Ortlieb gibt sich keineswegs zugeknöpft. Für Versäumnisse der letzten zehn Jahre könne er aber nichts.

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Patrick Ortlieb ist ein Reisender in Sachen Ski. Vor den Kitzbühel-Rennen nahm er an einer Diskussion des Wiener Skiverbands teil, der mit dem "Ski-Business-Club" neue Impulse setzen will. Gute Gelegenheit für ein Gespräch über die Probleme der ÖSV-Alpinen.

STANDARD: Der ÖSV steckt in der Krise, heißt es nicht nur in österreichischen Medien. Was ist dran?

Ortlieb: Der ÖSV ist in gar keiner Krise. Wir sind in fast allen Sparten erfolgreich. Wir fahren im Skicross alles in Grund und Boden, die Skispringerinnen gewinnen. Man muss schon den gesamten Verband betrachten. Eine Medaille von Anna Gasser ist genauso viel wert wie eine von Vincent Kriechmayr.

STANDARD: Das Aushängeschild des ÖSV war aber immer der alpine Skisport. Da sieht es düster aus.

Ortlieb: Dort wird von uns zu Recht mehr Leistung eingefordert. Wenn wir in der Abfahrt von Bormio nur mit fünf Läufern am Start stehen, ist das ein schlechtes Zeichen. Wenn im Europacupslalom keine einzige unter den 30 ist, schmeckt uns das auch nicht. Aber die Fehler sind nicht im letzten Jahr passiert. Wir haben Versäumnisse aufzuarbeiten, müssen die Probleme ansprechen und die jungen Athleten und Athletinnen aus der Reserve locken.

STANDARD: Sind die überhaupt da?

Ortlieb: Die sind schon da. Nicht mehr in der Menge wie früher, aber das folgt nur einem allgemeinen Trend im Skisport.

STANDARD: Dass es an Nachwuchs mangelt, hört man seit gut zehn Jahren. Warum ist nichts passiert?

Ortlieb: Das war vor meiner Zeit, das kann man mir nicht vorwerfen. Man hat versucht, etwas zu ändern, aber es hat nicht wirklich gegriffen, weil man oft in alte Muster zurückgefallen ist. Oben hat die Performance gepasst, aber wenn sich einer verletzt oder zurücktritt, wird es eng. So wie jetzt nach der Verletzung von Max Franz und dem Rücktritt von Matthias Mayer alles an Kriechmayr hängt. Früher gab es auch nicht immer fünf Siegfahrer gleichzeitig, aber das Back-up war besser. Das ist jetzt ausgedünnt.

STANDARD: Was muss sich ändern, um diese Lücken zu vermeiden?

Ortlieb: Aus dem Mittelbau kann vielleicht noch der eine oder andere als Spätzünder durchstarten. Und die ganz Jungen muss man möglichst schnell mit dem besten Support und Know-how und vor allem verletzungsfrei durchbringen.

STANDARD: Die Angst vor Verletzungen ist nicht unbegründet.

Ortlieb: Wir haben eine sehr lange Historie von Verletzungen. Meine Tochter Nina hatte 17 Operationen. Waren immer alle fit? Hatten wir die besten Konditionstrainer? Sind wir am letzten Stand der Sportwissenschaft? Das muss man hinterfragen.

STANDARD: Hans Knauß sieht den ÖSV im Heranführen des Nachwuchses an die Spitze in der Steinzeit.

Ortlieb: Es arbeiten hier schon engagierte Leute. Aber es gibt Probleme. Ein Beispiel: Neun von 14 aus einer Trainingsgruppe dürfen zum Weltcup fahren. Aber alle Trainer fahren mit. Und die fünf Läufer zu Hause stehen ohne Trainer herum. Da müssen wir effizienter werden.

STANDARD: Vor zehn Jahren war die Schweiz weg vom Fenster, jetzt läuft es wieder. Was hat man sich dort überlegt, ist sie ein Vorbild?

Ortlieb: Wir arbeiten in Österreich mit neun Landesverbänden. Wenn man zu wenig Athleten hat, werden die Kader so lange aufgefüllt, bis der Bus voll ist. In der Schweiz gibt es nur drei Regionalverbände, die arbeiten hochprofessionell. Das müssen wir uns auch überlegen. Wir haben viele super Schulen, aber jede Schule macht alles. In Stams gibt es Skispringen, Langlauf, Biathlon, Snowboard, Alpin. Besser wären alpine Stützpunkte mit den besten Trainern und der besten Infrastruktur. Dann kommen die Leute schon – wie in den Fußballakademien.

STANDARD: Rutschen zu viele Talente durch das ÖSV-System?

Ortlieb: Was ist ein Talent? Es gibt so viele entscheidende Faktoren. Passt der Körper? Passt die Technik? Und vor allem: Ist er oder sie ein Killer? Also, wie suche ich die Athleten aus? Worauf muss ich im Scouting Wert legen? Es ist kompliziert. Der eine startet schnell durch, der andere braucht länger.

STANDARD: Stimmt es, dass die ÖSV-Alpintrainer in den vergangenen Jahren zu viel kosteten? Dass Sie schluckten, als Sie die Summen sahen?

Ortlieb: Hmmm. Was heißt "zu viel gekostet"? Wir sind kein Sparverein, das habe ich von Peter Schröcksnadel gelernt. Wenn es dem Erfolg förderlich ist, zahlt es sich aus. Es sind ohnehin Peanuts gegen die Gehälter von Fußballtrainern. Alpintrainer stehen um vier Uhr früh mit dem Wasserschlauch und der Bohrmaschine auf der Piste, das sind eigentlich arme Hunde.

STANDARD: Als Sie zuletzt die Versäumnisse im ÖSV ansprachen, ist das nicht überall gut angekommen. Ist Kritik im Skisport unerwünscht?

Ortlieb: Ich kritisiere mich damit auch selbst, bin ja Teil des Verbandes, habe an den Strukturen mitgearbeitet. Aber die Veränderungen haben noch nicht gegriffen. Wir sind ein inzwischen demokratisch geführter Verband. Der Ex-Ex-Präsident hat sich geäußert, ich verurteile das nicht. Wir werden bald miteinander reden.

STANDARD: Im Vergleich zu anderen Sportarten hat sich der Skisport seit zehn Jahren kaum weiterentwickelt.

Ortlieb: Er hat sich seit dreißig Jahren kaum verändert. Es gibt jetzt aber im internationalen Skiverband gute Köpfe, die zuvor schon im Fußball oder im Tennis etwas in Bewegung gesetzt haben.

STANDARD: Wo soll man ansetzen?

Ortlieb: Da ist viel möglich. Aber man muss etwa Kitzbühel nicht neu erfinden. Der 100-Meter-Lauf bleibt auch der 100-Meter-Lauf. Wobei Rennen im Hauptabendprogramm noch mehr Leute vor den Fernseher locken können. Das wiederum geht nur unter der Woche. Ein Skirennen wird nicht Wetten, dass..? am Samstagabend verdrängen. Slalom und Riesentorlauf in Schladming nächste Woche werden bestimmt Knaller. Das ist richtungsweisend. (Philip Bauer, Fritz Neumann, 20.1.2023)