Pflanzenschutzmittel – so werden die Gifte, die in der Landwirtschaft auf Äcker ausgebracht werden, oft genannt. Dabei ist ihr Zweck vielfach das Abtöten von Pflanzen, nicht nur des "Unkrauts", sondern auch der eigentlichen Nutzpflanze.

Die Praxis nennt sich "Sikkation", zu Deutsch Abreifebeschleunigung. Dabei wird etwa bei Getreide kurz vor der Ernte in großen Mengen das vermeintliche Pflanzenschutzmittel auf Feldern verteilt, um das reife Getreide abzutöten, was das Dreschen zu einem im Voraus geplanten Zeitpunkt erleichtert. In Österreich ist diese Praxis verboten, in den USA aber zum Beispiel bei Hülsenfrüchten gängig.

Das "Spritzen" gehört in der Landwirtschaft zur gängigen Praxis. Das am häufigsten zur Anwendung kommende Mittel ist Glyphosat.
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Krebserregend?

Problematisch ist Glyphosat wegen seiner möglichen gesundheitlichen Auswirkungen. Es steht im Verdacht, Krebs zu verursachen. Das stellte die internationale Agentur für Krebsforschung IACR der Weltgesundheitsorganisation WHO nach der Evaluierung von mehr als 1.000 wissenschaftlichen Studien fest und stufte Glyphosat 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" ein. Dabei hielt die Organisation fest, dass es "begrenzte" Hinweise auf die Verursachung von Krebs in Menschen unter Realbedingungen gab, allerdings "ausreichende" Hinweise im Tierversuch. Die Folge waren zahlreiche Klagen in den USA, deren Umweltschutzagentur EPA Glyphosat dennoch für unbedenklich erklärt, ebenso wie die Europäische Stelle für Lebensmittelsicherheit EFSA. Daran änderte auch eine Studie aus dem Jahr 2019 nichts, die nachwies, dass Glyphosat das Risiko für eine Reihe von Krebserkrankungen, die in die Gruppe der sogenannte Non-Hodgkin-Lymphoma fallen, um über 40 Prozent erhöht. 2020 stellte die US-amerikanische EPA erneut fest, man sei zum Schluss gekommen, dass "keine Risiken für die menschliche Gesundheit bestehen, wenn Glyphosat entsprechend der aktuellen Kennzeichnung verwendet wird". Außerdem sei es unwahrscheinlich ist, dass Glyphosat ein Karzinogen für den Menschen ist.

Beide Ergebnisse wurden nicht nur durch einzelne Studien, sondern durch eine Evaluation der bisher publizierten wissenschaftlichen Studien gewonnen. Wie ist es möglich, dass sich Schlussfolgerungen so stark unterscheiden? Rachel Shaffer, eine der Autorinnen der erwähnten Studie von 2019, führt das auf den unterschiedlichen Fokus der Arbeiten zurück. Manche hätten "nur die ernährungsbedingte Exposition der Allgemeinbevölkerung berücksichtigt", andere wiederum "auch die erhöhte Exposition in beruflichen Szenarien". Bei der Metastudie von 2019 habe man sich auf die besonders stark dem Pestizid ausgesetzten Gruppen konzentriert. Wer die Gefährlichkeit von Substanzen wie Glyphosat einschätzen will, kommt offenbar um eine Beschäftigung mit den Konzentrationen, denen Menschen in bestimmten Situationen ausgesetzt sind, nicht herum. In der EU scheint man jedenfalls überzeugt davon, dass für die Allgemeinbevölkerung keine Gefahr besteht, hier wurde die Zulassung für Glyphosat kürzlich um ein Jahr bis Ende 2023 verlängert.

Die Debatte wird äußerst emotional geführt, besonders zwischen der NGO Global 2000 und dem deutschen Chemiekonzern Bayer. Bayer übernahm 2016 für die Rekordsumme von 66 Milliarden Dollar den US-Konzern Monsanto, der lange Zeit Patente für die Herstellung des Pestizids hielt, die inzwischen allerdings ausgelaufen sind. Die Klagen krebskranker Personen gewann Bayer zum Teil, das Unternehmen verglich sich aber auch mit einigen der Betroffenen, wofür Milliarden Dollar ausgeschüttet wurden.

