Das AMS fördert die Anstellung von Jobsuchenden über 50. Für 2023 sind rund 200 Millionen Euro vorgesehen.

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Plötzlich sind sie gefragt. Pensionistinnen und Pensionisten sollen helfen, den Arbeitskräftemangel in Österreich zu beheben. Diese Marschrichtung hat die türkis-grüne Koalition ausgegeben. Vor allem die ÖVP drängt darauf, Arbeiten nach Pensionsantritt finanziell reizvoller zu machen, damit Ruheständler in ihre Jobs zurückkehren. Eine Arbeitsgruppe soll Konzepte erarbeiten. Dort sollen auch Anreize ersonnen werden, um Menschen über das gesetzliche Pensionsantrittsalter (60 bzw. 65 Jahre) hinaus im Erwerbsleben zu halten.

Die Wirtschaft kann solche Initiativen gut gebrauchen. Beim AMS sind aktuell mehr als 100.000 freie Stellen gemeldet – und das, obwohl im Winter sonst Flaute am Jobmarkt herrscht. Für 2023 hat das Arbeitsministerium 98 bundesweite Mangelberufe definiert, in denen besonders viele Arbeitskräfte fehlen. Das ist um ein Drittel mehr als vor einem Jahr. Leute fehlen in der Gastronomie ebenso wie in der Bauwirtschaft, der Industrie, in IT- und Gesundheitsberufen.

Expertinnen und Experten bescheinigen den Bemühungen der Regierung Potenzial. Doch die Debatte geht in einem zentralen Punkt an der Realität vorbei. Zehntausende Menschen würden gern arbeiten, finden aber keine Jobs. Erraten: weil sie den Unternehmen zu alt sind. Altersdiskriminierung ist am Arbeitsmarkt weiter stark verbreitet. Sie existiert neben dem Mangel.

Junges Team gesucht

Wer ältere Arbeitslose befragt, warum sie keine Jobs finden, bekommt rasch Geschichten über Diskriminierungserfahrungen zu hören. Da ist etwa Hannes aus Niederösterreich, ein 53-jähriger ehemaliger Lagerarbeiter, der erzählt, wie er sich online bei einem Unternehmen bewerben wollte, er aber keine Möglichkeit dazu bekommen habe: Das System akzeptierte eine Eingabe mit seinem Alter nicht.

Das ist kein Einzelfall, wie ein Blick auf die Website der Gleichbehandlungsanwaltschaft, die im Kanzleramt angesiedelt ist, zeigt. Unter der Rubrik "Fälle des Monats" wird als eine der ersten Geschichten jene eines 60-jährigen IT-Technikers erzählt, der seinen Job verlor und sich bei einer GmbH bewarb. Das Unternehmen sagte mit der Begründung ab, dass man mit jüngeren Leuten aus der "Generation X und Y" neu starten wolle. Er wandte sich an die Gleichbehandlungsanwaltschaft, die erreichte, dass der Betrieb ihm 500 Euro wegen Diskriminierung zahlte.

In den vergangenen zwei Jahren gab es rund 400 Anfragen an die Anwaltschaft wegen vermuteter Altersdiskriminierung. Die Betroffenen kommen, weil sie bei Bewerbungen ihres Alters wegen leer ausgingen oder argwöhnen, wegen ihres Alters gekündigt worden zu sein. Aber: "Es gibt eine gewaltige Dunkelziffer", sagt die Leiterin der Anwaltschaft, Sandra Konstatzky.

Altersdiskriminierung zu beweisen sei schwierig, oft nur möglich, wenn sich bereits in Jobanzeigen Hinweise finden (jemand für "junges Team" gesucht). Die Anwaltschaft kann aber auch zusätzlich Auskünfte verlangen und so Personen bei der Rechtsdurchsetzung unterstützen.

Die Benachteiligung von Älteren sei in der Gesellschaft besonders verbreitet, weil das eher hingenommen werde als andere Formen der Ausgrenzung, so Konstatzky. "Das Unrechtsempfinden ist in den Köpfen nicht so stark verankert."

Das Phänomen ist auch wissenschaftlich gut untersucht. 2019 haben die schwedischen Ökonomen Magnus Carlsson und Stefan Eriksson 6.000 fiktive Lebensläufe von weiblichen und männlichen Bewerbern im Alter von 35 bis 70 Jahren an schwedische Arbeitgeber mit freien Stellen verschickt. Sie wollten herausfinden, welche Rolle das Alter dabei spielt, ob jemand zu Bewerbungsgesprächen eingeladen wird.

