Unterschiedliche Auffassungen in Davos: Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (Mitte) spricht von "neuer Deutschland-Geschwindigkeit", während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mehr Tempo fordert.

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Werden nun endlich Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine geliefert? Diese Frage wurde zuletzt vor allem an einen gerichtet: den deutschen Kanzler Olaf Scholz (SPD). Seine Rede beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos war am Mittwoch mit Spannung erwartet worden. Er hatte zuvor auch mit US-Präsident Joe Biden telefoniert und sich auf eine wirksame, nachhaltige und eng abgestimmte Unterstützung für die Ukraine verständigt. Zunächst wollte sich der deutsche Kanzler nicht darauf festlegen. Später hieß es jedoch, dass Deutschland zur Lieferung unter einer Bedingung bereit sei: wenn auch die USA die Ukraine mit Kampfpanzern unterstützen.

VIDEO: Wie stehen die Deutschen zur Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine? Eine Straßenumfrage in der Bundeshauptstadt.
DER STANDARD

Scholz nutzte seine Ansprache vor allem dafür, die erfolgreiche Krisenbewältigung seines Landes zu bewerben, und skizzierte den Weg mit einer neuen "Deutschland-Geschwindigkeit" zu einem klimaneutralen Land bis 2045. Erst die letzte Frage aus dem Publikum von einem Vertreter aus der Ukraine sprach die Panzer an. Scholz holte in seiner Beantwortung weit aus: Deutschland sei einer der größten Unterstützer der Ukraine. Die USA würden am meisten tun, mehr als alle europäischen Länder zusammen. Deutschland habe sich aber auch schon früh für den Support der Ukraine entschieden.

Schulterschluss mit USA

Man wolle nicht nur mit militärischer und politischer Hilfe unterstützen, sondern auch im weiteren Umfeld. Diese große Hilfe solle fortgesetzt werden. Deutschland habe beschlossen, nicht nur Waffen wie Haubitzen und Raketenwerfer zur Verfügung zu stellen, mit denen Angriffe aus Russland abgewehrt werden könnten. In jüngster Zeit habe man mit den USA und in Abstimmung mit Frankreich beschlossen, auch Marder-Panzer zu liefern.

Man arbeite zusammen, diskutiere miteinander, wolle im Schulterschluss mit den USA die Unabhängigkeit der Ukraine verteidigen. In diesem Zusammenhang wollte Scholz auch unterstreichen, dass die Ukraine auf Deutschland zählen könne, solange dies nötig sei. Einschränkend meinte der Kanzler jedoch: "Wir möchten auch vermeiden, dass es in einen Krieg zwischen Russland und der Nato ausartet."

Am Mittwochabend sickerte allerdings durch, dass Scholz zur Lieferung der Panzer bereit sei, wenn die USA ihrerseits Abrams-Kampfpanzer liefern. Dies habe er Biden im Telefonat gesagt, berichtete die "Süddeutsche Zeitung". Biden aber habe sich nicht festgelegt. Später ließ US-Verteidigungsstaatssekretär Colin Kahl dann wissen, dass man noch nicht bereit für die Panzerlieferungen sei. Als Grund wurde die aufwendige Instandhaltung und Ausbildung an dem Panzermodell genannt. Einem Bericht von "Politico" zufolge wollen die USA jedoch Radschützenpanzern des Typs Stryker liefern.

Selenskyj fordert Tempo

Gleich im Anschluss an Scholz schaltete sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj live aus Kiew zu einer Podiumsdiskussion in Davos ein. Nach einer Schweigeminute wegen des abgestürzten Helikopters ließ er auch klare Kritik an der langsamen Unterstützung für sein Land anklingen, wenn er Deutschland auch nicht dezidiert nannte. In einer Zeit multipler Krisen müssten Entscheidungen sehr schnell getroffen werden. Der russische Angriffskrieg zeige: "Die Tyrannei überholt die Demokratie." Die Zeit, die sich die freie Welt nehme, würde von Terroristen genommen werden, um viele Leben zu zerstören.

In der Ukraine habe man schnell gehandelt, diese Geschwindigkeit müsse die gesamte Welt übernehmen, denn man habe Russland zu lange zugeschaut. Selenskyj: "Unsere Verteidigungssysteme müssen schneller greifen als die Angriffssysteme von Russland." Kriegsverbrechen müssten bekämpft und verhindert werden. Die EU müsse diese Geschwindigkeit nun erreichen. Der Präsident abschließend: "Wir müssen zusammenstehen. Wenn uns das gelingt, dann gewinnen wir auch. Es ist ein Spiel gegen die Zeit, wir müssen schneller handeln."

Druck bleibt aufrecht

Nicht nur von Selenskyj wird weiter Druck ausgeübt. Auch Christoph Heusgen, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Großbritannien und Polen wollten der Ukraine selbst Kampfpanzer liefern und seien dafür, dass Deutschland dies auch tue: "Wir müssen da vorangehen. Und wir müssen im Geleitzug jetzt auch die Leopard 2 liefern."

Wladimir Klitschko, der Bruder von Kiews Bürgermeister Witali Klitschko, schrieb auf Twitter an den neuen deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD): "Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen! Dafür brauchen wir jetzt vor allem eines: Leopard-2-Panzer!"

Laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) könnte der Rüstungskonzern Rheinmetall, der die Leopard-Panzer herstellt, doch noch 2023 liefern. Zunächst hatte es geheißen, dies sei erst 2024 machbar.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass die deutsche Regierung Leopard-Panzer aus Bundeswehrbeständen abgibt. Allerdings warnt der frühere Inspekteur des Heeres, Bruno Kasdorf, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Ich weiß, dass es in der Truppe knirscht, wenn sie weiteres Material an die Ukraine abgeben muss."

Für die Lieferung von Leopard-Panzern spricht sich auch eine interessante Allianz aus: CDU-Chef Friedrich Merz und die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger. Brugger sagt: "Wer der Lieferung von Mardern (Schützenpanzer, Anm.) zustimmen kann, kann auch Leopard-Panzer liefern." (Rainer Schüller aus Davos, Birgit Baumann aus Berlin, 18.1.2023)