mich in Europa zu Hause. Durch meine Familiengeschichte habe ich immer etwas aus der Alten Welt mitbekommen." Im Alltag zeigt sich das vor allem durch seine Vorliebe für klassische Musik: "Ich liebe die Werke von Bach und Mozart."

Seit der Genetiker den Nobelpreis gewonnen hat, begegne man ihm anders, beruflich wie privat: "Manche Leute behandeln mich wie einen Heiligen. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Allerdings weiß ich, dass ich persönlich mich nicht verändert habe. Ich bin dieselbe Person, die ich schon immer war."

Nie endende Neugier

Für die Ausbildung von jungen Ärztinnen und Ärzten hat Beutler eine klare Vorstellung: "Ich würde grundlegende Fächer wie Physiologie, Pathologie und Pharmakologie verstärkt zurückbringen und die medizinische Lehre so wissenschaftlich wie möglich gestalten."

Seine Familie hat gerade Zuwachs bekommen: Der 65-Jährige ist seit wenigen Wochen Großvater eines kleinen Mädchens. An den Ruhestand denkt er deswegen noch lange nicht. "Ich bin glücklich mit dem, was ich gerade tue. Ganz aufhören zu forschen werde ich wohl nie. Allerdings ist eine gute Selbstkenntnis wichtig, um zu wissen, wann es besser ist, sich aus dem Spitzenfeld zurückzuziehen." Vielleicht kann er in der Zwischenzeit auch seine Enkelin für die Wissenschaft begeistern. (Anna Tratter, 21.1.2023)