Das iranische Regime greift zu neuen Mitteln, um die Proteste zu unterdrücken.

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Seit mehreren Monaten protestiert die iranische Bevölkerung, ausgelöst durch den Tod Mahsa Aminis, gegen das theokratische Regime. Die 22-Jährige starb vergangenen September im Krankenhaus, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen des Tragens "unangemessener Kleidung" festgenommen worden war. Bei den Protesten sind mittlerweile mindestens 522 Personen ums Leben gekommen, fast 20.000 Menschen wurden laut der Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) festgenommen.

Auf technologischer Ebene umfassen die Gegenmaßnahmen der Regierung nicht nur die Einschränkung von Instagram und Whatsapp. Das Regime hat stattdessen öffentlich bekanntgegeben, Gesichtserkennung gegen Frauen einsetzen zu wollen, die gegen die strikten Verhüllungsgesetze verstoßen. Ein Vorhaben, für dessen Umsetzung der Chef der iranischen Behörde auf Überwachungskameras im öffentlichen Raum, zum Beispiel in Bussen, zugreifen will.

Biometrische Personalausweise

Die Idee sei nicht neu, erklärte Azadeh Akbari im September gegenüber dem "Guardian". Sie ist Wissenschafterin an der niederländischen Twente-Universität. "Die iranische Regierung spielt seit langem mit dem Gedanken, Gesichtserkennung zur Identifizierung von Personen einzusetzen, die gegen das Gesetz verstoßen", sagte Azadeh Akbari. Laut ihr handle es sich dabei um die Kombination von altmodischen Formen der totalitären Kontrolle mit modernen Technologien.

Laut der britischen Zeitung erfasst die iranische Regierung schon seit 2015 eine Vielzahl biometrischer Daten von Bürgerinnen und Bürgern. Damals seien biometrische Personalausweise eingeführt worden, auf denen sowohl Iris-Scans und Fingerabdrücke als auch Gesichtsbilder abgespeichert werden. Informationen also, die zur Gesichtserkennung eingesetzt werden können. "Ein großer Teil der iranischen Bevölkerung ist jetzt in dieser nationalen biometrischen Datenbank erfasst", sagte Akbari. In Videos zu sehende Personen könne man daher in Windeseile aufspüren.

Auffällige Konfrontationen

Dass der Einsatz dieser Technologien nicht nur theoretisch möglich sein dürfte, zeigt ein Beispiel des "Guardian". Vergangenen Juli ging auf sozialen Medien ein Video viral, in dem Frauen für das angeblich inkorrekte Tragen ihres Kopftuchs belästigt werden. Wenig später wurde eine von ihnen, Sepideh Rashno, verhaftet und im Staatsfernsehen zur öffentlichen Entschuldigung gezwungen.

Laut "Wired" hätten auch Beobachterinnen und Beobachter der aktuellen Iran-Proteste bemerkt, dass die Polizei oft erst mehrere Tage nach dem mutmaßlichen Vorfall auftauche. Betroffen seien auch Frauen gewesen, die keinen Hijab trugen. Zwar gebe es keinen direkten Beweis dafür, dass diese über Gesichtserkennungssoftware aufgespürt wurden. Für Aktivistinnen und Aktivisten biete dies laut den Berichterstattern allerdings Grund zur Sorge, dass entsprechende Technologien bereits eingesetzt werden.

Im selben Zusammenhang zitiert das US-Magazin auch die Forscherin Mahsa Alimardani, laut der sich die Zahl der Vorladungen wegen Verstößen gegen das Hijab-Gesetz häufen würden – obwohl viele der betroffenen Frauen gar keinen Kontakt mit der Polizei gehabt hätten.

Warnung per SMS

Darüber hinaus gab es Anfang Jänner dieses Jahres Berichte über eine Ausweitung einer sittenpolizeilichen Überwachungsmaßnahme mit dem Namen "Nazer". Seit 2020 verfolge diese laut dem US-Auslandssender VOA das Ziel, Verstöße gegen das Hijab-Gesetz in Autos aufzuspüren. Wurden Frauen ohne Kopftuch gesichtet, sollen sie eine SMS erhalten haben, in der sie darauf aufmerksam gemacht wurden, dass ein wiederholter Regelbruch rechtliche Folgen habe. Die Maßnahmen seien zwischenzeitlich eingestellt, nach dem Tod von Mahsa Amini aber wieder aufgenommen worden.

Ein Teil der im Iran eingesetzten Überwachungstechnologie stammt laut einem IPVM-Bericht vom chinesischen Unternehmen Tiandy. Bei diesem handle es sich um einen der größten Hersteller von Überwachungskameras, er biete allerdings auch Gesichtserkennungstechnologien an. Seine Produkte verkaufe Tiandy unter anderem an die iranische Revolutionsgarde, die dortige Polizei und das Militär.

Einschränkung des Internets

Während die iranische Regierung infolge der neuesten Demonstrationen das eigene Repertoire an technologischen Fähigkeiten erweitert hat, reagierte sie mit der Einschränkung von Diensten wie Instagram und Whatsapp. Auf Social Media kam deshalb rasch der Aufruf zur Installation der Browsererweiterung Snowflake. Diese soll bei der Umgehung der Internetzensur helfen, indem sie Iranerinnen und Iranern einen leichteren Zugriff auf das Tor-Netzwerk gewährt.

Auch der verschlüsselte Messenger Signal schaltete sich ein und bat öffentlich um Hilfe bei der Umgehung der Messenger-Sperre. Er ist dort seit Anfang 2021 nicht mehr erreichbar. (mick, 17.1.2023)