Welche Modelle könnten passen, um selbst nach erreichtem Pensionsalter noch gern zu arbeiten?

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"Unternehmen beschäftigen sich damit, wenn's wehtut." Christian Havranek redet nicht herum, wenn es um die Frage nach den äußerst überschaubaren Erfolgen spezieller Programme für ein längeres Verbleiben im Erwerbsleben geht – etwa die Aktion 50 plus. Jetzt beginne es wehzutun, denn nun gehe es um die Abmilderung des Fach- und Arbeitskräftemangels. Diese Not macht Firmen jetzt hellhörig. Was können wir mit den Älteren machen, was wollen die mit uns machen? In den meisten Unternehmen ist die Gruppe der über Fünfzigjährigen auch eine große. Was genau ist da los, dass ab Mitte fünfzig offenbar so oft nur ein Weg vorgezeichnet ist: Ab in die Pension?

Havranek hat in den vergangenen Jahren im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF) rund 1.800 KMUs beraten, Generationendialoge und Bewusstseinsbildung (mit Instrumenten wie etwa Reverse Mentoring, wo Ältere von Jungen lernen) durchgeführt. Aus dieser Erfahrung sagt er: Ältere würden tendenziell problematisiert, gelten als teuer, und eigentlich würden hauptsächlich Anreize gesammelt, um sie loszuwerden. Zumindest bis jetzt. Dazu komme ein großes Wegschauen in Unternehmen, während auf individueller Ebene ab Mitte 50 die konkreten Pläne für das Arbeitsende reiften. Die Investition in die Weiterbildung Älterer, bestätigt er, ende meistens ab 50.

Ältere aktiv zum Reden einladen

Wie geht es besser? Unternehmen empfiehlt Havranek konkret, ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gezielt zu Gesprächen über die kommenden zehn Jahre einzuladen: Welche Vorstellungen haben beide Seiten? Das Schlagwort dazu ist "Silberkarriere". Wie kann qualifiziert in verträgliche Arbeitszeitmodelle investiert werden, wie können jahrelange Expertise und Qualifikation im Unternehmen gehalten werden? Tatsächlich, so das Ergebnis von Befragungen auf Arbeitnehmerseite, wollen die meisten Älteren nicht kontinuierlich nach Erreichen des Pensionsalters weiterarbeiten, sondern eher maßgeschneidert, in Projekten, mit speziellen Funktionen, etwa einem Supervising, als Trainer, für den Transfer von Wissen.

Hoffnungen, dass solcherart der Verbleib im Erwerbsleben mit 60, 65 plus zu einem Massenphänomen werden kann, hat Havranek nicht. "Aber es gehört in den Werkzeugkoffer jedes Unternehmens." Es müssten sich beide Seiten "einen Ruck geben". Das ist zweifellos auch eine Frage der Unternehmenskultur. Traut sich jemand Älterer zu sagen, dass manche Dinge schon schwerfallen oder so nicht mehr leicht zu erledigen sind? Haben Junge das Gefühl, den Älteren gehöre die Macht?

Wie sieht eigentlich der Status quo aus? "Weniger als eines von zehn Unternehmen hat das durchgedacht für seine Belegschaft", so Havranek. Sein "schneller Fiebermesser" für die Reife einer Firma in Sachen Behalten von Expertise: "Wenn es für 50 plus Weiterbildung gibt, dann ist schon alles recht gut unterwegs." Strukturierte Bindung Älterer und jener, die bereits pensionsberechtigt sind, sei jedenfalls aktuell noch "Avantgarde".

Was könnte die Politik schnell ändern, um jenen, die weiterarbeiten wollen, nicht alles noch schwerer zu machen? Da muss Christian Havranek, selbst 61, nicht lange überlegen: "Die Zuverdienstgrenze bei der Korridorpension gehört sofort weg, sie soll behandelt werden wie die Regelpension."

Christine R. (60)*, Projektmanagerin

Ende März geht Christine R. nach 40 Arbeitsjahren in Pension. "Von meiner Grundprofession her bin ich Lehrerin, aktuell verantworte ich in der Bildungsdirektion Burgenland Kooperationen zwischen Österreich und Ungarn sowie der Slowakei", sagt die 60-Jährige. Ursprünglich hatte sie überlegt, noch etwas länger im Job zu bleiben. Weil ihre laufenden Projekte aber mit Dezember abgeschlossen waren, habe sich das Frühjahr zeitlich gut angeboten. "Würde ich bis Ende des Schuljahres im September bleiben, hätte es finanziell auch nicht wirklich einen Unterschied gemacht", erzählt sie. Ihre Nachfolge tritt eine Kollegin an, die bislang Teilzeit im Projektmanagement tätig ist und ohnehin ihre Stunden aufstocken wollte. Die Übergabe verlaufe damit reibungslos.

Konkrete Pläne für die Pension habe R. zwar noch nicht, sie freue sich aber darauf, künftig abseits der Schulferien verreisen zu können. Die gewonnene freie Zeit möchte sie außerdem dazu nutzen, Italienisch zu lernen und mehr Zeit mit ihren Enkeln zu verbringen. Ganz lossagen von der Arbeitswelt will sich die 60-Jährige aber nicht: "Ich könnte mir vorstellen, im Rahmen von Projekten wieder mit einigen Stunden auszuhelfen." In einem höheren Ausmaß sei das für sie aber nicht mehr vorstellbar. Gerade das Projektmanagement sei oft mit Stressphasen und Überstunden verbunden. "Aber eine Aufgabe zu haben, das würde mir nach wie vor Freude bereiten."

