Seit 2014 sind Tom, Keanu und Sonja mit ihrem Katamaran Pakia tea auf den Weltmeeren unterwegs.
Foto: Michael Stelzhammer

Im März wird Keanu elf Jahre alt. Der aufgeweckte Blondschopf mag Comics, allen voran Asterix. Wenn er am Tablet nicht gerade Minecraft spielt, liest er gerne Bücher wie Märchenmond,Flüsterwald und Harry Potter – Letzteres im Original. Dass er trotz seiner österreichischen Eltern Englisch wie seine zweite Muttersprache beherrscht, ist nicht die einzige Besonderheit. So ist er bereits mit Mantas und Buckelwalen geschwommen, hat zehn verschiedene Haiarten unter Wasser gesehen und die halbe Welt erkundet. Oder besser gesagt: die Weltmeere.

Seit Keanu eineinhalb ist, lebt er mit seinen Eltern Tom Puchner und Sonja Napetschnig auf einem Segelboot. Die beiden Meeresbiologen haben die Pakia tea, einen 16 Meter langen und 7,5 Meter breiten Katamaran, nach Keanus Geburt zu ihrem Zuhause umgerüstet. Seit Jänner 2014 segeln sie praktisch durchgehend auf den Ozeanen herum. 63.000 Seemeilen, über 116.000 Kilometer, haben sie bereits zurückgelegt. Solarpaneele und ein Watermaker, der Salzwasser zu Trinkwasser aufbereitet, sorgen für größtmögliche Autarkie.

Zigtausend Kilometer im Kreis

Das Abenteuer begann in Thailand im Indischen Ozean. Von dort führte die Route über die Malediven, Madagaskar und Südafrika in den Atlantik. Über das Karibische Meer und den Panamakanal erreichte das Boot schließlich pazifische Gewässer. Eine schnelle Weltumsegelung war von Anfang an nicht das Ziel. So verwundert es nicht, dass die Pakia tea die vergangenen fünf Jahre quasi im Kreis fuhr – wenn auch in einem zigtausende Kilometer großen: Galapagos, Osterinsel, Französisch-Polynesien, Hawaii und Mexiko lauteten die Stationen, um dann auf ähnlichem Weg erneut die zu Frankreich gehörende Inselgruppe anzusteuern.

Die Pakia tea ist ein Katamaran, der von der traditionellen Doppelkanu-Bauweise der Polynesier inspiriert ist. Das Boot ist mit Solarzellen und Watermaker ausgestattet.
Foto: Tom Puchner

Die Region ist spätestens seit einigen aufsehenerregenden Haidokus bekannt. Denn wenn sich die Zackenbarsche in der Region im Juli bei Vollmond zum Paaren treffen, können im südlichen Pass des Fakarava-Atolls bis zu tausend Haie beobachtet werden. Aber auch im restlichen Jahr bekommt man meistens Hunderte Graue Riffhaie, aber auch Schwarzspitzen- und Weißspitzenhaie im Pass zu sehen – nicht nur für Meeresbiologen eine bemerkenswerte Erfahrung.

Pandemie im Paradies

Dass die Seglerfamilie einen Tag nach dem offiziellen Lockdown im März 2020 in Französisch-Polynesien ankommt und schließlich die gesamte Pandemie dort verbringen wird, erweist sich im Nachhinein als Glücksfall. Denn während Verwandte und Bekannte im fernen Europa mit vielen Einschränkungen zu kämpfen haben, geht das Leben am Boot fast weiter wie bisher. Als nach einigen Wochen klar ist, dass das Virus die Gambier-Inselgruppe nicht erreicht hat, trifft man sich mit anderen Seglerfamilien auf entlegenen Stränden.

Die Maske wird erstmals Monate später beim Einkaufen auf Fakarava Thema, als das französische Überseegebiet die Flughäfen wieder öffnet. Und selbst Impfstoff ist für die Segler früher verfügbar als für andere Mitte-40-Jährige in Europa.

