Vor allem von sozial Schwächeren und Teilen der indigenen Bevölkerung wird der abgesetzte Präsident Pedro Castillo nach wie vor unterstützt.

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Die Konfrontation in Peru schaukelt sich weiter hoch und belastet mittlerweile die Wirtschaft des an Rohstoffen reichen Andenlandes. Am Wochenende kam es erneut zu blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Polizei.

In Cusco, Arequipa und Juliaca riefen Protestierende zum Bürgerkrieg auf und versuchten, die Flughäfen einzunehmen. Zahlreiche Überlandstraßen waren blockiert. In der Hauptstadt stürmten rund 3500 Menschen zum Präsidentenpalast, um Interimsstaatschefin Dina Boluarte zu stürzen. Sicherheitskräfte stoppten sie mit Tränengas und Schlagstöcken und besetzten daraufhin den Campus der staatlichen Universität San Marcos, wo zahlreiche Demonstrierende Unterschlupf gefunden hatten.

Hunderte wurden wahllos festgenommen. "Die Brutalität der einen Seite führt zu einer gewalttätigen Antwort der anderen", kritisierte die Journalistin Rosa María Palacios.

Schwieriger Dialog

Insgesamt kamen bei den Protesten seit Mitte Dezember 54 Menschen ums Leben, darunter auch ein Polizist, der gelyncht wurde. Die meisten wurden jedoch von Sicherheitskräften erschossen und als "Terroristen" bezeichnet – was den Unmut über den Staat weiter anheizt und das Andenland in eine gefährliche Gewaltspirale treibt. Die Demonstranten fordern den Rücktritt Boluartes, Neuwahlen und eine verfassungsgebende Versammlung. Gewerkschaften, Bauernverbände, Umweltschützer, linke Parteien und Studierende unterstützen die Proteste. Die Interimspräsidentin erklärte zwar, sie sei zum Dialog bereit, tolerierte aber den Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei und verhängte den Ausnahmezustand. Offiziell läuft ihr Mandat noch bis 2026. Umfragen zufolge verlangen 7o Prozente der Peruanerinnen und Peruaner ihren Rücktritt.

Peru ist ein Schlüsselland für die Energiewende. Das Land ist der zweitgrößte Kupferproduzent der Welt und gehört zu den wichtigsten Produzenten von Gold, Zink, Blei, Zinn und Silber. Epizentrum der Proteste ist der Süden, wo sich zahlreiche Minen befinden. Auch – mittlerweile verwaiste – Touristenattraktionen wie die Inkastadt Machu Picchu oder der Titicacasee liegen dort. Die Regionen gehören gleichzeitig zu den ärmsten des Landes.

Korruption auf allen Seiten

Der Tourismus liegt nun darnieder, die Produktion und der Export von Mineralien werden immer wieder unterbrochen. "Der politische Konflikt bremst weitere Investitionen und kostet Arbeitsplätze", warnte der Ökonom Augusto Álvarez Rodrich.

Entzündet hatte sich der Unmut am Machtkampf zwischen dem Kongress und dem mittlerweile inhaftierten Präsidenten Pedro Castillo. Der linke Staatschef versuchte im Dezember, illegal den Kongress aufzulösen. Der enthob Castillo daraufhin seines Amtes. Seither regiert die einstige Vizepräsidentin Boluarte, die den Schulterschluss mit der konservativen Elite sucht.

Die verarmte Landbevölkerung identifiziert sich hingegen mit Castillo, einem Dorfschullehrer, und wirft der Elite in Lima vor, ihm permanent Steine in den Weg gelegt zu haben. Dafür sorgte Castillo jedoch auch selbst: Er und sein Kabinett voller Amateure stolperten von einem Korruptionsskandal in den nächsten. Korrupte Kongressabgeordnete versuchten, daraus Profit zu schlagen, und versprachen, Castillo vor einem Misstrauensvotum zu schützen – gegen Geld.

Die Staatskrise ist symptomatisch für die peruanische Politik. Nahezu alle ehemaligen Präsidenten sitzen wegen Korruptionsvorwürfen in Haft. Boluarte ist die sechste Staatschefin in fünf Jahren. Auch das neoliberale Wirtschaftsmodell steht infrage. Es schuf Gewinner – vor allem eine urbane, meist hellhäutige und gebildete Mittelschicht, die im Bergbau und Agrarbusiness tätig ist – und Verlierer: die arme, eher indigene Landbevölkerung, deren Lebensgrundlage durch Agrarindustrie und Bergbau rücksichtlos zerstört wurde. Bildung und Gesundheitsfürsorge blieben für viele von ihnen nur schwer erreichbar. (Sandra Weiss, 22.1.2023)