Weniger nachgefragt ab 40

Die Bewerbungen unterschieden sich nur beim Alter. Jede fünfte Frau mit 35 wurde zu einem Gespräch eingeladen, im Alter von 60 war es nur mehr jede zwanzigste. Bei Männern Mitte 30 wurde jeder achte eingeladen, mit 60 war es auch nur mehr jeder zwanzigste. Die Rückrufquote beginnt freilich bereits ab Anfang 40 zu sinken.

Die Benachteiligung von Älteren sei so "substanziell", sagt Stefan Eriksson, einer der Studienautoren, dass sie selbst Diskriminierung auf Basis ethnischer Merkmale übertreffe. Solche Studien existieren für Österreich nicht – dass der Faktor Alter negativ wirkt, ist aber auch hier unzweifelhaft. Über 60-Jährige verweilten im vergangenen Boomjahr am Jobmarkt im Schnitt 336 Tage in Arbeitslosigkeit, sagt Dénes Kucsera, Experte beim wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria. Bei 30- bis 34-Jährigen waren es 117 Tage. Und laut Helmut Mahringer vom Forschungsinstitut Wifo sind das größte Risiko für Langzeitarbeitslosigkeit Alter, gesundheitliche Probleme und ein niedriger formaler Bildungsabschluss.

Aber warum lehnen Unternehmen es ab, Ältere zu beschäftigen? Die Gründe sind vielfältig. Der Chef des AMS Niederösterreich, Sven Hergovich, sagt, die Erwartungshaltung spiele eine Rolle: Viele Betriebe gehen davon aus, dass ältere Dienstnehmer nur kurz bleiben – obwohl das in Realität nicht zutreffen muss und sich auch ein 30-Jähriger bald verabschieden kann.

Martin Halla, Arbeitsmarktexperte an der Johannes-Kepler-Universität Linz, erklärt, es gebe "Taste-based-Diskriminierung", also dass manche Arbeitgeber eine prinzipielle Abneigung gegen ältere Arbeitnehmer hegten. Dann sei da noch die "statistische Diskriminierung": Arbeitgeber nehmen an, dass Ältere weniger produktiv sind oder nicht bereit sind, dazuzulernen, und öfter krankheitsbedingt fehlen werden.

Die Seniorität spielt bei Angestellten eine Rolle, wie Kucsera von Agenda Austria sagt. In Österreich steigt das Einkommen mit dem Alter stark an. Ist im Kollektivvertrag die Anerkennung von Vordienstzeiten vorgesehen, macht das Ältere teurer.

Die Ablehnung betreffe nicht nur ältere Arbeitslose, sondern generell Ältere, die von außen kommen, erklärt AMS-Chef Johannes Kopf. "Betriebe schätzen 50-jährige Mitarbeiter wegen ihrer Erfahrung. Aber keine 50-jährigen Bewerber."

Bonus-Malus-System

Freilich ist nicht alles trist. Die Chancen für ältere Jobsuchende haben sich laut Kopf zuletzt "deutlich verbessert". Die Arbeitslosigkeit bei Älteren ist im Vorjahr zurückgegangen. Schon seit mehreren Jahren steigt die Beschäftigung Älterer: Bei 55- bis unter 60-Jährigen lag die Beschäftigungsquote zuletzt bei 76 Prozent. Fünf Jahre davor waren es nur 66 Prozent. Der Staat fördert die Beschäftigung Älterer über das AMS. Ab Herbst 2021 standen dafür 300 Millionen Euro bereit, nun ist die Sonderförderung ausgelaufen. Da der Boom am Arbeitsmarkt 2023 zudem nachlässt, kann es gut sein, dass es mit der Erholung am Jobmarkt für Ältere vorbei ist.

Expertinnen und Experten haben einige Vorschläge, um nachhaltigen Wandel herbeizuführen. Arbeitsmarktökonom Halla argumentiert, kluge Arbeitsmarktpolitik müsse vor allem versuchen, Gesundheit im Alter zu fördern, um Vorurteile bei Arbeitgebern abzubauen. Konstatzky von der Gleichbehandlungsanwaltschaft will das Thema in der Öffentlichkeit vermehrt diskutieren, um die Wahrnehmung für das Problem zu schärfen.

Ökonom Mahringer empfiehlt Initiativen, die dafür sorgen, dass ältere Beschäftigteihre Jobs behalten. Möglich wären Bonus-Malus-Zahlungen für Betriebe, je nachdem, ob sie besonders viele oder besonders wenige Menschen über 50 beschäftigen. (András Szigetvari, Renate Graber, 22.1.2023)