Hannes Majdič sieht den Bogen in weiten Teilen des Onlinehandels überspannt. Konsumenten machten sich immer wieder einen Sport daraus, idente Produkte mehrfach zu bestellen, um zu vergleichen, wer am schnellsten liefere, erzählt der Gründer der Elektrohandelskette Electronic4You. Er erhalte mitunter Beamer und Fernseher retour, die bis zu 200 Stunden in Betrieb waren. "Was hat das noch mit dem Ausprobieren zu tun? Mit Konsumentenschutz sicher nichts mehr. Es ist schlicht und einfach dreist."

Wie hoch sind die Warenüberschüsse? Was passiert mit Millionen an Retouren im Onlinehandel? Bisher herrscht darüber in der EU weitgehend Intransparenz.
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Er sei von seiner Mutter dazu erzogen worden, nichts wegzuwerfen, sagt Majdič. Mittlerweile aber finde er sich in einer Gesellschaft wieder, in der es offenbar völlig normal sei, Produkte im Kreis zu schicken und ungenutzt zu zerschreddern.

Stiegen kleine regionale Händler dabei auf die Bremse, riskierten sie, von Kunden beschimpft zu werden. Amazon habe sie schließlich gelehrt, dass der Versand und die Rücknahme von Waren nichts kosteten.

Vier bis zehn Prozent der retournierten Elektroartikel werden entsorgt, erhob eine Studie von Ökopol für das Europäische Umweltbüro. In Österreich landen damit gut 120.000 Pakete im Müll. Bei Textilien macht dieser Anteil zwischen zehn und 20 Prozent aus. Auf Österreich umgelegt, werden an die 1,3 Millionen entsprechende Retouren vernichtet.

Eine Lkw-Ladung pro Sekunde

4,6 Millionen Kilo Kleidung und Schuhe hierzulande würden nie getragen, sondern über diverse Kanäle entsorgt, schätzt die Umweltorganisation Greenpeace. Die Ellen McArthur Foundation rechnet vor, dass weltweit jede Sekunde eine Lkw-Ladung an Textilien auf eine Deponie geschafft oder verbrannt wird.

Quer durchs Sortiment landeten allein bei Amazon regelmäßig Tonnen an originalverpackten Produkten in der Presse, zeigen Greenpeace-Recherchen. Der Onlinekonzern selbst bezifferte den Anteil der zerstörten Ware mit nur einem Prozent – und verwies auf Drittanbieter, die über das Schicksal der ungebrauchten Artikel entschieden.

Für große Webplattformen sei es ein Leichtes, kostenlose Retouren zu offerieren, erzählen Handelskenner dem STANDARD. Sie würden die Industrie infolge ihrer hohen Marktmacht vertraglich zur Rücknahme verpflichten. Zu testen, ob die Geräte noch funktionieren, zahle sich für Produzenten selten aus. Diese zu vernichten sei günstiger.

Licht in Überschüsse bringen

Spät, aber doch reagiert die EU auf massive Ressourcenvergeudung. In Arbeit ist eine neue Ökodesign-Verordnung, mit dem Ziel, Produkte recycelfähiger und langlebiger zu machen. Eine Berichtspflicht soll Licht in Warenüberschüsse und die Konsequenzen daraus bringen. Derzeit herrscht hier völlige Intransparenz.

Bewegung in die Sache will auch Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) bringen. Sie schlägt ein Vernichtungsverbot für Neuwaren und Retouren vor, mit Fokus auf große Konzerne. Maßgebliche Details dazu, etwa wie Kontrollen und Sanktionen aussehen könnten, sind bisher offen.

Bußgeld und Kontrollen

Für Nina Tröger, Konsumforscherin der Arbeiterkammer, ist die Initiative ein möglicher Prototyp für Europa. Um Umgehungen zu verhindern, brauche es aber zum einen Gesetze auf EU-Ebene. Ansonsten würde Ware ins Ausland gekarrt und in Osteuropa entsorgt. Zum anderen führt für Tröger kein Weg an abschreckendem Bußgeld vorbei. "Schwarze Schafe gehören an die Öffentlichkeit."

Nicht zum Vorbild nehmen dürfe Österreich Deutschland: Dort gelten jüngste Vorstöße für mehr Nachhaltigkeit in Ermangelung von Kontrollen und Pönalen als Papiertiger.

Ende der Gratisretouren?

Majdič, einer der größten Onlinehändler in Österreich, hält Gesetze gegen Warenvernichtung für sinnvoll. Weitaus mehr bewirken ließe sich aus seiner Sicht jedoch an einer anderen Front: "Versand und Retouren werden was kosten müssen. Die Frage ist nur, wer fängt damit an?"

Harald Gutschi, Chef der Unito-Österreich-Gruppe mit Marken wie Otto, Quelle und Universal, nennt das Ende des Gratisversands Unsinn. "Damit würde sich der Onlinehandel quasi selbst abschaffen." Retourensünder betrachtet er als Einzelfälle, die man dank Algorithmen in den Griff bekäme. Ohnehin würden Rücksendungen durch bessere Produktbeschreibungen weniger.

Frage der Durchsetzung

Was Gewesslers Vorhaben eines Verbots für Neuwaren betrifft, zweifelt Gutschi mit Blick auf unzählige Lieferungen aus Asien an den Möglichkeiten der rechtlichen Durchsetzung. Sein Konzern wäre davon jedenfalls nicht betroffen, ergänzt er.

Bei Hartware liege der Anteil seiner Retouren bei unter zehn Prozent – bei Textilien zwischen 20 und 50 Prozent. Zerstört werde in Österreich nichts – neu aufbereitet jedoch vieles. Überbestände verkaufe man zum Kilopreis nach Osteuropa.

Asiatische Händler seien für die EU eine Blackbox, erläutert Greenpeace-Konsumexpertin Lisa Panhuber. Eine Berichtspflicht könne aber mehr Einblick in Warenwirtschaftssysteme verschaffen. Dass Kontrolle nicht zahnlos sein müsse, belegen für sie zahlreiche aufgedeckte Missstände rund um Müllexporte.

Gewesslers Gesetzesvorschlag sei einer, der niemandem wehtue, sagt Panhuber: Die Kosten würden für Unternehmen nicht mehr, wenn sie Retouren und überschüssige Waren, statt sie zu entsorgen, an dafür befugte Stellen weitergeben müssten.

"Symptombekämpfung"

Roland Fink, Gründer des Onlinehändlers Niceshops, spricht von nur drei Prozent an Retouren in seinem Unternehmen. Weggeworfen werde unter seinem Dach bis auf verdorbene Lebensmittel nichts, sagt er. Was sich nicht als B-Ware günstiger verkaufen ließe, sei zur freien Entnahme für seine Mitarbeiter.

Er hätte kein Problem mit strengeren Gesetzen für eine längere Lebensdauer von Produkten, betont er – letztlich bekämpfe die Politik damit jedoch nur Symptome und nicht die Wurzel des Übels. Fink erinnert an Werbekampagnen von Zalando. "Schrei vor Glück, oder schick's zurück", tönte der Internetriese einst in Deutschland und Österreich. Botschaften wie diese aus den Köpfen der Konsumenten zu bringen sei ein schwieriges Unterfangen. (Verena Kainrath, 25.1.2023)