Der Führungsanspruch von Olivier Faure ist parteiintern heftig umstritten.

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Die Parti Socialiste (PS) war einst Frankreichs wichtigste Regierungspartei und brachte Präsidenten wie François Mitterrand oder François Hollande hervor. Seit ein paar Jahren, genauer gesagt seit der Wahl des "Mittepräsidenten" Emmanuel Macron, befinden sich die Sozialisten, die heute einen sozialdemokratischen Kurs fahren, aber auf einer "endlosen Höllenfahrt", wie die Pariser Zeitung "Le Monde" nun titelt.

Anlass war die Wahl des oder der sozialistischen Parteivorsitzenden von voriger Woche. Resultat: Beide Teilnehmer der Stichwahl beanspruchen den Sieg für sich. Der bisherige Sekretär Olivier Faure teilte nach der Wahl mitten in der Nacht mit, er habe knapp 51 Prozent der Stimmen erhalten. Wenige Minuten später twitterte sein Herausforderer Nicolas Mayer-Rossignol, er habe das Rennen mit 53 Prozent gemacht.

Am Tag darauf sprach er von "offensichtlichem Betrug" durch die amtierende Parteiführung – die Faures Sieg schließlich mit 51,09 Prozent bestätigte. Auf Kurzvideos ist zu sehen, wie Türsteher Wahlbeobachtern den Zutritt zu Wahllokalen und Wahlurnen verwehren. Die dritte Kandidatin, Hélène Geoffroy, die im ersten Wahlgang ausgeschieden war, stellte sich hinter Mayer-Rossignol. Dieser droht mit Rechtsschritten.

Sitzungspause mit Folgen

Am Wochenende trafen sich die Vertreter der drei Kandidaten zum Nachzählen. Als Mayers Delegierte nach einer Sitzungspause in den Saal zurückkehrten, stellten sie laut dem Medienportal "Politico" fest, dass die Direktion die Nachzählung abgeschlossen hatte. Viele der 23.800 Stimmen, darunter der umstrittene Wahlkreis Pas-de-Calais, wurden deshalb nicht gemeinsam nachgezählt. Trotzdem wurde Faure zum Sieger erklärt.

Am Montag bot der PS-Sekretär seinem Widersacher bei einem Treffen eine kollegiale Führung an. Dennoch bleibt unklar, ob die Partei mit der Faust und der Rose im Emblem Ende der Woche bei ihrem Kongress in Marseille überhaupt einen Vorsitzenden haben wird. Selbst für eine Partei, die an internen Krisen einiges gewöhnt ist, wäre das ein Novum. 2008 hatte ein fast identisches Szenario zwischen zwei Frauen stattgefunden: Ex-Ministerin Martine Aubry ließ sich zur Parteichefin küren, obwohl die vormalige Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal behauptete, sie sei durch Betrug um ihren Wahlsieg gebracht worden.

Jetzt geht der Streit indessen noch tiefer. Der eher blasse Faure (54) hatte sich seit längerem dem linken Parteiflügel angenähert. Bei den Parlamentswahlen vom Juni 2022 überschritt er den Rubikon und verbündete sich mit den Linkspopulisten von Jean-Luc Mélenchon, der 2008 aus dem PS ausgetreten war. Seine "Neue soziale und ökologische Volksunion", kurz Nupès, kommt in der Nationalversammlung unter Einfluss von Grünen und PS immerhin auf 151 der 577 Sitze.

Radikaler Schwenk

Der Ausgang der PS-Chefwahl zeigt, wie umstritten Faures Schwenk nach links parteiintern ist. Seine Partei hat in dem Nupès-Verband ihre traditionell proeuropäische und staatstragende Haltung aufgegeben. Gemäßigte PS-Vertreter wie Ex-Präsident Hollande oder Regionalpräsidentin Carole Delga bekämpfen Faure seit langem und unterstützten nun Geoffroy und Mayer-Rossignol als Gegenkandidaten.

Beide waren allerdings landesweit unbekannt. Dass Mayer-Rossignol (45), Bürgermeister der Normandie-Hauptstadt Rouen, bei der Wahl des Vorsitzenden trotzdem mindestens die Hälfte der Stimmen gemacht hat, ist für Faure und die ganze Nupès eine beträchtliche Schlappe. Nach diversen internen Affären rund um sexuelle Gewalt kriselt es zudem auch in Mélenchons Partei der "insoumis", der "Unbeugsamen". Der erst im Aufbau befindliche Widerstand gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron verliert damit an Schwung.

Die PS, die ideologisch wie machtpolitisch jahrzehntelang einen ähnlichen Führungsanspruch wie die deutsche SPD erhob, ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Zu allem Elend beschwört die interne Führungskrise nun erstmals die Gefahr einer politischen Spaltung herauf. Vor dem 80. Parteikongress resümierte das linke Newsportal Mediapart die Orientierungslosigkeit der PS-Genossen mit der Frage: "Wann gehen wir eigentlich – und wohin?" (Stefan Brändle aus Paris, 23.1.2023)