Dass Glyphosat giftig ist, ist bekannt und steht auch auf den Verpackungen. Entscheidend für die Zulassung sind die Konzentrationen, denen Kunden der Agrarprodukte ausgesetzt sind.
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Oxidativer Stress bei Landwirten

Nun gibt es eine weitere Studie, die auf einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs hinweisen könnte. Bei der Untersuchung von Urinproben von 268 männlichen Landwirten und 100 Personen einer Vergleichsgruppe, die nicht in der Landwirtschaft arbeiteten, wurde der Morgenurin auf Rückstände von Glyphosat und 8-Hydroxydesoxyguanosin, einem Marker für oxidativen Stress, untersucht. Als oxidativen Stress bezeichnet man einen Zustand innerhalb von Zellen, bei denen sogenannte freie Radikale im Übermaß vorhanden sind und die Zelle angreifen. Das ist bei Strahlenschäden der Fall, aber auch bei intensiver sportlicher Betätigung. Bei chronisch erhöhtem oxidativem Stress kann es allerdings zu Schäden am Erbgut und der Bildung von Krebs kommen. Insbesondere der hier untersuchte Marker gilt als Vorbote für verschiedene Erkrankungen inklusive Krebs. Die Werte für 8-Hydroxydesoxyguanosin waren sowohl bei Landwirten erhöht, die kürzlich, innerhalb der letzten sieben Tage, mit Glyphosat zu tun hatten, als auch bei solchen, die angaben, der Substanz längere Zeit ausgesetzt gewesen zu sein.

In der Studie wird, anders als bei der oben erwähnten Arbeit von 2019, der Schluss einer krebserregenden Wirkung von Glyphosat nicht direkt gezogen. Allerdings zeigt die Untersuchung eine direkte Auswirkung des Pestizids auf den Körper, die Debatten um ein Verbot aufs Neue befeuert.

Es bleibt die Frage, welche Rückschlüsse die Ergebnisse für Glyphosatkonzentrationen zulassen, wie sie in Lebensmitteln gefunden werden. 2017 veröffentlichte Global 2000 Funde von Glyphosat in verschiedenen Biersorten. Die Mengen lagen mit vier und sieben Mikrogramm pro Liter knapp über der von Global 2000 genannten Nachweisgrenze und über der als unbedenklich eingestuften Grenze für genotoxische Substanzen von 1,5 Mikrogramm für die tägliche Zufuhr. Dass Pflanzen Glyphosat aufnehmen, ist bekannt, wirkt die Substanz doch auf die grünen Blatteile von Pflanzen. Allerdings garantiert der Hersteller, dass keine "Bodenwirkung" bestehe. Der Boden soll also unbelastet bleiben.

Auch Umweltprobleme

Glyphosat findet sich nicht nur in Bier, sondern auch in vielen Grundnahrungsmitteln, die täglich von großen Teilen der Weltbevölkerung konsumiert werden, sodass sich auch im Einzelnen geringe Gesundheitsrisiken zu relevanten Größenordnungen summieren können. Die Substanz hat außerdem nicht nur gesundheitliche Auswirkungen, auch der Impact auf die Umwelt istnach 40-jährigem Einsatz und durch die schiere Menge erheblich.

Die Frage reiht sich ein in eine Reihe anderer gesellschaftlich brisanter Fragen rund um industrielle Landwirtschaft, die derzeit die Ernährung der Weltbevölkerung sicherstellt und durch die Unsicherheit des Ukraine-Krieges vor allem afrikanischen Ländern Probleme bereitet. Auch die ÖBB setzten bei der Pflege ihrer Gleisanlagen auf Glyphosat, reduzierten den Einsatz aber 2019 um zwei Drittel mit dem Ziel eines Totalausstiegs. Als Alternative gilt heißes Wasser, das aber logistische Probleme mit sich bringt und mit enormem Energieaufwand verbunden ist, der in Zeiten von Maßnahmen gegen den Klimawandel kaum zu rechtfertigen ist.

Glyphosat ist nicht das einzige umstrittene Pestizid des deutschen Chemiekonzerns. Ein alternatives Produkt heißt Dicamba, wurde gemeinsam mit BASF entwickelt und ist bereits in den USA und Brasilien zugelassen. Wie schon bei Glyphosat setzt Bayer hier auf ein Geschäftsmodell, bei dem zu dem Pestizid eigene gentechnisch veränderte Nutzpflanzen verkauft werden, die dagegen immun sind. (Reinhard Kleindl, 23.1.2023)