"Wagner-Gruppe – die russischen Ritter" steht auf diesem Graffito, das im serbischen Belgrad beschmiert wurde.

Foto: AP Darko Vojinovic

Eine "transnationale kriminelle Organisation" sei die Söldnergruppe Wagner, die in der Ukraine kämpft. So sieht es die US-Regierung. Sanktionen sollen folgen. Jewgeni Prigoschin, der Chef der Privatarmee, nimmt das eher amüsiert zur Kenntnis. Er wirft den USA vor, selbst kriminell zu sein. Nun seien Wagner und die USA Kollegen, sie würden daher wie "Verbrecherclans" gegeneinander kämpfen, so Prigoschin.

Jewgeni Prigoschin und Russlands Präsident Wladimir Putin kennen einander aus Sankt Petersburg. Als Putin noch in der Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er öfters in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Deshalb nennen viele ihn "Putins Koch". Später, als Putin Präsident wurde, richtete Prigoschins Cateringfirma Staatsbankette aus. Unter den Gästen waren der damalige US-Präsident George W. Bush und Frankreichs Staatsoberhaupt Jacques Chirac.

Video: Im Ukraine-Krieg gewinnt die ultranationalistische Wagner-Gruppe an Bedeutung. Doch die Rekrutierungen laufen chaotisch ab.
DER STANDARD

Heute handelt Prigoschins Armee, die Söldnergruppe Wagner, wie eine eigenständige militärische Macht in Russland. "Ich kann sagen, dass die private Militärfirma Wagner heute eine der entscheidendsten Rollen im Bereich der militärischen Spezialoperationen spielt", teilt Prigoschin auf Telegram mit. Dabei tritt der 61-Jährige immer offensiver auf. Mal zeigt er sich im Kriegsgebiet, mal kritisiert er die russische Militärführung.

Und Kreml-Chef Putin lässt ihn schalten und walten, als hätte Prigoschins Schattenarmee längst alleine das Zepter der Macht in der Hand. Dabei behauptete Putin in der Vergangenheit, der russische Staat habe nichts mit der Wagner-Gruppe zu tun. In der Ukraine kämpfen Prigoschins Soldaten an vorderster Front, brutal im Vorgehen: Deserteure aus den eigenen Reihen werden hingerichtet.

Wagners größter Erfolg: Einnahme von Soledar

Prigoschins bislang größter militärischer Erfolg scheint die Einnahme der heftig umkämpften Stadt Soledar im Gebiet Donezk zu sein. Diese verkündete er als Erster. Erst später bestätigte dies auch das russische Verteidigungsministerium. Die Stadt sei am Abend des 12. Jänner in die Kontrolle der russischen Streitkräfte übergegangen, heißt es in einer Erklärung. Allerdings ohne die Wagner-Truppe zu erwähnen.

Prigoschin (links) kennt Putin seit vielen Jahren aus ihrer St. Petersburger Zeit. Später wurde er Caterer für den Präsidenten.
Foto: Reuters

Jewgeni Prigoschin beklagte sich daraufhin über Versuche, die Rolle seiner Kämpfer und ihre Leistungen zu schmälern. Das Verteidigungsministerium veröffentlichte später eine Aktualisierung, in der es das "mutige und selbstlose Handeln" der Wagner-Kämpfer pries. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bestreitet, dass es einen Konflikt zwischen dem Verteidigungsministerium und den Wagner-Leuten gegeben habe. Das sei eine Erfindung der Medien, so Peskow.

Weltweite Einsätze

Führender Kopf der Söldnertruppe ist neben Prigoschin Dmitri Utkin. Er bewundert den von den Nazis hochgeschätzten Komponisten Richard Wagner. Nach seiner Karriere im russischen Militärgeheimdienst GRU soll Utkin von 2014 an aus Veteranen von Spezialeinheiten eine schnelle Eingreiftruppe unter dem Kampfnamen Wagner gegründet haben. Es ist die wohl mächtigste Privatarmee der Welt, eingesetzt bereits an vielen Orten der Erde.

Zigtausende Wagner-Söldner sind in der Ukraine im Einsatz, darunter auch ehemalige Strafgefangene. In Russlands Straflagern ging Prigoschin ein und aus, um dort Verurteilte in den Krieg zu locken – mit dem Versprechen, sie bekämen nach Ende ihres Dienstes die Reststrafe erlassen. Prigoschin konnte eigenmächtig und ohne Rechtsgrundlage agieren. Der Kreml schaute zu.

Kontrollverlust Putins

Experten sehen Prigoschins wachsenden Einfluss nicht zuletzt als ein Anzeichen für einen Kontrollverlust Putins. "Es sieht jetzt so aus, als halte sich das Regime vor allem dank Prigoschin", meint der Politologe Abbas Galljamow. Bei der Präsidentenwahl in gut einem Jahr hätte Prigoschin allerdings keine Chancen, so der Politologe. Die Angst vor einem allmächtigen Prigoschin schweiße die Eliten Russlands zusammen. Galljamow ist überzeugt, dass sie einen Präsidenten Prigoschin zu verhindern wissen.

Prigoschin selbst dementiert politische Ambitionen. "Meine Aufgabe ist es, die Pflicht vor dem Heimatland zu erfüllen, und ich plane heute keine Parteien zu eröffnen, geschweige denn in die Politik zu gehen." Ein politisches Amt wäre ihm zu wenig, so sieht es der Politikwissenschafter Alexej Makarkin. "Keine öffentliche Position, nicht einmal die Position des Verteidigungsministers, deckt alle Interessen von Prigoschin ab."

Spannungen zwischen Prigoschin und Kreml

Wladimir Putin jedenfalls hat jetzt gegengesteuert. Erst im Oktober wurde der von Prigoschin hochgeschätzte Sergej Surowikin zum Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine ernannt. Nun setzte ihm Putin demonstrativ Generalstabschef Waleri Gerassimow vor die Nase. Und Surowikin wurde zum Stellvertreter degradiert.

Die Spannungen zwischen Prigoschin und dem Kreml, sie nehmen zu. Jüngst kritisierte er die russische Regierung, weil diese Youtube nicht blockiert habe. Und Mitarbeitern der Präsidialverwaltung Putins warf er Verrat vor. Diese täten so, als seien sie auf Putins Kurs, störten aber in Wahrheit den Kriegsverlauf und warteten auf ein rasches Ende, um sich bei einer Niederlage Russlands den USA anzudienen. (Jo Angerer aus Moskau, 27.1.2023)