Im Bezirk Mödling verstehen sich SPÖ und ÖVP noch gut. Franz Schnabl (rechts) tut sich mit der Landeshauptmannrolle schwerer.
Foto: Christian Fischer

Franz Schnabl ist bereit. Ein rotes Sackerl in der einen Hand, ein Kipferl in der anderen. Er geht entschlossen auf die Garnitur der Badner Bahn zu, der Regionalstraßenbahn, die von der Wiener Oper bis nach Baden fährt. Bei der Haltestelle in Wiener Neudorf will er am Freitagnachmittag Pendlerinnen und Pendler auf dem Heimweg abpassen. Sie sollen ein Mehrwegsackerl, süßes Gebäck und einen festen Händedruck bekommen. Die Wahlkampfhelfer hinter ihm zapfen danach auf Wunsch Kinderpunsch aus den mobilen Fässern auf ihren Rücken in Papierbecher. In der Hoffnung, dass die Beschenkten bei der Landtagswahl am 29. Jänner die SPÖ wählen – und Schnabl zum Landeshauptmann machen.

Doch als die Straßenbahn zum Stehen kommt, sieht Schnabl: Sie ist leer. "Ihr stehts am falschen Gleis!", ruft Hannes Weniniger, roter Spitzenkandidat im Bezirk Mödling. Schnabl und seine kleine Entourage wechseln den Bahnsteig. Einzelne Fahrgäste erwischen sie beim Aussteigen, wechseln ein paar Worte mit ihnen. Aber viele Kipferln werden sie bei diesem Termin nicht los.

Feindliches Terrain

Ein paar Tage später steigt Udo Landbauer in Ebreichsdorf aus einem schwarzen SUV und rückt das mitternachtsblaue Sakko zurecht, das er über einem Hemd mit den eingestickten Initialien "U. L." trägt. Der Spitzenkandidat der FPÖ besucht einen Sozialmarkt des Samariterbundes – ausgerechnet jener Organisation, der sein rotes Pendant Schnabl als Präsident vorsitzt. "Feindliches Terrain gibt’s nicht", sagt Landbauer. Solange gute Arbeit geleistet wird, sei ihm die Parteizugehörigkeit egal.

Das Geschäft hat nicht geöffnet, aber eine Mitarbeiterin ist da. Sie ist extra hergekommen, um aufzusperren – für Landbauers angekündigten Besuch und die Spende, die er mitbringt: 300 Euro und zwei Zehn-Kilo-Säcke Erdäpfel. Ein Mitarbeiter räumt sie, einen nach dem anderen, aus dem Auto.

Landbauer und die Sozialmarktmitarbeiterin stehen im Verkaufsraum vor Ständern mit Winterjacken, Hemden und Sakkos aus zweiter Hand, dahinter stehen gebrauchte Kinderwagen, in Regalen wird Krimskrams ausgestellt.

Markige Migrationssprüche

Der FPÖ-Klubobmann erkundigt sich danach, wo die Produkte für den Lebensmittelmarkt im Nebenraum herkommen, wie sich die Kundschaft verteilt, wer anspruchsberechtigt ist. Die Frau erklärt, dass man für die vergünstigten Lebensmittel Meldezettel, Einkommensnachweis und Lichtbildausweis vorzeigen muss. Außer die Flüchtlinge aus der Ukraine, die seien alle anspruchsberechtigt. Landbauer steht daneben und schweigt. "Ich wünsch ihnen ja, dass sie bald wieder heimkönnen", sagt die Frau über die Menschen, die nach Russlands Angriffskrieg nach Österreich fliehen mussten. Landbauer schweigt. Sonst ist er nie um einen rechten Sager verlegen, aber markige Migrationssprüche spart er sich heute. Das Ukraine-Thema ist für die FPÖ schwierig genug.