Edith (65) und Hans Z. (65)*: Lehrerin und Arzt im Krankenhaus

Im Vorjahr sind Edith und Hans Z. gemeinsam in Pension gegangen. "Ich war Lehrerin – und das bis zum Schluss sehr gerne", sagt die 65-Jährige. Auf die Pension gefreut habe sie sich ursprünglich nicht. Als strukturierter Mensch habe ihr der geregelte Tagesablauf plötzlich gefehlt: "Das muss ich noch lernen. Ich denke auch immer noch in Kalenderwochen ab Schulbeginn." In ihrem Umfeld hätten die meisten die Erfahrung gemacht, dass es etwa ein Jahr dauert, im neuen Alltag anzukommen. "Das glaube ich mittlerweile – vier Monate später – auch", sagt sie lachend.

Wäre Bleiben eine Option gewesen? "Ich wurde gefragt, ob ich die Leitung der Schule übernehmen möchte, die ich übergangsweise schon einmal hatte. Aber mir war klar, dass ich das nicht möchte – mit 65 ist es genug." Wenn die Neopensionistin im Supermarkt von Eltern oder Großeltern angesprochen wird, sei sie aber oft zu Tränen gerührt: "Die sagen mir dann, wie schade sie es finden, dass ich ihre Kinder und Enkelkinder künftig nicht mehr unterrichte."

Hans Z. war 40 Jahre als Arzt im Krankenhaus – mehr als Hälfte davon auf der Palliativstation, die er bis vor kurzem geleitet hat. "Es war schon eine Erleichterung, diese Leitungsfunktion und die Verantwortung zu übergeben", sagt der 65-Jährige. In den letzten Jahrzehnten habe es außerdem eine Menge Entwicklung in den unterschiedlichen Bereichen des Krankenhausbetriebs gegeben – vom organisatorischen bis zum medizinischen und digitalen Fortschritt. Ihm war es wichtig, Platz für die nächste Generation zu machen: "Ich habe, was das angeht, einfach nicht mehr den Drive, den die Jungen haben. Ich wollte nicht bleiben und für Stillstand sorgen."

Vor seiner Pensionierung war Hans Z. wenig zu Hause. "Auch das war für uns beide erstmal eine Umstellung", sagt Edith Z. Neben gemeinsamen Unternehmungen verbringt sie nun mehr Zeit mit ihren Enkelkindern, hält ehrenamtlich Geschichtsstunden im Altersheim und engagiert sich in der Ortsbücherei. Der 65-Jährige habe die freie Zeit in der Pension zunächst genutzt, um sich handwerklich im Haus oder im Garten zu betätigen. Allmählich habe ihm dann aber die Anbindung an das berufliche Umfeld gefehlt. Der Personalmangel in den Spitälern hat Z. schließlich die Entscheidung zur Rückkehr in den Job erleichtert: "Es war schön, mit meiner Expertise gefragt zu sein, aber nicht mehr die Verantwortung der Leitung zu tragen", sagt er. Nun könne er wieder das machen, was er immer gerne gemacht habe: sich "um den Menschen kümmern".

In seiner Berufsgruppe ist Z. damit kein Einzelfall: "Nicht wenige sind in Pension gegangen und nach drei Monaten wieder für zwei bis drei Tage pro Woche zurückkommen." Ein Kollege aus der Pathologie sei mit 80 Jahren noch im Dienst – ohne Menschen wie ihn würde das System nicht funktionieren, sagt er. Ein Ende seiner beruflichen Tätigkeit ist auch für Z. nicht in Sicht: "Für mich ist die Arbeit mein Leben. Gleichzeitig verstehe ich es, wenn Menschen in anderen Settings das nicht so sehen."

Dieter H. (63)*: Fahrschullehrer

Für Dieter H. war es ein nahtloser Übergang: Nach 46 Jahren ging sein Vollzeitjob vor einem Jahr in eine geringfügige Anstellung über. "Ich habe meinen Chef gefragt, ob ich noch weiterhin kommen soll, und bin dann eigentlich dageblieben", sagt der 63-Jährige. Seitdem arbeitet der Pensionist 22 Stunden im Monat als – wie er intern genannt wird – Feuerlöscher. "Wenn jemand krank ist oder es gerade stressig ist, springe ich ein – sofern ich gerade Zeit habe", erzählt er.

Für ihn sei das Leben in der Pension leichter geworden. Auch wenn er nach wie vor genug zu tun habe: "Die Garage aufräumen zum Beispiel." Neben der gewonnenen Freizeit, die er mit seiner Frau auf Reisen verbringt, schätze er nun vor allem die Freiheit und Flexibilität im Job. Finanziell sieht H. die geringfügige Anstellung als "nettes Taschengeld" zur Pension. Auch seine Frau jobbt nebenbei aus Leidenschaft im Theater.

Ein Leben ganz ohne die Arbeit kann sich der 63-Jährige nicht vorstellen: "Ich möchte arbeiten, so lange es geht und so lange ich gebraucht werde." Sein Vorgänger, der dasselbe Modell genutzt habe, sei vor kurzem mit 70 endgültig in den Ruhestand getreten. In seinem Umfeld stoße seine Einstellung nicht immer auf Verständnis. "Für mich ist die Arbeit aber nicht nur ein Job, sondern auch ein Ort des Austausches", sagt er. Genauso wie die Jungen ihn um Rat fragen würden, könne er auch von ihnen noch Neues dazulernen. (Karin Bauer, Anika Dang, 22.1.2023)