Indra Collini (Neos), Franz Schnabl (SPÖ), Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Udo Landbauer (FPÖ) und Helga Krismer (Grüne) werben um Stimmen. Mitunter mit Szenarien, die unwahrscheinlich sind.

Foto: apa / helmut fohringer

Je näher die Wahl rückt, desto lauter sprechen drei Parteien über ein Szenario: Rot-Blau in Niederösterreich. Diese Koalition wurde im Lauf der Wochen zum heißesten Kampagnenthema vor der Landtagswahl am kommenden Sonntag. Kein Wunder: Für ÖVP, SPÖ und FPÖ ist das die perfekte Mobilisierungsgeschichte. Anhängerinnen und Anhänger von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner empfänden einen solchen Machtwechsel im schwarzen Kernland als ultimative Katastrophe; Fans von Rot und Blau ahnen hingegen eine Zeitenwende und einen Triumph. Anhängerinnen und Anhänger beider Parteien motiviert das immens.

Das Problem an der Geschichte: Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass sie wahr wird.

Zwar ist so gut wie sicher, dass die Volkspartei am Sonntag ihre absolute Mandatsmehrheit verliert. Was Mikl-Leitner auf den letzten Metern abzuwenden versucht, ist der Verlust der Mehrheit in der Landesregierung: Denn diese wird in Niederösterreich nach dem Proporzsystem besetzt, große Parteien bekommen also entsprechend ihrer Stärke im Landtag Sitze in der Regierung. Aktuell stellt die ÖVP sechs von neun Landesräten, die SPÖ zwei und die FPÖ einen.

Zwei Sitze weniger in der Regierung wären für die ÖVP dramatisch. Eine Mehrheit gegen die ÖVP wäre damit fix – es stünde vier gegen fünf. Das heißt aber noch lange nicht, dass Rot-Blau ausgemacht wäre.

Bei welchem Ergebnis würde die ÖVP ihre Mehrheit in der Landesregierung verlieren? Ein Überblick über mehrere Situationen nach der Wahl.

Situation 1: ÖVP verliert Mandatsmehrheit im Landtag, behält aber Mehrheit in der Landesregierung (ÖVP 42 Prozent, SPÖ 22 Prozent, FPÖ 24 Prozent, Grüne 6 Prozent, Neos 6 Prozent)

Dieses Ergebnis entspricht dem Ausgang der meisten Umfragen vor der Wahl: Die ÖVP schafft am Wahlabend tatsächlich etwas mehr als 40 Prozent, SPÖ und FPÖ erhalten jeweils etwas mehr als 20 Prozent. So verliert die Volkspartei zwar einen Sitz in der Landesregierung, hält aber weiterhin die Mehrheit mit fünf von neun Sitzen.

SPÖ und FPÖ stellen in dieser Rechnung zwei Landesräte, die Freiheitlichen hätten also einen Zugewinn. Damit nicht genug: Erhält die FPÖ mehr Mandate im Landtag als die SPÖ, würde sie den Roten den Landeshauptfrau-Stellvertreter wegschnappen. Diese stellen gemäß der Landesverfassung die zwei mandatsstärksten Parteien.

In dieser Situation ist eine Koalition gegen die ÖVP undenkbar: Ein roter oder blauer Landeshauptmann hätte innerhalb der Landesregierung keine Mehrheit, die ÖVP könnte die wichtigsten Zuständigkeiten bei sich vereinen und jedes Vorhaben von Rot-Blau torpedieren.

Situation 2: ÖVP verliert die Mehrheit in der Landesregierung und im Landtag (ÖVP 39, SPÖ 23, FPÖ 25, Grüne 7, Neos 6)

Die goldene Grenze für die ÖVP ist die 40er-Marke, vorausgesetzt, SPÖ und FPÖ bleiben zwischen 23 und 25 Prozent. Nach D'Hondt'scher Mandatsverteilung würde die ÖVP dann nur noch vier von neun Landesräten stellen. Die Mehrheit in der Landesregierung wäre also dahin. Für die FPÖ oder die SPÖ würde sich ein dritter Regierungssitz ausgehen. Neos und Grüne würden erneut leer ausgehen.

Das ist das einzige Szenario, in dem Rot-Blau zumindest theoretisch möglich wäre, weil die Koalition auch die Mehrheit in der Landesregierung hätte. Doch eine Koalition mit der FPÖ wäre für die Sozialdemokratie ein Tabubruch. Landbauer hat im STANDARD-Interview die Menschenrechte infrage gestellt.

