Die digitale Nase konnte auch vielversprechende Mittel zur Moskito-Abwehr aufspüren.

Dieses Symbolbild wurde mithilfe der Bilder-KI Stable Diffusion generiert.

Foto: DER STANDARD/Pichler/Stable Diffusion

Ein Duft, ähnlich blumig wie gerade köchelnder Jasminreis. Oder wie Saffran mit einem Hauch von Leder und schwarzem Tee. Und der Geruch einer Thai-Chili, aber ohne die beißende Schärfe. Sie stammen nicht aus der Natur, sondern basieren auf Molekülen, die eine Künstliche Intelligenz designt hat. Der Computer wusste, wie sie riechen werden, noch bevor sie die ersten Geruchsrezeptoren einer menschlichen Nase erreicht haben.

Das System dahinter stammt von Osmo, einem Start-up, das unter den Flügeln von Googles Forschungsabteilung entstand und mittlerweile, wenn auch finanziert von den Google Ventures und Lux Capital, in die Eigenständigkeit entlassen wurde. Sie steuerten den Großteil bei einer ersten Finanzierungsrunde bei, in der 60 Millionen Dollar eingesammelt werden konnten.

Hinter der Firma steht Alex Wiltschko, vormals bei Google Research angestellt. Dort hatte der seit seiner Jugend von Gerüchen faszinierte Gründer an Software gearbeitet, die den Geruch von Molekülen anhand ihrer Struktur vorhersagt. Seine Firma könnte nun die 30 Milliarden Dollar schwere Parfümindustrie aufmischen, berichtet Wired.

Klima, Krisen, Ethik

In der Branche sind hauptsächlich Menschen für das Nachahmen natürlicher Düfte und die Erforschung neuer Duftkombinationen zuständig. Deren Arbeit wird allerdings immer schwerer. Denn einige natürliche Ressourcen sind immer schwerer zu bekommen. Verschiedene Blumenarten leiden unter extremen Wetterentwicklungen, die vom Klimawandel verstärkt werden. Andere wiederum sind Verfügbarkeitsschwankungen aufgrund von Krisen und Konflikten ausgesetzt.

Von Tieren gewonnene Duftstoffe werfen eine Reihe von ökologischen und ethischen Probleme auf. Manche synthetischen Optionen stehen zudem unter dem Verdacht, gesundheitsgefährdend zu sein und werden dementsprechend reguliert.

Schwierige Aufgabe

Osmo will einen anderen Weg gehen, und die gesuchten Düfte – und auch Geschmacksmoleküle – nicht mit vage ähnlich riechenden synthetischen Varianten ersetzen, sondern nachbauen. Kunden sollen die Möglichkeit bekommen, mit dem Wunsch nach einem bestimmten Duft an die Firma heranzutreten, welche sie dann chemisch designt und zur Lizenzierung bereitstellt. Letztlich soll Geruch so auch digitalisiert und Computer praktisch mit einer eigenen "Nase" ausgestattet werden.

Das ist aufgrund der Komplexität des olfaktorischen Sinnes keine leichte Aufgabe. In der Nase befinden sich rund 400 verschiedene Arten von Rezeptoren. Viel mehr als auf der Zunge oder in unseren Augen. Die Basis dafür bildet ein Datensatz aus 5.000 Geruchsmolekülen aus Duftkatalogen mitsamt ihrer Beschreibungen. Die KI tat das, worin moderne KIs besonders gut sind. Sie erkannte Muster und stellte Gemeinsamkeiten zwischen der chemischen Struktur von Stoffen fest, die einen ähnlichen Geruch aufweisen. Laut Wiltschko können schon sehr kleine Unterschiede wie die Anzahl der Kohlenstoffatome den Ausschlag darüber geben, ob etwas wie Rosen oder nach faulen Eiern riecht.

Im nächsten Schritt wurde der KI ein Datensatz aus 400 Molekülen vorgesetzt, die zwar designt, aber nie produziert worden waren. Die KI sollte allein auf Basis ihrer Struktur vorhersagen, wie diese für einen Menschen riechen würden. Die Gegenprobe traten 15 menschliche Probanden an, für die man die Stoffe erzeugte und sie beschreiben ließ.