Rot-blaue Ziele

Für Freiheitliche und Sozialdemokraten scheint ein großer Gewinn bei der Landtagswahl am 29. Jänner so gut wie fix: Die Volkspartei wird, wenn nicht noch ein schwarzes Wunder passiert, ihre absolute Mehrheit im Landtag verlieren. Sie wird Mehrheiten suchen müssen. Wegen des Proporzsystems sind in Niederösterreich alle Parteien ab einer gewissen Stärke im Landtag auch in der Landesregierung vertreten. Aktuell gerieren sich FPÖ und SPÖ als Opposition innerhalb der Regierung – auch weil die ÖVP sie einfach überstimmen kann. Die Volkspartei wird stärkste Kraft bleiben, doch wird sie künftig rote oder blaue Stimmen brauchen. Das bringt den Parteien Gelegenheiten zu verhandeln – und damit Macht. Weil das Potenzial für beide Parteien so groß ist, setzt es ihre Spitzenkandidaten aber auch unter Druck. Denn die innerparteilichen Erwartungen an Schnabl und Landbauer sind groß: Ein Achtungserfolg reicht nicht bei einer Wahl, die jetzt schon historisch ist. Noch dazu stellen beide den Anspruch, Landeshauptmann zu werden. Beide wollen die Volkspartei in Opposition schicken. Und beide Ziele scheinen angesichts der realpolitischen Gegebenheiten in Niederösterreich mehr als ambitioniert.

FPÖ-Mann Udo Landbauer verschenkt Geld und Erdäpfel an den Sozialmarkt in Ebreichsdorf. Nach der Wahl am 29. Jänner möchte er gerne Landeshauptmann werden.
Foto: Heribert Corn

"Der rote Hanni"

Zurück nach Wiener Neudorf, zur Pendlerkampagne der SPÖ. "Franz, jetzt machen wir Hardcore-Wahlkampf, bist dabei?", fragt Regionalkandidat Weninger seinen Parteichef. Er meint: Ampelwahlkampf. Schnabl ist dabei. Die Roten gehen um die Ecke zur Kreuzung, wo Autos vor der roten Ampel warten. Weninger und Schnabl gehen auf die Wagen zu, winken, deuten, lächeln. Wenn ein Autofenster aufgeht, stecken sie ihre Give-aways hinein. Wenn ein Fenster geschlossen bleibt, winken sie trotzdem freundlich.

Während Schnabl zwischen den Autos umherhirscht, steht eine Wahlkampfhelferin bei der Badner-Bahn-Station und hält nach einfahrenden Garnituren Ausschau. Als eine kommt, ruft sie: "Badner Bahn! Badner Bahn!", doch keiner ihrer Parteifreunde hört sie. Schnabl beugt sich weiter in geöffnete Autofenster, während die Pendlerinnen und Pendler aus der Bahn über den Bahnsteig nach Wiener Neudorf entfleuchen.

In diesem Wahlkampf wirkt es manchmal ein bisschen so, als wäre die SPÖ ihr eigener größter Gegenspieler. Zwei Wochen vor dem Urnengang stellt die Partei Plakatsujets auf ihre Website. Auf einem wird Schnabl als "der rote Hanni" beworben, eine Anspielung auf den Spitznamen der Landeshauptfrau. Schnabl postet es auch auf Twitter. Wenige Tage später kündigt der Spitzenkadidat eine "persönliche Erklärung" an, der Politikcode für einen Rücktritt. Er tritt natürlich nicht zurück. Aber nur so, argumentiert Schnabl, bekomme man in Niederösterreich mediale Aufmerksamkeit. Das "Hanni"-Sujet sei ein Schmäh gewesen, die Medien seien darauf reingefallen. Schließlich habe niemand nachgefragt, ob es ernst gemeint sei. In den Augen der SPÖ war es nicht echt, weil "der rote Hanni" nie auf Plakatbögen gedruckt wurde.

