Eine Malerin arbeitet in Mariazell vor der Basilika, in der ein Requiem anlässlich der Beerdigung von Otto von Habsburg im Juli 2011 erklungen ist, an einem Bild des Kircheninnenraums.

Foto: AP/Hans Punz

In Österreich, wo der ehemalige Graf auf dem Land immer noch "der Herr Graf" ist, kocht das Thema Adel immer wieder auf. Das Monarchistische fasziniert und ist Teil der österreichischen Volkskultur. Das Führen von Adelstiteln allerdings ist in Österreich seit dem Ende der Monarchie per Gesetz verboten. Das Adelsaufhebungsgesetz von 1919 sieht bei Zuwiderhandlungen Sanktionen im Rahmen einer Verwaltungsstrafe "bis zu 20.000 Kronen oder bis zu sechs Monate Arrest" vor.

Die Frage, wie mit den einstigen hohen Familien und ihre Nachfahren umzugehen ist, hat hierzulande schon das Parlament sowie mehrere Gerichte beschäftigt. Nun hat sich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im französischen Straßburg damit befasst. Laut einem am Dienstag veröffentlichten Entscheid, über den als Erstes die Presse berichtet hat, hat der Gerichtshof Österreich für die Entfernung von lang gebrauchten Adelsprädikaten durch die Behörden verurteilt.

Beschwerde

Beschwerde eingelegt hatten dem Bericht zufolge vier Mitglieder der Familie Künsberg Sarre – darunter der Ehemann der Neos-Abgeordneten Martina Künsberg Sarre, nicht aber sie selbst. Die Familie argumentiert, dass die eigenen Vorfahren nie dem Adel angehört hätten – sie wollten lediglich ihren Namen zurück, den sie seit der Geburt beziehungsweise in einem Fall der Heirat geführt haben. Der Zusatz "von" im Nachnamen sei demnach durch die Immigrationsgeschichte der Vorfahren entstanden. Auch im Personenstandsregister und damit in sämtlichen Ausweisen fand sich das Wort "von". Das galt zumindest bis zum Jahr 2018: Damals strich die Stadt Graz den Zusatz. Weil Verfassungsgerichtshof (VfGH) und Verwaltungsgerichtshof (VwGH) die Beschwerde der Familie abgelehnt hatten, zog sie damit vor den EGMR weiter.

EGMR-Spruch

Die Richterinnen und Richter in Straßburg befanden nun, die österreichischen Behörden hätten über Jahrzehnte das "von" gelten lassen. Das Wort jetzt zu streichen ist dem Gerichtshof zufolge ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben. Das Adelsaufhebungsgesetz verfolge zwar das "legitime Ziel", Gleichheit unter den Menschen in Österreich herzustellen. Warum die Streichung des Zusatzes im Fall Künsberg Sarre notwendig sei, um die demokratische Gleichheit und die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, hätten die Gerichte aber nicht erklärt.

Österreich hat nun drei Monate Zeit, den Fall vor die Große Kammer des EGMR zu bringen. Entscheidet diese zugunsten der Beschwerdeführer, dürfen Namen, die bereits jahrzehntelang offiziell geführt wurden, nachträglich nicht mehr verändert werden.

Der ehemalige Adel im Heute

Rund 180 ehemalige Adelsfamilien mit 11.000 Mitgliedern leben laut Schätzungen in Österreich. Die Frage nach der gesellschaftspolitischen Relevanz des "blauen Blutes" stellte sich zuletzt, als Alexander Schallenberg im Oktober 2021 nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz kurzfristig die Amtsgeschäfte als Bundeskanzler übernommen hatte. Der Diplomat war damit der erste Kanzler aus einer einst adeligen Familie seit Kurt Schuschnigg, der von 1934 bis 1938 die katholisch-autoritäre Regierung leitete. Der nunmehrige Außenminister Schallenberg entstammt einem alten Adelsgeschlecht aus dem Mühlviertel.

Im Mittelalter waren die Grafen, Herzöge und Prinzen reich und überaus mächtig. Mit der Zeit verlor der Adel seine wichtigsten Privilegien. Ausgerechnet Bruno Kreisky holte ihn in der Zweiten Republik verstärkt in die Politik zurück. Dem sozialdemokratischen Kanzler wird ein Hang für den Adel nachgesagt. Er soll argumentiert haben, er brauche für das internationale Parkett eben Leute, die ordentlich mit Messer und Gabel essen könnten. Einige Verbindungen zwischen Politik und Adel bestehen auch heute noch.

Bisherige Verfahren

Ulrich Habsburg-Lothringen, ein Verwandter des letzten Kaisers Karl und früherer Kärntner Grünen-Politiker, kämpfte 2009 für die Aufhebung des Verbots der Präsidentschaftskandidatur für Mitglieder des ehemals regierenden Hauses Habsburg. Im Zuge einer Wahlrechtsreform beschlossen 2011 alle im Nationalrat vertretenen Parteien die Streichung des "Habsburger-Paragrafen". Den "von"-Zusatz hatte auch Kaiserenkel Karl Habsburg durchzusetzen versucht: Er ging bis zum VfGH, der den Schuldspruch, aber auch eine Gesetzeslücke bestätigte: Die Geldstrafe in Kronen sei heute nicht anwendbar. Im Parlament hat es immer wieder Initiativen gegeben, den Strafbetrag im Gesetz in Euro anzugeben – bisher ohne Erfolg. (Anna Giulia Fink, 18.1.2023)