63.000 Seemeilen (116.000 Kilometer) legte die Pakia tea bereits zurück.
Illustration: Fatih Aydogdu

"Auf einem Boot zu leben und um die Welt zu segeln war seit meinen frühen Teenagerjahren mein Traum", erklärt Tom im STANDARD-Interview. Dass der Niederösterreicher Meeresbiologie zu studieren begann, sei wohl auch dieser Vision geschuldet gewesen. "Ich wollte etwas machen, das sich mit dem Leben auf dem Boot vereinbaren lässt." Bei Sonja war es eher umgekehrt. "Neben der Reiselust und der Liebe zum Meer hat mich später schon auch gereizt, einige der Tiere, die man sonst nur aus Fernsehdokus und Büchern kennt, in ihrem natürlichen Lebensraum zu sehen", erinnert sich die Kärntnerin.

Den Mantas auf der Fährte

Auch wenn sich die Idee, meeresbiologische Arbeit mit dem Aussteigerleben auf dem Boot zu verknüpfen, als schwer realisierbar erwies, können die beiden ihr Fachwissen und ihre Faszination für die Materie kaum verbergen. Wenige Millimeter kleine Thor-Garnelen (Thor Amboinensis), die mit freiem Auge zwischen Seeanemonen kaum zu erkennen sind, sorgen bei ihnen ebenso für Begeisterung wie ein unscheinbarer Plattfisch (Bothus pantherinus), den man leicht als abgesunkenes braunes Blatt abtun und übersehen könnte.

An einem Ankerplatz entdeckten die Meeresbiologen kleine Thor-Garnelen (Thor Amboinensis), die sich auch fotografieren ließen.
Foto: Tom Puchner

Und dann sind da noch die Mantas: Wenn ihnen die magisch anmutenden Tiere bei Tauch- und Schnorchelgängen begegnen, versuchen sie, ihre Unterseite zu fotografieren. Jedes Tier besitzt ein eindeutiges Muster, wodurch es sich individuell identifizieren und in Datenbanken dokumentieren lässt. Einige der Beobachtungen sind wissenschaftlich nicht uninteressant. Im vergangenen Juli etwa gelangen Aufnahmen von Individuen, die bereits beim ersten Besuch in der Region fotografiert wurden. "Dass einzelne Mantas fünf Jahre später genau im selben Pass anzutreffen sind, war ein schönes Erlebnis und zeigt die Standorttreue dieser Tiere", sagt Tom.

"Kein Dauerurlaub"

Für viele Außenstehende klingt das Aussteigerleben auf dem Boot – noch dazu mit einem Kind – verlockend und verstörend zugleich. "Das größte Missverständnis ist sicher, dass wir uns im Dauerurlaub befinden", erklärt Sonja. Die Wartung und Reparatur des Bootes sei praktisch ein Vollzeitjob, da man geldbedingt und mangels verfügbarer Fachkräfte das meiste selbst in die Hand nehmen müsse. Dazu kommt der tägliche Unterricht von Keanu, den größtenteils Sonja übernimmt.

So geräumig das Boot im Alltag wirkt, vor der Kulisse der Vulkaninsel Meheti'a in Französisch-Polynesien ist es dennoch kaum zu erkennen.
Foto: Tom Puchner

Als ehemalige Betreiber einer Biostation für Schulklassen in Kroatien sind beide Elternteile mit dem Unterrichten gut vertraut, wenngleich die Rollenteilung als Lehrerin und Mutter nicht immer einfach sei. Was den Lernstoff betrifft, ist Keanu in den meisten Fächern weit über Plan. Adäquates Lernmaterial liefern befreundete Lehrpersonen, Segelbekannte, aber auch Onlinekurse im Internet. Auf der Insel Gambier besuchte Keanu zuletzt mehrere Wochen die Schule und lernte dabei gleich einen Grundstock an Französisch.

Segeln am offenen Meer

"Ein weiteres Missverständnis ist, dass man sich beim Segeln dauernd auf Passage im offenen Meer befindet", gibt Tom zu bedenken. "Lange Ozeanquerungen sind nur ein Bruchteil des Seglerlebens, meist liegt man an geschützten Plätzen vor Anker oder segelt kurze Distanzen in Küstennähe." Dadurch sei das Leben auch viel weniger einsam, als sich das manche vorstellen. "Es gibt viele Seglerfamilien, die oft jahrelang mit ihren Kindern unterwegs sind. Daraus entstehen dann auch für Keanu schöne Freundschaften, auch wenn man sich vielleicht öfter und schneller voneinander verabschieden muss, als es in einem normalen Leben der Fall wäre", sagt Sonja.