Im "Hardcore-Wahlkampf" vor der Ampel versucht die SPÖ, Pendlerinnen und Pendler anzusprechen. Nicht alle kurbeln das Fenster hinunter. Freundlich angelächelt wird aber jeder.
Foto: Christian Fischer

Blaue Probleme

Gegen kleine Pannen ist auch Udo Landbauer nicht gefeit. Er steht noch immer im Sozialmarkt, allerdings jetzt vor einem Regal mit Konserven. Die FPÖ Niederösterreich möchte dem Lebensmittelmarkt 300 Euro spenden, aber auf dem überdimensionalen Scheck für das Übergabefoto steht der Name der falschen Organisation. Die Mitarbeiterin zeigt so auf die Spendensumme, dass ihre Hand den Irrtum überdeckt. "Eine echte Problemlöserin!", freut sich Landbauer.

Welche Rolle Landbauer nach der Wahl spielen wird, ist offen. Aktuell ist er nur Klubobmann – obwohl der FPÖ dank des Proporzsystems ein Sitz in der Landesregierung zusteht. Den hat aber Gottfried Waldhäusl übernommen, weil Mikl-Leitner nach der Landtagswahl 2018 eine Zusammenarbeit mit Landbauer ausschloss. Grund war die Liederbuchaffäre: In Landbauers Burschenschaft lag ein Liederbuch auf, in dem sich auch Shoah-verharmlosende Texte fanden. Weil strafrechtliche Ermittlungen eingestellt wurden, hat die Landeshauptfrau nun aber kein Problem mehr mit dem niederösterreichischen FPÖ-Chef. Er will allerdings nur in einer "echten" Regierungsfunktion mit Koalition in die Landesregierung einziehen. Landbauer hat keine Lust auf ein Nebenbei-Regieren nach Mikl-Leitners Gnaden, wie es Waldhäusl derzeit praktiziert.

"Team Udo" beim Auto-Tuning

Dreieinhalb Kilometer vom Sozialmarkt entfernt lassen Menschen im Ebreichsdorfer Industriegebiet ihre Autos digital tunen. Über Änderungen an der Software holt man aus einem Verbrennermotor mehr Leistung heraus – oder auch einen geringeren Verbrauch, wie Landbauers Pressesprecher ergänzt. Landbauer besucht die Chipfactory, der Geschäftsführer empfängt den Gast im Anzug mit Krawatte. Im Schauraum des Betriebs stehen zwischen Kränen und Oldtimern vier Heurigenbänke mit weißen Tischtüchern, serviert werden Mineralwasser, Almdudler und Wein. Eine Handvoll Besucher freut sich, als der Kandidat reihum geht und Hände schüttelt, seine Helfer in blauen "Team Udo"-Jacken verteilen Papiersackerln. Darin befinden sich Flyer, ein windfestes Feuerzeug, Gummibärli und ein braunes Adlerbaby aus Plüsch – Landbauers Maskottchen. Wegen der Freiheitssymbolik.

Die FPÖ Niederösterreich gleitet auf der Welle der blauen Bundespartei: Geht es Herbert Kickl gut, geht es auch Udo Landbauer gut. Und Kickl geht es hervorragend, in bundesweiten Umfragen liegen die Freiheitlichen immer öfter auf Platz eins. Und wie Kickl setzt Landbauer auf Polarisierung und Provokation. Einen Dämpfer erhielt die blaue Kampagne in Niederösterreich am Donnerstag: Die freiheitliche Landtagsabgeordnete Ina Aigner nannte Landbauer öffentlich "überheblich, arrogant und machtgeil". Sie empfehle, Mikl-Leitner zu wählen. Landbauer tut das als Racheaktion ab, weil Aigner für die Landtagswahl keinen Listenplatz mehr bekommen hat.

Franz Schnabl ist mittlerweile weiter nach Perchtoldsdorf gefahren. Die Ersten, die am frühen Abend in der Weinbaugemeinde im Wienerwald auf ihn zugehen, sind zwei Hunde. "Ich bin ein Hundemensch, das haben die gleich erkannt!", sagt der streichelnde Landeshauptfrau-Stellvertreter zu den Frauen, die die Tiere ausführen. Er verspricht, bei Bedarf Hunde zu sitten – nach der Wahl halt.

