Im Gastblog analysiert der Historiker Oliver Jens Schmitt die serbische Politik im 14. und 15. Jahrhundert.

Die Schlacht auf dem Amselfeld am St. Veitstag (28. Juni) 1389 ist der Bezugspunkt der serbischen Erinnerungskultur. Damals stellte sich ein serbisch-bosnisches Heer den Osmanen unter Sultan Murad I. entgegen. Murad I. wurde von einem serbischen Kämpfer namens Miloš (K)Obilić getötet, der serbische Fürst Lazar Hrebeljanović geriet in Gefangenschaft und wurde hingerichtet. Die politischen Frontlinien verliefen klar, hier das christliche Heer von Fürst Lazar und dem bosnischen König Tvrtko I. Kotromanić, der selbst an der Schlacht nicht teilnahm, aber eine Siegesmeldung nach Florenz schickte; und dort die Osmanen, die seit 1354 weite Teile des östlichen Balkans erobert hatten. In der serbischen Erinnerungskultur wird das Gedächtnis des Kampfs gegen die "Türken" (damit sind Muslime gemeint, und weniger Türken im ethnischen Sinne) bis in die Gegenwart gepflegt. Schon die Zeitgenossen der Schlacht hatten die Heldentaten der christlichen Kämpfer im Lied besungen, Lazar wurde schon kurz nach der Schlacht von der orthodoxen Kirche als Glaubenszeuge verehrt.

In der Realpolitik aber sollten die serbischen Eliten nach 1389 den Osmanen bei der weiteren Unterwerfung des Balkans entscheidende Hilfestellung leisten. Und daran wird bis in die Gegenwart nur wenig erinnert. Dabei genügt ein Blick in Quellen und Geschichtsbücher, um festzustellen, dass an allen Schicksalsmomenten der osmanischen Geschichte von 1389 bis zum Untergang des serbischen Despotats (Fürstentums) im Jahre 1459 serbische Adlige zugunsten der Osmanen und gegen die christlichen Gegner der Osmanen eingriffen.

Niederlage der Kreuzfahrer

1395 stellte sich der orthodoxe Fürst der Walachei (heutiges Südrumänien) Mircea der Alte bei Rovine dem osmanischen Sultan Bayezid I. entgegen. Der osmanische Sieg wurde maßgeblich von serbischen Adligen erfochten, die als Vasallen im osmanischen Heer dienten, allen voran Marko Kraljević. In der serbischen Erinnerung ist er ein Held des Kampfes gegen die Osmanen, in der historischen Realität kämpfte und fiel er als Vasall an deren Seite.

Ein Jahr später, 1396, hatte der ungarische König Sigismund von Luxemburg ein großes Heer versammelt, in dem Adlige aus halb Europa vertreten waren, die mit einem Vorstoß in das Herz der osmanischen Herrschaft, im heutigen Bulgarien, die Osmanen aus dem Balkan vertreiben wollten. Bei Nikopol an der Donau kam es zur Schlacht, diese wurde entschieden durch das Eingreifen der serbischen Panzerreiter unter Stefan Lazarević, dem Sohn des sieben Jahr zuvor von den Osmanen geköpften Fürsten Lazar. Die christlichen Kreuzfahrer wurden niedergemacht, die reichsten Adligen kamen in Gefangenschaft, und viele französische Adelsfamilien wurden durch Lösegeldzahlungen an den Sultan in den Ruin getrieben. Für Jahrzehnte sollte es am Balkan keine westliche Intervention gegen die Osmanen mehr geben.

Sechs Jahre später, 1402, stand das Osmanische Reich am Abgrund: Der Mongolenherrscher Timur Lenk rückte mit einem gewaltigen Heer in Anatolien ein. Bei Ankara traf er auf den osmanischen Sultan Bayezid I. Dessen Heer löste sich auf, als türkisch-muslimische Vasallen des Sultans zu den Mongolen überliefen und osmanische Prinzen desertierten. Einzig Stefan Lazarević und seine schwer gepanzerten serbischen Reiter kämpften bis zum Schluss gegen die Mongolen.

Serbische Truppen im osmanischen Heer

Rund drei Jahrzehnte später, im Jahre 1430, stürmten die Osmanen die Stadt Thessalonike, neben Konstantinopel die wichtigste Stadt am Balkan. Entscheidend beteiligt waren serbische Soldaten unter Grgur Branković. Und als 1453 Sultan Mehmed II. Konstantinopel belagerte und schließlich am 29. Mai einnahm, befanden sich serbische Truppen im osmanischen Heer, und nicht etwa auf der Seite der orthodoxen Byzantiner.