Die Pakia tea ist 16 Meter lang und 7,5 Meter breit. Der Name ist polynesisch und hat mehrere Bedeutungen: "Weiße Robbe", "Weißer Hai", aber auch "Die Sonne scheint".
Foto: Tom Puchner

Dass das Leben auf der Pakia tea nicht völlig risikofrei ist, zeigen einige brenzlige Situationen. In den Anfangsjahren drohte das Boot einmal bei heftigem Wind an einem Felsen zu zerschmettern, bis der Anker im letzten Moment am Meeresgrund griff. Einmal fuhr das Boot in einem achtlosen Moment auf ein flaches Riff auf. Diese Episode endete ebenso glimpflich wie der Riss einer Want während einer Überfahrt. Andere Boote von Bekannten hatten da weniger Glück. Sie verloren nach Blitzschlägen ihren Mast oder sanken nach Zusammenstößen, etwa mit einem unter der Wasseroberfläche schwimmenden Container. Bei einem besonders schweren Sturm kam gar ein Mann ums Leben.

Leben mit der Eigenverantwortung

Auch wenn ein gewisses Restrisiko bleibe, fühlen sich die Segler sicher. "Im Straßenverkehr unterwegs zu sein ist sicher gefährlicher", ist Tom überzeugt. "Die Eigenverantwortung ist groß, man muss mit den direkten Folgen der eigenen Entscheidung leben und kann auch schwer jemanden anderen dafür verantwortlich machen." Wenn man das Wetter genau studiere und Routen zu bestimmten Saisonen meide, um Stürmen, aber auch Piraten zu entgehen, könne man das Risiko aber definitiv minimieren. Und auch was das Ankern und Manövrieren in kniffligen Situationen betreffe, könne man gerade auch aus negativen Erfahrungen anderer viel lernen.

Auf ihrer Reise begegnen ihnen immer wieder auch Mantas. Über deren Unterseite lässt sich jedes Individuum identifizieren.
Foto: Martin Stepanek

Das an Begegnungen und Erfahrungen reiche, ansonsten aber recht einfache Leben wollen die beiden Mitte-40-Jährigen auch in den kommenden Jahren nicht missen – selbst wenn eine soziale Absicherung und ein geregelter Job mit fixem Einkommen manchmal verlockend seien. Aktuell bestreitet die Familie ihren Lebensunterhalt zu einem guten Teil mit Gästen, die für einige Wochen auf dem Boot mitsegeln. Auch dass man von den eigenen Eltern und anderen Familienmitgliedern über lange Zeiträume und enorme Distanzen getrennt sei, sei naturgemäß ein Thema.

Umweltschützer oder Bitcoin-Anwalt?

Wie lange die Seglerfamilie noch die Weltenmeere durchkreuzen wird, hängt ein Stück weit auch davon ab, ob sie zu Hause in Österreich von ihren Familien gebraucht werden. "Denn auch wir konnten uns in den vergangenen Jahren immer auf sie verlassen, dafür sind wir sehr dankbar", sagt Sonja. Der wichtigste Faktor ist und bleibt aber der heranwachsende Sohn. "Falls wir merken, dass es für Keanu nicht mehr passt, sei es, was das soziale Umfeld oder seine Ausbildung betrifft, werden wir die Lebensplanung natürlich anpassen."

In abgelegenen Atollen muss man zwar auf das Internet verzichten, dafür hat man dort Ruhe.
Foto: Tom Puchner

Der Zehnjährige ist gerade einige Meter den Mast hochgeklettert und schwingt sich mit einem frei hängenden Seil aufs Deck, um sich dann mithilfe des zwischen den Rümpfen gespannten Netzes und des Wellengangs wiederholt in die Höhe katapultieren zu lassen. Ob er wohl später als Meeresbiologe oder Umweltschützer das zu retten versucht, was er in jungen Jahren mit eigenen Augen gesehen hat? "Wer weiß das schon", sagt Sonja lachend. "Vielleicht wird er ja einmal ein Bitcoin-Anwalt oder ein professioneller Videogamer." (Martin Stepanek, 22.1.2022)