Proteste in Pretoria gegen die stundenlangen Stromabschaltungen und die Erhöhung der Strompreise.

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Bekannt gemacht hat Thando Makhubu kein anderer als Cyril Ramaphosa. In seiner Rede zur Lage der Nation stellte der südafrikanische Präsident den 30-Jährigen vor zwei Jahren als glorreiches Beispiel für junges Unternehmertum heraus. Makhubu hatte während der Pandemie seinen Job verloren und vom Staat monatlich umgerechnet rund 20 Euro an Unterstützung erhalten. Die sparte er sieben Monate lang an und eröffnete dann in Sowetos Madlala-Straße einen Eissalon. "Das gab es bei uns im Township noch nicht", erklärt der Besitzer der Soweto Creamery: "Außerdem bin ich selbst wild auf Süßigkeiten." Das Geschäft lief dermaßen gut, dass Makhubu bald vier Angestellte beschäftigen konnte.

Eineinhalb Jahre lang rollte der Rand, dann schlug Eskom zu. Der staatliche Elektrizitätskonzern schaltet seit einem halben Jahr täglich für mehrere Stunden im Wechsel ganze Stadtteile ab: anfangs noch für zwei Stunden am Tag, inzwischen sind es bis zu zehn Stunden. Makhubu legte sich für viel Geld einen Generator zu: Denn einmal aufgefroren, lässt sich Speiseeis nicht mehr verkaufen.

Keine Besserung in Sicht

Zunächst verkraftete er die zusätzlich anfallenden Dieselkosten noch: Doch seit das "load shedding" auf Stufe sechs geklettert ist – das Drosseln der Stromlast für täglich bis zu zehn Stunden –, frisst ihm der Brennstoff alle Einnahmen weg. "Geht es so weiter, muss ich den Laden dichtmachen", sagt der vom Präsidenten gepriesene Vorbildbürger. Und nichts weist darauf hin, dass es bald besser wird. Im Gegenteil.

Die jüngste Eskalation der Stromnot droht Südafrika in eine Rezession zu stürzen. Bei Stufe sechs kostet das "load shedding" die Volkswirtschaft täglich rund vier Milliarden Rand, schätzen Experten: gewaltige 220 Millionen Euro. Weil die Ampeln die meiste Zeit nicht funktionieren, wird der Verkehr in Johannesburg immer chaotischer. Und weil die Batterien der Sendemasten nicht ausreichend geladen werden, funktioniert auch das Mobilfunknetz immer schlechter.

Milliardenkosten

Das Wasser wird knapp, weil die Pumpen für die Reservoire nicht mehr genug Strom haben. Und in einer Hühnerfarm nordwestlich von Johannesburg sind 40.000 Tiere erstickt, weil die Lüftung zu lange ausfiel. In Privathaushalten machen Batterien und elektrische Geräte schlapp – von den kurzen Ladezeiten und dem dauernden Ein- und Ausschalten zerstört. Um das Stromnetz nicht ganz zusammenbrechen zu lassen, verbrennt Eskom in Notaggregaten Millionen Liter an Diesel am Tag: Im vergangenen Jahr kostete das eine Milliarde Euro, in diesem Jahr gewiss noch mehr.

Nachdem sie das "load shedding" lange höhnisch und zähneknirschend hingenommen haben, ist die Geduld der Südafrikaner jetzt aufgebraucht. Die oppositionelle Demokratische Allianz organisiert eine Großdemonstration zum Johannesburger Sitz des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC): Die Regierungspartei wird für die immer schlimmer eskalierende Stromnot verantwortlich gemacht. Nichtstaatliche Organisationen beauftragen Anwälte, um Klagen gegen die Regierung vorzubereiten. Und in den sozialen Netzwerken wird Gift und Galle gespuckt.

Strom wird noch teurer

Ausgeschlossen, dass der ANC unter diesen Umständen bei den Wahlen im April 2024 wieder eine absolute Mehrheit erreicht – schon jetzt wird Ramaphosas Rücktritt gefordert. Mitten in der kollektiven Wutaufwallung wurde dem Monopolisten Eskom auch noch eine saftige Strompreiserhöhung um fast 35 Prozent in zwei Jahren gewährt: Dabei verteuerte sich die Elektrizität in den vergangenen 15 Jahren bereits um 650 Prozent. "Kein anderer Staat dieser Welt mutet das seiner Bevölkerung zu", schimpft Eissalonbesitzer Makhubu.

Die Probleme mit der Stromversorgung bahnten sich schon wenige Jahre nach dem Machtantritt des ANC um die Milleniumswende an. Zu Recht hatte die ehemalige Befreiungsbewegung die Elektrifizierung der schwarzen Townships vorangetrieben: Inzwischen sind über 90 Prozent der südafrikanischen Haushalte ans Stromnetz angeschlossen. Allerdings bedachte die Regierungspartei nicht, dass der gestiegene Verbrauch auch generiert werden muss – oder träumte vom Atomstrom und der Schnelle-Brüter-Technologie, die sich für Südafrika schnell als viel zu teuer erwies. Experten warnten vergeblich vor dem sich anbahnenden Engpass.

