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Turin – Nach einem katastrophalen Saisonstart hatte sich Juventus Turin in den letzten Runden der nationalen Meisterschaft wieder aufgefangen und sich mit neun Siegen in Serie immerhin wieder auf Platz drei hochgearbeitet. Dann kam am Wochenende die kalte Dusche: Das Berufungsgericht des italienischen Fussballverbands FIGC hat der "alten Dame" aus Turin 15 Punkte abgezogen – wegen Bilanzmanipulationen bei Spielertransfers. Die Juve ist deswegen auf Platz 10 in der Tabelle abgestürzt, 25 Punkte hinter dem führenden SSC Neapel. Der Turiner Klub hat damit wohl keine Aussicht mehr, sich für die lukrativen europäischen Wettbewerbe zu qualifizieren.

Die Verantwortlichen des Vereins hätten bei der Bewertung der Spieler Phantasiesummen eingesetzt – mit dem einzigen Ziel, die alles andere als rosigen Bilanzen zu schönen, fanden die Sportrichter. Damit seien die Regeln der sportlichen Fairness verletzt worden.

Erst Freispruch, dann Hausdurchsuchung

Die Sportjustiz hatte schon im Jahr 2021 Ermittlungen aufgenommen – wegen insgesamt 62 Transfers, bei denen es laut dem FIGC möglicherweise nicht mit rechten Dingen zu und her gegangen war. Das Verfahren endete zunächst mit Freisprüchen. Doch dann begann die zivile Justiz und die Börsenaufsicht, sich die Bücher des Vereins näher anzusehen. Es gab Hausdurchsuchungen, die Telefone in der Juve-Teppichetage wurden abgehört – die Akte im sogenannten "Fall Prisma" schwoll schnell auf 14.000 Seiten an.

16 Verantwortlichen des an der Mailänder Börse notierten Vereins, darunter der ehemalige Präsident Andrea Agnelli, werden von der Turiner Staatsanwaltschaft unter anderem Bilanzfälschung und die Kommunikation falscher Zahlen an die Börse vorgeworfen. Ende November sind deswegen Agnelli und mit ihm der gesamte Aufsichtsrat Knall auf Fall zurückgetreten. Der Strafprozess der zivilen Justiz beginnt im März.

System

Die dicke "Prisma"-Akte hat schliesslich auch die Sportjustiz veranlasst, sich der Sache noch einmal anzunehmen – und sie kam, ohne den zivilen Prozess abzuwarten, zum Schluss, dass die "plusvalenze", die Aufblähung des Werts der Spieler in den Bilanzen, System gehabt habe. Die Protokolle der Telefonüberwachung läsen sich "wie Geständnisse", erklärte der Ankläger der FIGC, Giuseppe Chinè.

Andrea Agnelli ist in Bedrängnis.
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In seinem Plädoyer zitierte er unter anderem aus einem abgehörten Gespräch, das Agnelli mit John Elkann, seinem Cousin und Chef der Familienholding Exor, geführt hatte: "Wir haben einen exzessiven Gebrauch von den ,plusvalenze' gemacht – aber wenn der Markt zusammenbricht, dann bricht er eben zusammen", hatte Agnelli seinem Cousin gesagt. In einem anderen Gespräch mit einem Juve-Manager sprach Agnelli von der "ganzen Scheisse, die da drunter liegt" – auch damit könnten nur die Bilanz-Tricksereien gemeint gewesen sein, betonte Ankläger Chinè.

Andrea Agnelli als tragische Figur

Neben dem Punkteabzug für die erste Mannschaft sprach die Sportjustiz für die Verantwortlichen auch lange Sperren aus – für Andrea Agnelli sind es zwei Jahre. Der Spross der illustren Turiner Fiat-Dynastie ist mit dem Skandal um den von ihm geführten Traditionsverein längst zur tragischen Figur geworden: Nach seinem Rücktritt als Vereinspräsident im November ist er vor wenigen Tagen auch aus allen anderen Aufsichtsräten der börsennotierten Unternehmen zurückgetreten, an denen die Agnellis beteiligt sind und in denen er als Familienmitglied zuvor gesessen war. Seinen Hut genommen hat er insbesondere in der Familien-Holding Exor und beim französisch-italienischen Stellantis-Konzern, zu dem Fiat-Chrysler seit der Fusion im Januar 2021 gehört.

Unter Druck

Es heisst, Agnellis Rückzug aus den Unternehmen sei nicht ganz freiwillig erfolgt: Sein Cousin John Elkann, der Lieblingsenkel des verstorbenen Fiat-Patrons Gianni Agnelli, habe ihn dazu gedrängt, weil das gegen ihn laufende Verfahren wegen Börsen- und Bilanzdelikten kein gutes Licht auf die Familie werfe. Zumindest sportlich gesehen konnte Agnelli aber eine makellose Bilanz vorzeigen: Unter seiner 12-jährigen Präsidentschaft gewann Juventus Turin neunmal in Folge den "scudetto", was zuvor noch keinem Verein gelungen war. Auch die Frauen-Mannschaft war erfolgreich: Sie gewann fünfmal die italienische Meisterschaft.

Unter Andrea Agnelli erhielt die Juve auch ein neues, modernes Stadion, das dem Verein gehört. Er war bereits der vierte Vereinspräsident von Juventus Turin, der den Nachnamen der Fiat-Dynastie Agnelli trug. Und er war mit großem Abstand der erfolgreichste von allen. (Dominik Straub aus Rom, 22.1.2023)