Wie sind diese Fakten zu erklären? Nach 1389 wurden die überlebenden serbischen Adligen zu Vasallen der Osmanen, allen voran die sich befehdenden Dynastien der Lazarevići und der Brankovići. Schnell integrierten sie sich in die osmanische politische Welt. Dynastische Heiraten spielten eine zentrale Rolle. So heiratete Olivera Lazarević Sultan Bayezid I. und Mara Branković wurde zur Frau von Sultan Murad II. (1422 bis 1451). Mit diesen Damen kamen weitere Serben an den osmanischen Hof. Die osmanischen Chroniken beschreiben Olivera als femme fatale, die insbesondere den Genuss des Alkohols am osmanischen Hof eingeführt und so die guten alten Sitten der Sultane erschüttert habe. Mara Branković zog sich nach dem Tod ihres Mannes an einen Witwensitz im südlichen Makedonien zurück und spann jahrelang die Fäden einer osmanischen Geheimdiplomatie gen Westen, besonders nach Venedig.

Am osmanischen Hof entstand eine eigentliche serbische Elite, und bis weit in das 16. Jahrhundert war das Serbische dort weit verbreitet. Die enge Anlehnung an die Osmanen hatte mehrere Gründe: Sie sollte den enormen osmanischen Druck auf Serbien ausgleichen; sie sollte aber den serbischen Eliten auch Spielraum gegenüber den katholischen Nachbarn, allen voran Ungarn, schaffen. Serbien betrieb damals (wie auch heute) eine Schaukelpolitik zwischen West und Ost, und das hieß damals zwischen Ungarn und Venedig einerseits und dem osmanischen Reich andererseits. Wurden die Osmanen übermächtig, verstärkten die serbischen Eliten die Anlehnung an Ungarn, zu große ungarische Erfolge gegen die Osmanen ließen aber die serbischen Eliten wieder stärker nach Osten blicken.

Wechselnde Loyalitäten

Weder das katholische Ungarn noch das islamische osmanische Reich erschienen den serbischen Adligen erstrebenswert. Die Unterordnung unter die Osmanen garantierte keineswegs Stabilität: Der treue Vasall Stefan Lazarević schlug sich gegen Ende seines Lebens wieder ins ungarische Lager und war auch Lehensmann der ungarischen Krone, übrigens mit reichem Grundbesitz in Ungarn. Seine Loyalität hinderte den Sultan nicht daran, nach Stefans Tod große Teile Serbiens zu überrennen. Auch Stefans Nachfolger Georg Branković (1427 bis 1456) war trotz der Ehe Maras mit Sultan Murad II. vor osmanischen Angriffen nicht gefeit. 1439 musste er sogar vor den Osmanen fliehen, die Serbien in Besitz nahmen und erst nach einer ungarischen Intervention 1443/44 wieder weichen mussten.

Despot Georg aber zog es vor, sein Fürstentum aus den Händen des Sultans zurückzuerhalten und den weiteren ungarischen Vormarsch am Balkan zu sabotieren – und dies, obwohl der Sultan kurz zuvor seine beiden Brüder Grgur und Stefan hatte blenden lassen. Als Despot Georg 1456 starb, bildeten sich am serbischen Hof in Smederevo (östlich von Belgrad) zwei Fraktionen aus, eine, die Widerstand gegen die Osmanen empfahl, eine andere, die 1459 dem Sultan den Weg nach Serbien ebnete – an ihrer Spitze stand der Großwoiwode Michael Angelović. Sein Bruder war niemand geringerer als Mahmud Pascha Angelović, der Großwesir des Sultans. Nach der endgültigen Eroberung Serbiens zogen sich etliche adlige Herren und Damen an den Hof von Mara Branković zurück, wo sie serbisch-orthodoxe Kultur im Rahmen des osmanischen Reiches weiter pflegten.

Die Burg Novo brdo im Jahre 2014.
Foto: Oliver Schmitt

In Serbien selbst hingegen übernahmen neue osmanische Eliten die Macht. Es hatte also den serbischen Eliten nicht genützt, dass sie 1453 Minenarbeiter und Soldaten aus Novo brdo vor die Tore von Byzanz geschickt hatten. Novo brdo (im östlichen Kosovo) war im Mittelalter die größte Silbermine des Balkans, ein balkanisches Klondike mit deutschen Bergarbeitern, Kaufleuten aus Dubrovnik und katholischen Priester aus Albanien. 1455 eroberte der Sultan in Person diese so reiche Silberstadt. Und vier Jahre später endete die serbische Staatlichkeit.