Langes Warten

Als im Jahr 2007 erstmals die Lichter ausgingen, führte die Regierung das auf die veraltete Infrastruktur oder auf nass gewordene Kohle zurück, denn mehr als 80 Prozent des Stroms werden hier mit Kohle gewonnen. Schließlich gab der ANC den Bau zweier riesiger neuer Kohlekraftwerke in Auftrag (wovon die Partei auch selbst profitierte): Sie sollten zusammen 4,5 Milliarden Euro kosten und im Jahr 2012 den Betrieb aufnehmen. Mehr als zehn Jahre nach dem Termin sind die beiden Monster noch immer nicht fertig (bzw. Teile von ihnen schon wieder kaputt), während sich die Kosten auf 30 Milliarden Euro fast versiebenfacht haben.

Und es sollte noch schlimmer kommen. Als Jacob Zuma 2008 Staatspräsident wurde, stürzte sich seine Räuberbande vor allem auf Eskom: Aus keinem anderen Staatskonzern war mehr und einfacher Geld zu entwenden. Im Rahmen des "state capture", der Ausplünderung des Staats, soll der Stromriese illegale Kohleverträge im Wert von 14 Billionen Rand (780 Milliarden Euro) abgeschlossen haben: Nutznießer war stets die Zuma-Clique. Um die Stromgewinnung trotzdem am Leben zu erhalten, wurden die alten Kraftwerke auf Hochtouren gefahren: Jetzt machen die vernachlässigten Öfen dermaßen oft schlapp, dass Eskom kaum noch die Hälfte seiner eigentlichen Kapazität von mehr als 50 Gigawatt produziert.

Mordanschlag entkommen

Zumas Nachfolger Ramaphosa holte vor drei Jahren überraschend einen Repräsentanten der weißen Geschäftswelt an Bord: André de Ruyter sollte das leckgeschlagene Flaggschiff wieder auf Kurs bringen. Er konzentrierte sich auf die Wartung der ausgepowerten Kraftwerke, wobei die Stromproduktion vorübergehend noch weiter reduziert wurde, und suchte den zahllosen Unregelmäßigkeiten in seinem Unternehmen auf die Spur zu kommen: illegalen Verträgen, massivem Diebstahl von Diesel und Kupferkabeln sowie Betrügereien mit minderwertiger Kohle. Die Folge: Anfang des Jahres überlebte der 52-Jährige nur knapp einen Mordanschlag – in seinem Kaffee wurde Zyanid gefunden.

Dabei hatte de Ruyter bereits zuvor seinen Rücktritt für Ende März bekanntgegeben, nachdem er in die Schusslinie des gefürchtetsten aller Bullys des ANC geraten war, Energieminister Gwede Mantashe. Der Minister fürs Grobe hatte den weißen Geschäftsmann des Umsturzversuchs bezichtigt: Er drossele absichtlich die Stromproduktion, um die Südafrikaner gegen den ANC aufzuhetzen, behauptete Mantashe. Als der Präsident ihn vor dem absurden Vorwurf nicht in Schutz nahm, trat de Ruyter zurück. Könnte aus der seither in Südafrika herrschenden Spannung Strom gewonnen werden, wäre kein "load shedding" mehr nötig.

Planlose Regierung

15 Jahre nach Beginn der Krise scheint der Regierung noch immer jeder Plan zu ihrer Beendigung zu fehlen. Ramaphosa verspricht seit Jahren ein baldiges Ende des Notstands – und lädt seiner Gewohnheit nach zu Gipfeltreffen ein. Fachleute rufen die Regierung auf, jetzt mit Volldampf die Energiewende zu Wind- und Solarstrom voranzutreiben, doch Bully Mantashe stellt sich dagegen. Wenn es nach dem 67-jährigen ANC-Vorsitzenden ginge, würde Shell heute vor Südafrikas Küste weiter nach Erdöl suchen; die Regierung hätte einen ökologisch umstrittenen und sündhaft teuren Vertrag mit dem türkischen Unternehmen Karadeniz Powership zur Stromproduktion in auf Schiffen platzierten Erdgaskraftwerken unterzeichnet, während das Ende der Elektrizitätsgewinnung aus Kohle auf unbestimmte Zeit verschoben würde.

Der ehemalige Chef der Minengewerkschaft macht aus seinem Hang zur Kohle kein Geheimnis: Ob es daran liegt, dass er sich keinen anderen Arbeitsplatz für Kumpels als in Gruben mit schwarzem Staub vorstellen kann oder dass er persönlich von der Beibehaltung der schmutzigsten Stromherstellung profitiert, muss vorerst dahingestellt bleiben.

Zu Dank verpflichtet

Bislang hielt Ramaphosa Mantashe noch in Schach – etwa indem er mit mehreren westlichen Staaten einen Deal zu Finanzierung der südafrikanischen Energiewende unterzeichnete. Doch seit der Kohleminister den Präsidenten aus dem Skandalsumpf befreite, in den er sich mit seinen illegalen Büffelverkäufen gebracht hatte, ist Ramaphosa Mantashe zu Dank verpflichtet: Er werde ihm zum Dank auch noch die Aufsicht über Eskom anvertrauen, heißt es.

Was dann passiert, steht jetzt schon fest: Die Kohlekraftwerke werden bis zu den Wahlen in 14 Monaten wie zu Zumas Zeiten auf Hochtouren gefahren werden, um den Schaden für den ANC so gering wie möglich zu halten. Danach kann dann alles zusammenbrechen. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 21.1.2023)