Bei 53 Prozent der Moleküle lang die KI-Beschreibung näher am Durchschnitt der Einstufungen aller Tester, denn an einer der Einzelmeinungen. Das wertete man als Erfolg. Dennoch ist noch einige Arbeit zu tun, denn subtile Geruchsunterschieder vermag das neurale Netzwerk, auf dem die KI aufbaut, noch gar nicht zu erkennen. Das Osmo-Team hat ein Paper zu seinen Erkenntnissen veröffentlicht, das aktuell einem Peer Review unterzogen wird.

KI sucht nach Mückenabwehr

Es geht aber nicht nur um Parfums und Deodorants. Wiltschko sieht auch eine große medizinische Chance in Osmos KI. Mit ihrer Hilfe soll auch ein neues Mittel zur Stechmückenabwehr entwickelt werden. Von Moskitos übertragene Krankheiten wie Malaria fordern jedes Jahr viele Leben und sorgen für Leid und teure volkswirtschaftliche Kosten in oft ohnehin schon armutsbetroffenen Regionen mit mangelnder Gesundheitsversorgung.

Derzeit gilt ein Mittel namens "Deet" als Goldstandard. Es dient dazu, die vom Geruch menschlicher Haut angezogenen Mückenweibchen zu verwirren. Jedoch muss es in hoher Konzentration angewandt werden, greift Kunststoff an und kann auch Hautirritationen hervorrufen.

Weil in den letzten Jahrzehnten nur wenige Moskito-Abwehrmittel wissenschaftlich beschrieben wurden, spürte Wiltschko einen Bericht der US-Regierung aus den 1940er-Jahren auf. Damals erprobten Forscher rund 19.000 verschiedene Düfte auf ihre Wirkung zur Verhinderung von Mückenstichen. Die Ergebnisse führten zur Entwicklung von Deet. Bei Osmo wurden die Daten digitalisiert und die KI damit gefüttert.

Anschließend wurden ihr 400 neue Moleküle zur Reihung vorgelegt, die bislang noch nicht auf ihre Tauglichkeit überprüft worden waren. Die 317 vielversprechendsten ließ man schließlich konventionell mit Stechmückenpopulationen im Labor testen. Mehr als 10 bewiesen dabei eine stärkere Abwehrwirkung, als Deet oder andere derzeit genutzte Mittel. Auch hierzu gibt es ein Paper als Preprint, das noch auf sein Peer Review wartet. Die erfolgreich getesteten Moleküle sollen nun auf ihre Hautverträglichkeit und biologische Abbaubarkeit geprüft werden.

Chris Potter, der sich als Neurowissenschaftler bei Johns Hopkins mit dem Geruchssystem von Moskitos auseinandersetzt, gibt sich begeistert. Damit seien "die Daten entfesselt worden, auf denen wir so lange gesessen sind." Nun könne man mit dieser Liste an vielversprechenden Molekülen arbeiten.

Shazam für Gerüche

Wiltschko und sein Mitgründer Josh Wolfe denken auch an andere Zukunftsoptionen. So wie Apps à la Shazam und Soundhound heute im Radio laufende Songs erkennen können, könnten Handys eines Tages auch Gerüche identifizieren, einfangen und übertragen. Dafür braucht es aber auch neue Ausstattung in Form von Komponenten, die Gerüche einfangen, in eine digitale Signatur umwandeln, diese auch wieder entschlüsseln und Gerüche erzeugen können.

Erinnerungen an den Hype um das "Geruchsfernsehen" und andere kurzlebige Versuche, Duft zum Teil von Alltags-Multimedia zu machen, werden wach. Das Problem, gesteht Wiltschko, sei sehr schwer zu lösen. Dennoch kooperiert man mit anderen Forschern, um eines Tages in der Lage zu sein, diese Vision umzusetzen. Es brauche einen Sensor, der einen Duft erfasst und in Bits übersetzt, eine Karte, mit der die Informationen komprimiert gespeichert und übertragen werden können und eine Art Drucker, der den Geruch wiederherstellen kann. "Die Zeit ist gekommen", sagt er, "um all diese Dinge umzusetzen."