Bisher wurde die unterschiedliche Berufswahl von Männern und Frauen oft mit genderstereotypen Kompetenzzuschreibungen begründet.

Foto: imago images/photothek

Kommen die Frauen, gehen die Männer. Das gilt zumindest für den beruflichen Bereich, wie nun Forscher:innen der Universität Zürich herausgefunden haben. Viele Berufe haben noch immer einen starken Männer- oder Frauenüberhang. Insbesondere in Pflegeberufen oder in der Elementarpädagogik sind etwa zu einem viel größeren Teil Frauen beschäftigt, Handwerksberufe hingegen von Männern dominiert.

Eine Theorie in der Genderforschung dazu lautet, dass Männer selektiv Berufe und Spezialisierungen verlassen, in die vermehrt Frauen kommen. Per Block, Professor für Soziologie an der Universität Zürich, hat diese Theorie nun empirisch überprüft und herausgefunden, dass Männer mit geringerer Wahrscheinlichkeit in Berufen bleiben, in die mehr Frauen wechseln. "Die Analyse zeigt, dass Männer mit doppelter Wahrscheinlichkeit den sich feminisierenden Beruf verlassen", erklärt Block in einer Aussendung der Universität Zürich.

Es sind nicht nur Kompetenzklischees

Für die Studie wurden zwei hypothetische Berufe verglichen, die in allen Berufsmerkmalen identisch sind. Der einzige Unterschied bestand darin, dass in einem 25 Prozent und im anderen 75 Prozent Frauen arbeiten.

Bisher wurde die unterschiedliche Berufswahl von Männern und Frauen oft mit genderstereotypen Kompetenzzuschreibungen begründet. Das würde Männer etwa eher in mathematische oder technische Berufen bringen und Frauen in soziale oder feinmotorische Berufe, heißt es in eine Aussendung. Eine weitere Begründung lautet, dass aufgrund der Arbeitsteilung bei heterosexuellen Paaren Frauen öfter Berufe wählen, in denen sie weniger arbeiten können und flexiblere Arbeitszeiten haben.

Allerdings passt diese Begründung nicht auf die Veränderung der Geschlechterverhältnisse in Berufen wie dem Lehrberuf oder der Pharmazie, die im Gegensatz zu früher heute von mehr Frauen als Männern ausgeübt werden. Offen ist auch, warum es innerhalb von Berufen geschlechtsspezifische Spezialisierungen gibt. In der Radiologie arbeiten etwa eher Männer und in der Dermatologie eher Frauen. All das lässt sich mit den genannten Begründungen von Genderstereotypien und den geschlechterspezifischen Wünschen nach flexibleren Arbeitszeiten nicht nachvollziehen.

Gegen eine Durchmischung

Die Studie zeigt nun, dass "Geschlechtertrennung nicht nur von geschlechtstypischen Berufsattributen verursacht wird, sondern auch von Männern (und Frauen), die sich bewusst oder unbewusst gegen eine Durchmischung wehren", heißt es von der Uni Zürich. Die Wahrnehmung von Berufen ist somit möglicherweise auch eine Konsequenz der Geschlechterzusammensetzung statt nur ihre Ursache. "Der Pflegeberuf wird eher mit stereotyp weiblichen Attributen beschrieben: sozial, empathisch, kümmernd. Wären die meisten Pflegepersonen Männer, würden wir den Beruf vielleicht ganz anders wahrnehmen, zum Beispiel als verantwortungsbewusst, durchsetzungsstark oder körperlich anstrengend", sagt Block.

Verschiedene Berufsmerkmale

Die Untersuchung wurde mithilfe einer Netzwerkanalyse durchgeführt, in der der Arbeitsmarkt als ein Netzwerk verstanden wird, in dem Arbeitnehmende mit ihren Berufswechseln verschiedene Berufe verbinden. Dadurch kann analysiert werden, ob Männer selektiv Berufe verlassen, in die verstärkt Frauen gehen. Dies geschieht unter Berücksichtigung der verschiedenen Berufsmerkmale, die Männer und Frauen in verschiedene Berufe kanalisieren.

Die Auswirkung dieses Verhalten wurde auch in einer Simulationsstudie erforscht, in der Frauen und Männer sich nicht vom Geschlecht der anderen Arbeitnehmer:innen in Berufen beeinflussen lassen. Würden tatsächlich nur berufsspezifische Attribute (wie Lohn, Flexibilität oder Charakteristiken der Tätigkeit) die Berufswechsel beeinflussen, sagt die Simulationsstudie eine Abnahme der Geschlechtertrennung in Berufen um 19 bis 28 Prozent voraus.

Die empirischen Daten der Studie stammen aus Großbritannien; der dortige Arbeitsmarkt hat Gemeinsamkeiten sowohl mit vielen europäischen als auch mit nordamerikanischen Staaten. (red, 26.1.2023)