Der Besitz von Adolf Hitlers Machwerk "Mein Kampf" – hier in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem – ist einer der Anklagepunkte im Wiederbetätigungsprozess gegen einen Deutschen.

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Wien – In einem Punkt muss man Verteidiger Werner Tomanek zustimmen. Dass sich sein Mandant erst heute wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung vor einem Geschworenengericht unter Vorsitz von Johannes Varga verantworten muss, ist kaum nachvollziehbar. Schließlich war der 54-jährige Herr H. in den 80er- und 90er-Jahren eine große Nummer in der deutschen und österreichischen Neonaziszene. Dennoch ist er bisher unbescholten – erst im Zuge von Ermittlungen gegen andere wurden seine Textnachtrichten sichergestellt, wegen denen er unter anderem heute hier ist.

H. war ein enger Vertrauter der verstorbenen deutschen Szenegröße Michael Kühnen, kämpfte als Söldner für Kroatien im Krieg gegen Restjugoslawien und dockte in Österreich bei der selbsternannten "Vapo" – der "Volkstreuen außerparlamentarischen Opposition" – an. Seit Ende 1995 lebt der Deutsche in Wien, mittlerweile sei er "aus der aktiven politischen Szene ausgestiegen", betont der verheiratete Angestellte.

Einschlägige Bücher im Lagerraum

Angeklagt sind drei unterschiedliche Komplexe: Im Schlaf-/Arbeitszimmer der ehelichen Wohnung hing ein großes Bild eines Soldaten in Wehrmachtsuniform. "Das ist mein Großvater, bei dem ich aufgewachsen bin", erklärt H. dazu, "das Bild war immer in der Familie." Der zweite Anklagepunkt: In einem Lagerraum wurden einschlägige Bücher wie Adolf Hitlers "Mein Kampf" oder ein Machwerk mit dem Titel "Starben wirklich sechs Millionen?" gefunden, aus Sicht der Anklagebehörde sollten sie für NS-Propaganda verwendet werden. "Die habe ich früher gehabt, aber seit 30 Jahren nicht mehr in der Wohnung", betont der Angeklagte dazu.

Im Gegensatz zur Staatsanwältin sieht Verteidiger Tomanek in diesen beiden Punkten den Tatbestand der nationalsozialistischen Wiederbetätigung nicht erfüllt. In den auf H.s Mobiltelefon sichergestellten Nachrichten aus den Jahren 2016 bis 2020 ortet Tomanek einen "Verbotsirrtum". Der Angeklagte selbst führt das aus: "Ich hätte es nicht gemacht, wenn ich gewusst hätte, dass es verboten ist. Es waren Nachrichten an einzelne Bekannte, ich war der Meinung, das fällt unter das Briefgeheimnis." Auf Nachfrage von Beisitzer Andreas Hautz, warum er denn glaube, dass es einen Unterschied mache, ob man Einzelpersonen oder Gruppen kontaktiere, ändert der Angeklagte seine Linie. "Ich habe satirische Whatsapp-Nachrichten weitergeleitet", meint er nämlich.

"Ich bin sicher kein Linker"

Sowohl einem Geschworenen als auch der Anklägerin entgeht der humoristische Gehalt in Nachrichten wie "Moin, alles Gute zum Geburtstag. Der Kampf geht weiter!!", versandt an einem 20. April, dem Geburtstag Hitlers, oder "Der Kampf geht weiter! 88!". "Was ist Ihre jetzige politische Gesinnung?", will eine Laienrichterin wissen. "Ich bin sicher kein Linker, aber ich verhalte mich ruhig", lautet die Antwort.

Im Schlussplädoyer geht die Staatsanwältin ausführlich auf die Verteidigungslinie ein und legt ihre Sicht der Dinge dar. Ja, das Porträt des Großvaters im Schlafzimmer aufzuhängen sei tatsächlich legal – vorausgesetzt, man könne sicherstellen, dass kein anderer Mensch es sehe. "Warum behält man solche Sachen?", fragt sie zur einschlägigen Literatur im Lagerraum. Und auch an den "Verbotsirrtum" glaubt sie nicht – habe H. doch im Prozess darauf hingewiesen, dass der sogenannte Kühnen-Gruß, eine Geste, mit der andere Menschen angeblich drei Bier bestellen, in Deutschland nicht strafbar gewesen sei. "Er hat sich mit der Materie auseinandergesetzt", ist sie überzeugt.

Verteidiger kritisiert Verhältnismäßigkeit

Der Verteidiger widerspricht in seinen Schlussworten. "Wir verhandeln Unfug heute!", donnert Tomanek den Laienrichterinnen und Laienrichtern entgegen. Sein Mandant sei im Gegensatz zu anderen Männern nie verurteilt worden und äußere sich nicht mehr öffentlich. Er vermisst auch die Verhältnismäßigkeit der juristischen Konsequenzen im Vergleich zu einem anderen aktuellen Fall: "Wenn man 58.000 Bilder von missbrauchten Kindern hat, drohen maximal zwei Jahre – und man sitzt vor dem Einzelrichter. Wenn unter diesen 58.000 Bildern ein vertrotteltes, geschmackloses Bild vom Adolf wäre, ist der Strafrahmen ein bis zehn Jahre – und man sitzt vor Geschworenen", prangert er an.

Die Angesprochenen beraten recht lange über ihr differenziert ausfallendes Urteil. Am Ende sprechen sie das Faktum der gelagerten Bücher mit sechs zu zwei Stimmen frei, auch im Abbild des Großvaters sehen sie mit sieben zu einer Stimme keine NS-Wiederbetätigung. Für seine Nachrichten wird er dagegen meist einstimmig schuldig gesprochen. Die Strafe: 18 Monate bedingte Haft. "Passt, nehm ma!", ruft der Verteidiger seinem Mandanten zu, da die Staatsanwältin aber keine Erklärung abgibt, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 19.1.2023)