Auch die rote Bundespartei würde der Schritt schwer unter Druck bringen. Im STANDARD-Interview hält Schnabl zwar fest, dass er einen blauen Landeshauptmann nicht ins Amt heben würde. Von der FPÖ wählen lassen würde er sich aber jedenfalls.

Am Donnerstagabend veröffentlichte Schnabl eine Erklärung, überhaupt keine Koalition eingehen zu wollen, sondern sich für politische Vorhaben jeweils flexibel Unterstützung im Landtag zu suchen. Auf rot-blaue Planspiele hat das wenig Einfluss, denn irgendeine Form von Vereinbarung mit der FPÖ wird es schon für Schnabls theoretische Wahl zum Landeshauptmann und die Verteilung der Kompetenzen innerhalb der Regierung geben müssen.

Entscheidend wäre also, ob die SPÖ den zweiten oder dritten Platz belegt und wie entschlossen die FPÖ ist, Mikl-Leitner in Zusammenarbeit mit Schnabl zu verhindern. Ist die FPÖ auf dem dritten Platz und macht Schnabl zum Landeschef, steht den Freiheitlichen der Stellvertreterposten trotzdem nicht zu – dass das alle Freiheitliche zufriedenstellt, ist unwahrscheinlich.

Situation 3: ÖVP mit wenigen Verlusten, SPÖ oder FPÖ gewinnen aber stark dazu (ÖVP 43, SPÖ 31, FPÖ 18, Grüne 4, Neos 4)

Weicht das Wahlergebnis gravierend von den Umfragen ab, wird es spannend. Angenommen, die ÖVP verliert nur wenige Prozentpunkte und bleibt deutlich über der 40er-Marke, FPÖ oder SPÖ gewinnen aber stark dazu, dann wäre die schwarze Mehrheit in der Landesregierung auch verloren. Auch hier würde es vier gegen fünf stehen.

Situation 4: Neos oder Grüne bekommen einen Sitz in der Landesregierung (ÖVP 42, SPÖ 21, FPÖ 21, Grüne 10, Neos 6)

Komplizierter wird die Situation, wenn entweder Neos oder Grüne an die zehn Prozent herankämen. Das würde bedeuten, auch wenn die ÖVP über 40 Prozent verfügt und selbst SPÖ und FPÖ nur 20 Prozent erreichen, dass einer der beiden Parteien ein Sitz in der Landesregierung zusteht.

Die ÖVP würde dadurch ihre Mehrheit in der Landesregierung verlieren, auch wenn das Ergebnis über 40 Prozent betragen würde. Diese Variante gilt jedoch als unwahrscheinlich, zumindest hat bislang keine Umfrage den Neos oder den Grünen einen derartigen Erfolg zugesprochen.

Mehrheit im Landtag ebenso fraglich

Was bei all diesen Überlegungen noch nicht berücksichtigt wurde: die Mehrheitsverhältnisse im Landtag. Denn selbst wenn SPÖ und FPÖ die Volkspartei in der Landesregierung überstimmen können, bräuchten beide Parteien einen überraschenden Wahlerfolg, um auch die Mehrheit im Landtag zu erhalten. Das heißt: Sie bräuchten entweder Neos oder Grüne, um ihre politischen Vorhaben zu unterstützen. Beide Oppositionsparteien schließen das explizit aus.

Auch im niederösterreichischen Landtag bräuchte eine Koalition eine Mehrheit.
Foto: apa / helmut fohringer

Am Ende müsste also eine Verkettung unwahrscheinlicher Ereignisse eintreten, um Rot-Blau zu ermöglichen: Ein großer Wahlerfolg für SPÖ und FPÖ; Einigkeit unter beiden Parteien, Schnabl zum Landeshauptmann zu machen (oder: Schnabl bricht sein Wahlversprechen, Landbauer nicht zu wählen); schlussendlich die Unterstützung im Landtag einer von zwei Parteien, die genau das ausgeschlossen haben.

Das wahrscheinlichste Szenario

Am wahrscheinlichsten ist immer noch das unspektakulärste Szenario: Die ÖVP landet auf dem ersten Platz – mit oder ohne Mehrheit innerhalb der Landesregierung. SPÖ oder FPÖ bilden ein Arbeitsübereinkommen mit der Volkspartei. Sie haben wegen des Verlusts der absoluten Mehrheit gute Chancen, wichtige Inhalte durchzubringen – und damit auch gute Chancen, ihre eigene Basis von der Zusammenarbeit mit der ÖVP zu überzeugen. Am Ende bleibt ein rot-blau regiertes Niederösterreich aller Wahrscheinlichkeit nach das, was es von Anfang an war: ein Mobilisierungsmärchen. (Sebastian Fellner, Max Stepan, 27.1.2023)