Das Lächeln verging Erstangeklagtem Philip H. – hier beim erstinstanzlichen Prozess im März 2022 –, als das Oberlandesgericht am Mittwoch seine zehnjährige Haftstrafe bestätigte.

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Wien – Das Sakrileg, den Namen eines britischen Ornithologen zu verwenden, um in Liedern neonazistisches Gedankengut zu verbreiten, ist im österreichischen Strafrecht natürlich kein Erschwerungsgrund. Deshalb wurde der als "Mr. Bond" agierende Philip H. aber auch nicht wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu zehn Jahren Haft verurteilt. Sondern da er rassistische, homophobe, antisemitische Lieder produzierte – eines davon spielte der rechtsextreme Attentäter von Halle, als er bei seinem mittels Helmkamera live gestreamten Anschlag 2019 zwei Menschen tötete und zwei verletzte.

Dass die Verurteilung an sich korrekt ist, hat der Oberste Gerichtshof bereits entschieden. Im Saal F des Wiener Justizpalastes geht es vor dem Oberlandesgericht nun um die Berufung gegen die Strafhöhe. Philip H.s ebenso unbescholtener Bruder Benjamin, der im Internet eine "Feindesliste" namens "Judas Watch" publizierte, auf der über 1.700 Personen namentlich genannt wurden, darunter auch STANDARD-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, hatte vier Jahre ausgefasst.

Angeklagter angeblich von Popularität überrascht

Verteidiger Martin Mahrer konzentriert sich vor allem auf den Erstangeklagten. Dass die erste Instanz bei diesem eine "besondere Gefährlichkeit" angenommen habe, wodurch sich der Strafrahmen erhöht, kann er nicht recht nachvollziehen. Und bringt dafür ein originelles Argument: Philip H. habe seine Lieder "ins Darknet gestellt, also einen nicht allgemein zugänglichen Teil des Internets. Er konnte nicht davon ausgehen, dass sich so viele die Lieder herunterladen."

Bei "Judas Watch" des Bruders gesteht der Verteidiger zu, dass die Liste "zwar einen furchtbaren Namen hat", es sich dabei aber "im Wesentlichen nur um eine Linksammlung" gehandelt habe. Es habe dort auch keine "pauschale Verhetzung" gegeben, die gelben Sterne bei manchen Namen würden auf anderen Geräten auch andere Farben haben, glaubt Mahrer nicht an einen Zusammenhang mit den "Judensternen" während der NS-Diktatur. Für den Verteidiger ist klar, dass die Freiheitsstrafen für seine Mandanten "erheblich zu reduzieren" seien.

Aus der Zelle mit der rechten Szene in Kontakt

Oberstaatsanwalt Florian Kranz sieht das gar nicht so und hält die ausgesprochenen Strafen für tat- und schuldangemessen. Das Argument, dass Philip H. nicht damit gerechnet habe, dass so viele Menschen auf seine Lieder zugreifen, kann der Vertreter der Anklage überhaupt nicht nachvollziehen. "Warum stell ich sie dann ins Internet?", wundert er sich. Und hält weiters fest: "Und zweitens wäre er der erste Musiker der Welt, der nicht will, dass seine Musik gehört wird." Auch am reumütigen Geständnis des Erstangeklagten hegt Kranz erhebliche Zweifel. "Es ist aktenkundig, dass er auch nach dem Schuldspruch Kontakt zur Szene gehalten hat", sieht er keine Verhaltensänderung.

Diese Kontakte interessieren auch den Senatsvorsitzenden. "Sie wollten ja ein Videotelefonat mit einer US-Amerikanerin führen, das zuerst genehmigt, dann aber doch untersagt wurde?", fragt er den Erstangeklagten. Er habe nach seiner Verhaftung im Jänner 2021 "viele Briefe aus Solidarität" in Haft bekommen, er könne ja nicht sagen, wer die wahren Absender seien, meint Philip H. dazu. Mit der US-Amerikanerin habe sich "so eine Art Brieffreundschaft entwickelt". Dass die Frau eine fanatische Antisemitin und nach Eigendarstellung Nationalsozialistin ist, habe dabei angeblich keine Rolle gespielt. Zur angeklagten Sache selbst hält sich Philip H. knapp: "Mir war die Tragweite nicht bewusst von der Geschichte", entschuldigt er sich. Sein Bruder schließt sich den Ausführungen des Verteidigers an.

Sowohl Tat als auch Täter "besonders gefährlich"

Der Zwei-Richterinnen-und-ein-Richter-Senat braucht nicht allzu lange für eine Entscheidung: Der Berufung wird nicht Folge geleistet. Bei Philip H. sei die "besondere Gefährlichkeit" sowohl bei der Wiederbetätigung als auch beim Täter selbst gegeben, zeigt sich das Oberlandesgericht sicher. Letzteres werde beispielsweise dadurch illustriert, dass er nach den Anschlägen auf zwei Moscheen in Christchurch, bei denen ein Rechtsterrorist 51 Menschen ermordete und 50 weitere verletzte, postete "I love this guy" und wenige Tage später dessen Pamphlet ins Deutsche übersetzte und online stellte.

Auch nach dem Attentat von Halle habe er zeitnah im Internet recherchiert, wie man sich mittels 3D-Drucker selbstgemachte Schusswaffen besorgen könne. Auch den Wert des Geständnisses müsse man gewichten, lautet die Begründung weiter. Die Brüder hätten zunächst von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch gemacht, in der Gerichtsverhandlung habe Philip dann nur eine zusammenfassende Stellungnahme verlesen und keine Fragen mehr beantwortet. In dieser Stellungnahme sei zumindest noch von Reue die Sprache gewesen, sein Bruder habe überhaupt nichts in diese Richtung bekanntgegeben.

Betroffene wurden nicht informiert

Der Vorsitzende geht auch auf die von Clemens Lahner vertretenen Menschen ein, die sich auf "Judas Watch" eingetragen fanden. "Man muss auch deren Gemütszustand und Emotionen bedenken, die sich natürlich zu Recht fürchteten, auf so einer Liste zu stehen. Es war ja nicht klar, wie konkret es vor einer Umsetzung steht." Mehrere der Betroffenen haben im Vorfeld des Prozesses in einer Presseaussendung Kritik an der Exekutive geübt, da sie von der Polizei nicht über die Identität des Listenerstellers nach dessen Verhaftung informiert wurden. Die vier Jahre Haft für Benjamin würden knapp über einem Drittel der Strafandrohung liegen, dass sei eine bei Ersttätern durchaus übliche Sanktion, sieht das Oberlandesgericht auch hier keinen Grund für eine Reduktion. (Michael Möseneder, 25.1.2023)