Vincent Kriechmayr hat Toni Sailer und Co. im Rücken.

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Die Skination lechzt nach Erfolgen. Doch die Ausbeute nach geschlechterübergreifend 41 Rennen, die allen Widrigkeiten zum Trotz durchgeführt werden konnten, liegt bei nur zwei Rennsiegen, die Vincent Kriechmayr errang. "Natürlich sind wir hinter unseren Erwartungen geblieben. Ich habe auch schon einige Rennen verschenkt. Wir wollen mehr, das ist unser Anspruch", sagte der 31-jährige Oberösterreicher am Mittwoch in Kitzbühel, wo am Freitag und Samstag abgefahren und – das freilich ohne Kriechmayr – am Sonntag torgelaufen wird.

Der Sohn eines Skilehrers und einer Kunstgeschichte-Lehrerin aus Belgien ist längst zum Teamleader gereift und hat nach dem spontanen Rücktritt des dreimaligen Olympiasiegers Matthias Mayer neben Manuel Feller eine wichtige Rolle im ÖSV-Team, soll mitwirken, den jungen Läufern auf die Sprünge zu helfen. "Ich versuche, ihnen ein paar Sachen zu sagen, wie es auch bei mir der Fall war. Ich werde aber nicht die blöden Sprüche raushauen wie meine Kollegen damals." Ein Beispiel? "Ob ich eh nicht ausgepackt habe, denn dann müssen sie nicht lange für mich einpacken, wenn ich im Krankenhaus liege."

Vincent Kriechmayr im Starthaus von Kitzbühel.
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Kriechmayr sieht sich aber nicht als Leitwolf. "Wir haben super Athleten, ein super Teamgefüge, der Schmäh rennt, aber die Jungen brauchen noch Zeit." Mit dem Druck, der auf seinen Schultern lastet, geht der Gramastettener erstaunlich entspannt um. Zwei Saisonsiege haben auch eine befreiende Wirkung.

Diesbezüglich befinden sich aber zwei Konkurrenten, die Dominatoren der Szene, in noch höheren Sphären: die Seriensieger Marco Odermatt und Aleksander Aamodt Kilde. Der Schweizer hält wie der Norweger bei sechs Saisonsiegen. Beide trugen maßgeblich dazu bei, dass ihre Verbände wesentlich besser dastehen. Während die Schweizer das Dutzend an Erfolgen vollgemacht haben und die Norweger auch schon elf Siege verbuchen konnten, liegt Österreich noch hinter den USA (acht) und Italien (sechs) auf Platz fünf im Ranking. Dahinter tummeln sich nur mehr Kanada, Schweden und die Slowakei mit je einem Erfolg. WM-Veranstalter Frankreich ist bisher überhaupt leer ausgegangen.

In seiner Kindheit haben die damals dominanten Österreicher um Hermann Maier seine "Leidenschaft für den Skisport so richtig entfesselt". Nach seinem Premierenerfolg in Beaver Creek 2017 hat er inzwischen 14 Weltcupsiege gefeiert. Er hat in Wengen (2019 und 2022) gewonnen, ist 2021 in Cortina d’Ampezzo zum Doppelweltmeister avanciert, war diese Saison in Gröden und Bormio siegreich. Der wohl bedeutsamste Erfolg, jener in der Abfahrt auf der Streif, fehlt ihm allerdings noch. Immerhin hat er den Super-G (2021) auf der Streifalm schon gewonnen.

Kriechmayr hat die Abfahrten in Gröden und Bormio gewonnen. Folgt in Kitzbühel der dritte Streich?
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Bei seinem ersten Mal auf der Streif 2015 hatte er "die Hose voll". Als Einstimmung hat er sich davor den 2014 erschienen Film One Hell of a Ride zu Gemüte geführt. "Und so bin ich dann auch gefahren", sagt der Absolvent der Skihauptschule Windischgarsten. "Ich habe mir gesagt, Angriff ist die beste Verteidigung, aber vor der Mausefalle habe ich so abgebremst, dass ich fast nicht drübergekommen wäre."

Er schwang dann mit sechs Sekunden Rückstand ab und verspürte "Glücksgefühle, als hätte ich gewonnen". Das mache den Reiz der Streif aus. "Ans Limit zu gehen und dann herunten zu stehen, wenn dir die Leute zujubeln. Dafür machen wir es." Inzwischen hat er sich die legendäre Siegfahrt von Stephan Eberharter 2004 "gefühlt schon hundert Mal angeschaut".

Er analysiere viel, hat sich auch die drei Siegfahrten des am Samstag zurücktretenden Beat Feuz angesehen. "Er war so am Limit wie Didier Cuche in seiner besten Zeit, hat um jeden Zentimeter gekämpft." Es gehe darum, sich die hundertprozentige Überzeugung zu erarbeiten, gewinnen zu können. In den vergangenen Jahren habe er auf der Streif nicht den Flow gefunden. Man müsse der Chef sein, der Material und Strecke beherrscht, auf Teufel komm raus riskieren und pushen. "Dann bist du entweder vorne, oder du liegst irgendwo draußen. Das spielt sich alles im Kopf ab."

"Wir haben auch eine Vorbildfunktion", sagt Kriechmayr.
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Von Mayer habe er am meisten gelernt. "Er hat gewusst, wann es zum Herausnehmen und Andrücken war. Von ihm konnte ich mir viel abschauen, er hat abgeliefert, wenn es um etwas ging. Er ist am Vortag in die Sauna gegangen, wir haben trainiert, und am nächsten Tag hat er uns paniert. Er hat uns alle besser gemacht, vor allem mich. Ich verdanke ihm viel."

Mit Mayer hat Kriechmayr im Sommer einen Charity-Verein gegründet. Erfolgreiche Rennläufer können zehn Prozent ihrer Preisgelder für wohltätige Zwecke spenden. "Wir haben Glück, dass wir unseren Sport machen dürfen und damit Geld verdienen. Wir haben auch eine Vorbildfunktion, und die Leute sollen sehen, dass wir nicht nur auf uns schauen." (Thomas Hirner, 18.1.2023)