Leere Taschen

Wahlkampf ist stressig, aber in diesem Moment hat Schnabl gar nicht so viel zu tun: Auf dem dunklen Perchtoldsdorfer Marktplatz sind viele Parteileute unterwegs, aber kaum Wähler. Die Grünen stehen bei einem Lastenrad, Helferinnen und Helfer von der Volkspartei verteilen sich über den Platz und verschenken blau-gelbe Sackerln.

Einer von ihnen ist Martin Schuster, einst Bürgermeister in der Marktgemeinde, heute ÖVP-Spitzenkandidat im Bezirk. Er versteht sich gut mit seinem roten Gegenüber Hannes Weninger, der Schnabl heute nicht von der Seite weicht. Die drei Männer scherzen, sie würden sich gegenseitig die Werbemittel wegnehmen.

Ungleiche Wahlkampfdimensionen

Der Landeshauptfrau-Stellvertreter konfrontiert den ÖVPler mit Berechnungen seines Büros, wonach der Wahlkampf der Landeshauptfrau schon jetzt viel teurer sei als erlaubt. Allein die hunderten Fahnenstangen, die die Volkspartei im Land aufgestellt hat – mitsamt blau-gelben Fahnen. Oder der Brief, den die Landeshauptfrau (ohne Hinweis auf die Partei) an hunderttausende Haushalte geschickt hat. Schuster glaubt, dass sich das schon ausgeht mit der Kostengrenze, seine Landespartei beteuert das auch. Ungleich sind die Wahlkampfdimensionen aber jedenfalls: In den Sackerln der ÖVP finden sich Streichhölzer, Brillenputztücher, sogar ein kleines Kochbuch. Die Taschen der SPÖ hingegen sind leer.

Ein rasanter Wahlkampf: Auch in der Tuning-Factory schaut FPÖ-Mann Udo Landbauer vorbei.
Foto: Heribert Corn

Dann beschließt Schnabl, dass es Zeit für eine Kaffeepause sei – und nimmt den schwarzen Kandidaten Schuster kurzerhand mit. "Wir machen einen Koalitionstisch!", ruft er beim Eintreten ins Lokal. Am Ende bezahlt Schuster, ohne dass es die anderen merken, die Rechnung für die SPÖler (und den STANDARD). Gestärkt geht Schnabl dann durch die Geschäfte. In der schwarzen Gemeinde zeigt sich, wie schwierig es für die SPÖ in Niederösterreich ist. Der Spitzenkandidat fragt etwa eine Trafikantin, woher sie kommt. Als sie eine rote Gemeinde nennt, sagt Schnabl: "Da haben S’ ja einen super Bürgermeister!" Sie antwortet nur: "Na jo."

Nett und unverbindlich

Der Inhaberin eines Spielzeuggeschäfts zeigt Schnabl ein Video von seinem Enkel auf dem Handy. Sie plaudern über Erziehung und Entwicklung. Die Frau reagiert ausgesprochen nett, aber auch ausgesprochen unverbindlich auf Schnabls Werbebotschaft, dass er auf ihre Unterstützung hoffe. Sogar eine Gruppe Männer vor der italienischen Vinothek antwortet nur einsilbig und ohne jeglichen Enthusiasmus auf Schnabls Vorschlag, sie auf eine Flasche Wein einzuladen und gemeinsam eine zu rauchen. Er muss sie überreden.

Im Orthopädiegeschäft plaudert die Verkäuferin freundlich mit Schnabl, scheint ihm auch politisch wohlgesinnt – wohnt aber in Wien. Als Schnabl das Geschäft verlässt, ruft sie ihm zu: "Alles Gute wünsch ich Ihnen!" Er antwortet: "Das kann ich brauchen."
(Sebastian Fellner, 21.1.2023)