Demokratie ist, wenn es nach Winston Churchill geht, keine besonders gute Regierungsform. Auch hierzulande sind manche Menschen der Meinung, Demokratie sei nicht die ideale Lösung für das Zusammenleben von Menschen in einem Staat. Besonders beliebt ist das Argument, dass manche Länder einfach nicht genug Erfahrung mit Demokratie hätten und man ihnen dieses in Europa über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende erkämpfte Konzept nicht einfach so überstülpen dürfe. Das Argument: Eine solche Regierungsform sei ohne die dazugehörige Tradition womöglich nicht stabil, weil Demokratie nicht in ausreichendem Maß akzeptiert würde.

Studien geben dieser Argumentation bis zu einem gewissen Grad recht. Menschen müssten Demokratie leben, insbesondere in der Gründungsphase, um politische Überzeugungen zu entwickeln, damit die Stabilität des demokratischen Systems gewährleistet ist. Das brauche mindestens eine Generation.

Dieses tunesische Kind wird in einigen Jahren wählen dürfen. Seine Sicht auf die Demokratie wird neben anderen Faktoren auch von online zugänglicher politischer Bildung abhängen.
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Ob politische Information bei der Demokratisierung einer Gesellschaft eine Rolle spielen kann, hat man sich nun mittels einer Studie angesehen, die im "American Journal of Political Science" veröffentlicht wurde. Das Studiendesign sah vor, 2.000 junge Menschen in Tunesien über Facebook und Instagram zu kontaktieren und ihnen eine von drei Maßnahmen zur Information über Demokratie zukommen zu lassen. Ein weiterer Teil der kontaktierten Personen wurde einer Vergleichsgruppe zugeteilt, die keine Information bekam.

Ziel der Maßnahmen war es, die staatsbürgerliche Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern, die Unterstützung für demokratische Normen und Institutionen zu stärken, autoritäre Nostalgie zu verringern und die Beteiligung an nationalen Wahlen zu erhöhen.

Den Probandinnen und Probanden wurden drei verschiedene Videos gezeigt. Eines davon unterstrich die Vorzüge des demokratischen Systems, ein anderes veranschaulichte, was bei einem Verlust der Demokratie verlorengehen würde, ein drittes versuchte demokratisches Verhalten anzuleiten, etwa was die Teilnahme an Wahlen anging. Die Vergleichsgruppe sah sich ein Naturvideo an.

Das Ergebnis war, dass bei allen angepeilten Zielen Fortschritte feststellbar waren. Den meisten Effekt hatte die Veranschaulichung der Vor- und Nachteile, wobei auch das dritte Video einen Effekt zeigte. Insbesondere ließ sich autoritäre Nostalgie reduzieren, zudem begannen die jungen Menschen, die Performance der tunesischen Regierung kritischer zu beurteilen.

Tunesien sollte als Modell für andere Staaten dienen. Es ist als Experimentierfeld interessant, weil es in seiner Geschichte nach seiner Unabhängigkeit 1956 nur kurze Phasen demokratischer Verwaltung erlebte und aus dem Arabischen Frühling 2010 als Demokratie hervorging. Die Studie hat aber durchaus aktuelle Relevanz. Bei der Parlamentswahl im Dezember war die Beteiligung mit nur elf Prozent äußerst gering, in den meisten Wahlkreisen kam es zu Stichwahlen, die diesen Sonntag durchgeführt werden.

Am 29. Jänner wählen die Tunesierinnen und Tunesier. Der erste Wahlgang im Dezember stieß nur auf geringes Interesse in der Bevölkerung.
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"Angesichts der Tendenzen zur Abkehr von der Demokratie, die wir in so vielen Ländern der Welt beobachten, müssen wir unbedingt Wege finden, um ein Abgleiten in die Autokratie zu verhindern", sagt Ericka Rascón Ramírez, eine der Autorinnen der Studie.

Facebook-Nutzer in autoritären Systemen

Von den 2,9 Milliarden Nutzerinnen und Nutzern von Facebook lebt ein großer Teil in einem diktatorischen oder ehemals diktatorischen System. Man wisse immer noch wenig darüber, "ob und wie Maßnahmen, die den Nutzern dieser Plattformen angeboten werden, eine Rolle bei der Förderung der demokratischen Entwicklung spielen können", heißt es dazu in der Studie. Und: "Wir versuchen also direkt festzustellen, wie eine demokratische Staatsbürgerschaft in einem Kontext geschaffen werden kann, in dem die große Mehrheit in einer Autokratie oder während einer turbulenten Übergangszeit aufgewachsen ist."

Die Studie wurde zum Teil vom ERC Consolidator Grant "Democracy under Threat: How Education Can Save It" der Europäischen Kommission finanziert. Der Fokus ist hier nicht allein die Frage nach dem Schicksal junger Demokratien, sondern das Schicksal der Demokratie insgesamt.

Churchills Aussage hatte bekanntermaßen einen wichtigen Nachsatz. Er sagte, sie sei die schlechteste Regierungsform, "abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind." Die Aussage fiel vor dem britischen Unterhaus, heute würde er sie womöglich auf Facebook posten. (Reinhard Kleindl, 29.1.2023)