Lehrerinnen und Schüler düsen mittels Telepräsenzroboters durch die Schulen. Das könnte die Zukunft von Bildungseinrichtungen sein.

Foto: University of Akureyri

Bergþór Morthens bewegt sich ganz selbstverständlich durch die Schule in Ólafsfjörður im Norden Islands. Kaum verwunderlich, immerhin unterrichtet er hier seit über zehn Jahren Kunst. Zehn bis 15 Kinder unterstützt er pro Klasse bei ihren Semesterprojekten. In den Pausen trinkt er oft mit den Kolleginnen und Kollegen Kaffee im Lehrerzimmer. So weit, so gewöhnlich. Allein, Morthens sitzt während all dieser Tätigkeiten in der schwedischen Stadt Göteborg.

Dass er sich trotzdem frei durch die Gänge in Ólafsfjörður bewegen kann, ermöglicht ein Telepräsenzroboter. Er hat Rollen statt Füße und ein Tablet statt eines Kopfes. Morthens grinst aus dem Bildschirm. Via Frontalkamera hat er sein Umfeld im Blick. Lautsprecher und Mikrofon sind seine Ohren und Mund. Die Technologie gibt es schon länger. Manchen ist sie vielleicht aus Serien wie "The Big Bang Theory" oder "Modern Family" bekannt, in denen Sheldon Cooper oder Phil Dunphy mit dem Roboter unterwegs waren. Künftig könnten Telepräsenzroboter auch im Alltag eine wichtige Rolle einnehmen.

Vor allem im Bildungsbereich hat sie laut Natalie Denk großes Potenzial. Sie leitet das Zentrum für angewandte Spielforschung an der Donau-Universität Krems. Im Rahmen des Forschungsprojekts Trine (Telepräsenz Roboter im Bildungsbereich) hat sie die vergangenen zwei Jahren Schülerinnen, Studierende und Lehrerende im Umgang mit Telepräsenzrobotern begleitet. Untersucht wurden die Schule in Ólafsfjörður und die Universität Akureyri, beide im Norden Islands.

Gefühl, dabei zu sein

Denks Fazit: Überall, wo nicht nur frontal unterrichtet werden soll, mache die Technologie Sinn. Als sie selbst das erste Mal mittels Telepräsenzroboter "dort" war, hatte sie das Gefühl, tatsächlich physisch Vorort zu sein. Es sei wie in einem First-Person-Computerspiel gewesen, erzählt sie. Auch darin sieht man die Spielwelt ebenfalls aus der Ich-Perspektive und bewegt sich frei.

Besonders hilfreich sei der Roboter für Kinder, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht mobil sind. Können sie über einen längeren Zeitraum nicht in den Unterricht kommen, fühlen sie sich häufig nicht mit der Schule verbunden, sagt Denk. Der Telepräsenzroboter könne dem entgegengenwirken und Kinder wieder Teil des Schulalltags sein.

Dass das Erlebnis via Telepräsenzroboter ein anderes sei als in Zoom-Meetings oder einfachen Telefonaten, leitet Denk aus Interviews mit Nutzern ab. Auf die Frage nach weiteren Wünschen und Ansprüchen an den Roboter haben viele geantwortet, dass sie gerne Hände hätten. Eine bezeichnende Aussage für Denk – "in einem Zoom-Meeting würde sich das niemand wünschen". Mit dem Telepräsenzroboter sei man aber vor Ort, könne herumfahren, sich umsehen. "Da möchte man auch Türen öffnen können."

Fehlalarm und Barrierefreiheit

Nutzerinnen schalten das Gerät selbstständig ein und fahren aus der Ladestation. Hilfe benötigen sie nur bei Handgriffen. Türen müssen geöffnet sein, dasselbe gilt für Lifte. Wer einsteigt, braucht eine Person, die den Knopf drückt. Während des Forschungsprojekts seien Telepräsenzroboter in Liften stecken geblieben, weil Nutzer derart mit einer Selbstverständlichkeit in den Lift gefahren sind.

Das ist Lehrer Bergþór Morthens zwar noch nie passiert, dafür hat er einmal versehentlich den Alarm ausgelöst – er war die erste "anwesende Person" im Gebäude. Ansonsten gab es aber keine Zwischenfälle, sagt er. Morthens nützt das Gerät häufig und flitzt schnell durch die Korridore. Seine Kolleginnen und Kollegen würden ihn mittlerweile am Fahrstil erkennen, bevor sie sein Gesicht sehen würden. Schüler hätten den Roboter auch schon Shirts angezogen, um ihn persönlicher zu gestalten.

