Nach Angaben eines palästinensischen Rettungsdiensts war die Lage vor Ort am Vormittag weiter unübersichtlich.

Foto: REUTERS / ALI SAWAFTA

Jerusalem – Die Palästinensische Autonomiebehörde hat die Zusammenarbeit mit Israel in Sicherheitsfragen aufgekündigt. Als Grund nannte die Behörde am Donnerstag einseitige Schritte und Maßnahmen Israels im Westjordanland sowie den Tod von mindestens neun Palästinensern in der Stadt Jenin nach einem israelischen Militäreinsatz. Am Donnerstagabend heulten im Süden Israels die Sirenen, um die Bevölkerung vor Raketen aus dem Gazastreifen zu warnen.

Dort waren am Morgen bei einer israelischen Razzia auch mehrere Dutzend Menschen verletzt worden – einer der tödlichsten Militäreinsätze seit Jahren in dem palästinensischen Autonomiegebiet. Am Nachmittag wurde zudem ein 22-Jähriger bei Konfrontationen mit dem Militär erschossen.

Wichtig für Austausch von Informationen

Ähnliche Ankündigungen hatte die Autonomiebehörde schon bei früheren Gelegenheiten gemacht – sie wurden allerdings de facto nicht umgesetzt. Die Zusammenarbeit zwischen palästinensischen und israelischen Sicherheitskräften geht auf Friedensverhandlungen in den 1990er-Jahren zurück. Beide Seiten tauschen nachrichtendienstliche Informationen aus, um Terroranschläge zu verhindern oder größere Einsätze in den allein von der Palästinensischen Autonomiebehörde kontrollierten Zonen zu koordinieren. Zudem soll verhindert werden, dass militante Gruppen die Oberhand in dem Gebiet erlangen.

Zuletzt hatte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas die Zusammenarbeit im Mai 2020 angesichts von israelischen Annexionsplänen aufgekündigt. Hinter den Kulissen ging sie jedoch weiter. Israel hatte 1967 im Sechstagekrieg auch das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Verhandlungen über eine dauerhafte Friedensregelung liegen seit 2014 brach.

Tödlicher Militäreinsatz

Die Lage im Westjordanland bleibt damit angespannt. Bei einem israelischen Militäreinsatz in Jenin sind nach palästinensischen Angaben neun Menschen getötet worden. Rund 20 seien verletzt worden, vier davon schwer, wie das Gesundheitsministerium in Ramallah am Donnerstag mitteilte. Es war einer der tödlichsten Militäreinsätze seit Jahren im Westjordanland.

Das israelische Militär teilte mit, die Einsatzkräfte seien bei der versuchten Festnahme mehrerer Mitglieder der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Jihad unter Beschuss geraten. Drei der Verdächtigen seien bei einem Fluchtversuch erschossen worden, ein weiterer habe sich gestellt. Vier weitere seien festgenommen worden. Sie seien verdächtigt worden, einen Terroranschlag geplant zu haben. Berichte über weitere Tote würden geprüft, hieß es. Jenin gilt als eine Hochburg militanter Palästinenser. Immer wieder kommt es dort zu tödlichen Konfrontationen.

Palästinensische Extremistengruppen

Die palästinensischen Extremistengruppen Hamas und Islamischer Jihad sprachen von einem Kampf mit israelischen Soldaten. Ihre Mitglieder kämpften gegen israelische Soldaten, die in das Flüchtlingslager von Jenin eingedrungen seien, hieß es. An den Eingängen zu den engen Gassen des Lagers bewarfen einheimische Jugendliche Fahrzeuge der israelischen Armee mit Steinen. Zudem waren Schüsse und gelegentlich Explosionen zu hören. Ein Mitglied des Islamischen Jihad sagte, man habe sich an die Vermittler früherer Waffenstillstände mit Israel gewandt und davor gewarnt, dass die Gewalt in Jenin zu einer Eskalation in anderen Gebieten führen könne.

Israelische Medien berichteten unterdessen unter Berufung auf politische Kreise in Jerusalem, man müsse sich nach dem Einsatz auf eine mögliche Eskalation mit den Palästinensern einstellen. Im Westjordanland wurde am Donnerstag zu einem Generalstreik aufgerufen. Der Islamische Jihad ist besonders im Gazastreifen aktiv und verübt von dort aus regelmäßig Raketenangriffe auf Israel.

Im Westjordanland wurde am Donnerstag zu einem Generalstreik und Zusammenstößen mit israelischen Soldaten aufgerufen. Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Shtaje drückte den Familien der Opfer sein Beileid aus und rief die internationale Gemeinschaft auf, "dringend einzugreifen, um die palästinensische Bevölkerung zu schützen und das Blutvergießen an Kindern, Jugendlichen und Frauen zu beenden".

Razzien und tödliche Konfrontationen

Die Lage im Westjordanland ist schon seit langem angespannt. Seit einer Serie von Anschlägen im vergangenen Jahr unternimmt Israels Armee dort vermehrt Razzien. Dabei kommt es immer wieder zu tödlichen Konfrontationen. Jenin gilt als Hochburg militanter Palästinenser. In diesem Jahr sind bereits 29 Palästinenser in Zusammenhang mit Militäreinsätzen oder eigenen Anschlägen getötet worden, darunter fünf Jugendliche. Im vergangenen Jahr waren es 172 Palästinenser, so viele wie noch nie seit 2006.

Israel hat 1967 unter anderem das Westjordanland und Ostjerusalem erobert. Dort leben heute mehr als 600.000 israelische Siedler. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete für einen unabhängigen Staat Palästina mit dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems als Hauptstadt. (APA, red, 26.1.2023)