Während Besuchende oft erschrecken, wenn er das erste Mal um die Ecke biegt, müssen sich anfangs auch die Schülerinnen und Schüler daran gewöhnen. Die ersten und letzten Wochen des Semesters verbringt Morthens daher immer physisch vor Ort. "Wir lernen uns kennen, bauen Vertrauen auf, und dann funktioniert das restliche Semester ganz gut", sagt der Kunstlehrer. Damit im Unterricht alles glattläuft, lädt er die zu besprechenden Inhalte zuvor auf eine Plattform. So wissen alle, was auf sie zukommt.

Stolpersteine

Um den Telepräsenzroboter im Unterricht überhaupt integrieren zu können, brauche es laut Denk ein Schulsystem, das offen ist für neue Zugänge. Die Hemmschwelle zur Nutzung sei zwar niedrig, ein paar Kleinigkeiten gebe es allerdings zu beachten. Damit das Gerät einsatzbereit ist, muss es nach der Nutzung zurück in die Ladestation. Je nach Modell können die Roboter drei Stunden und länger durch die Korridore sausen, weiß Denk. Anlaufschwierigkeiten kommen trotzdem immer wieder vor.

Während der Projektphase seien nicht nur Roboter im Lift stecken geblieben, auch das institutseigene Gerät in Krems ist derzeit außer Betrieb. Ein Kollege hatte fälschlicherweise gehofft, es über eine Schwelle zu schaffen, erzählt Denk. Seither sei das Display gebrochen und der Roboter reagiere nicht mehr. Da es in Österreich und Europa kaum Anbieter gebe, habe man auf einen amerikanischen Anbieter zurückgreifen müssen. Das mache die Bestellung mühsam.

Auch für die Wartung brauche es spezielle Schulungen. In Krems habe sich mit dem Projektmitarbeiter Simon Wimmer eine Person gefunden, die sich dessen annehme. Das brauche es auch in Schulen und Unis.

Simon Wimmer wartet und repariert den Telepräsenzroboter der Donau-Uni Krems.
Foto: Natalie Denk

Seien mehrere Roboter im Einsatz, sei zudem ein Buchungssystem nötig. Das hätten zwar viele Hersteller im Angebot, koste aber extra. Und das könne bei den ohnehin hohen Anschaffungskosten ins Gewicht fallen. Laut Denk sind die Kosten des Geräts an der Uni Krems seit der ersten Anschaffung 2021 bereits um 1.000 Euro gestiegen. Sie lägen aktuell bei knapp 4.000 Euro. Obwohl es auch günstigere Modelle gebe, ist Denk besorgt, dass die Technologie zukünftig noch teurer werde, weil in kleiner Auflage produziert werde. Und hier beiße sich die Katze in den Schwanz.

Probieren statt studieren

Laut der Forscherin könnte ein vermehrter Einsatz von Telepräsenzrobotern daran scheitern, dass sie bisher zu wenige Menschen ausprobiert haben. Die Forscherin zieht den Vergleich mit Virtual Reality: "Man kann viel darüber lesen, aber wer es nie probiert, wird es nie verstehen." Ihrer Meinung nach sei vielen Menschen nicht bewusst, dass es derartige Technologien überhaupt gebe. Dabei werde sie immer wichtiger. Das habe die Pandemie verdeutlicht. "Außerdem gibt es schlichtweg Situationen, an denen man aus der Ferne teilnehmen möchte", sagt sie. Die Technologie würde das ermöglichen. Den institutseigenen Telepräsenzroboter werde sie jedenfalls auch nach dem Projekt verwenden – sofern ihr Kollege ihn wieder zum Laufen bringt.

Für Bergþór Morthens ist das Gerät jedenfalls eine Möglichkeit, bei seinen Schülerinnen und Schülern in Island präsent zu sein. Und eine entlegene Schule in Island habe damit die Möglichkeit, das beste Lehrerpersonal für sich zu gewinnen. Dieser Tage ist Morthens noch physisch in Ólafsfjörður. In einer Woche trinkt er den Kaffee im Lehrerzimmer dann wieder via Telepräsenzroboter. (Julia Beirer, 21.1.2023)