Berichte von Zeitgenossen

Wie bewerteten die Zeitgenossen die serbische Vasallität gegenüber den Osmanen? Den orthodoxen Eliten Serbiens war schmerzhaft bewusst, dass ihre Truppenhilfe orthodoxen Glaubensgenossen in der Walachei und in Byzanz schwersten Schaden zufügte. "Sie kämpften mit den Türken, wider Willen zwar, aber es war nicht anders möglich", schrieb der Biograph des Despoten Lazarević, Konstantin der Philosoph. Dem Marko Kraljević, der 1395 gegen die orthodoxen Walachen kämpfte, legt er folgenden Worte in den Mund: "Ich bete zu Gott, dass er den Christen helfen möge, und ich will der erste Tote in dieser Schlacht sein". Konstantin der Philosoph brachte damit die offizielle Haltung des serbischen Hofes zum Ausdruck – die Adligen hätten keine Alternative gehabt, zu groß sei der osmanische Druck gewesen, doch hätten sie immerhin ihr christliches Gewissen bewahrt.

Der gleiche Autor erzählt auch, wie bei innerserbischen Thronkämpfen Stefan Lazarević 1402 auf dem Amselfeld auf seinen serbischen Rivalen Georg Branković stieß, der osmanische Hilfstruppen bei sich hatte. Diese hätten voll Schrecken gerufen "Seht, Lazars Sohn" und hätten dann die Flucht ergriffen – so hätte der Sohn – Stefan Lazarević- dreizehn Jahre nach dem 28. Juni 1389 den Vater Lazar gerächt, freilich nicht im Kampf gegen die Osmanen, sondern gegen ein serbisch-osmanisches Heer in einem innerserbischen dynastischen Krieg. Realpolitisch war es überdies so, dass Lazars Witwe – und Stefans Mutter – Milica an den osmanischen Hof reisen musste. Sie bat den Sultan um Hilfe, weil ihre beiden Söhne Stefan und Vuk um das Erbe stritten. Innerserbischer dynastischer Streit war eine wichtige Einfallspforte für die osmanischen Eroberer. Umgekehrt griffen serbische Adlige wiederholt in innerosmanische dynastische Kämpfe ein.

Antiwestliche Grundstimmung und religiöse Nähe

Die Welt der serbischen und osmanischen Eliten waren eng miteinander verflochten, und bei aller Konflikthaftigkeit kannten sich die Akteure; sie waren ja auch oft über die Religionsgrenze hinweg miteinander verwandt. Und gerade Stefan Lazarević war im großen osmanischen Thronstreit (1403 bis 1413) zeitweise ein Art Sultansmacher. In Zeiten der osmanischen Schwäche zeigten die serbischen Eliten keinerlei Interesse daran, mit Hilfe des katholischen Westens die Osmanen entscheidend zu schlagen. Vielmehr versuchten sie, in der osmanisch-balkanischen Gemengelage ihren eigenen Manövrierraum zu erweitern; die Osmanen, die kulturell eben viel balkanischer waren, als gemeinhin angenommen, standen den meisten serbischen Adligen mental deutlich näher als die katholischen Mächte Ungarn und Venedig. Der konfessionelle Gegensatz zwischen Katholiken und Orthodoxen war deutlich größer als der religiöse zwischen Orthodoxen und Muslimen; eine antiwestliche Grundstimmung einte die beiden Letzteren, und über Jahrhunderte nützten die Osmanen antiwestliche Ressentiments vieler orthodoxer Serben gegen die romkirchliche Welt aus, um ihre Macht am Balkan abzusichern.

Anders aber war es im Falle der Orthodoxen am Balkan. Georgios Sphrantzes, Ratgeber des letzten byzantinischen Kaisers Konstantin XI. und Augenzeuge des Untergangs von Byzanz, formulierte in seinem Exil auf Korfu die schärfste Anklage gegen die orthodoxen Serben: "Serbien hätte heimlich aus verschiedenen Gebieten Geld und auch Männer schicken können. Aber hat irgendjemand Geld gesehen? Tatsächlich haben sie Geld und viele Männer geschickt, und zwar dem Emir (gemeint ist Mehmed II.), der dabei war, die Stadt (Konstantinopel) zu belagern. Und die Türken frohlockten und sagten: Seht her, selbst die Serben sind gegen euch!". Voll Bitterkeit gedachte dieser Byzantiner der serbischen Rolle beim Fall der Kaiserstadt, bei der sein Herr Konstantin XI. kämpfend fiel. Orthodoxe Solidarität übten die serbischen Eliten also nicht.

Memoiren eines Janitscharen

Dass vielen Serben ihr Beitrag zum osmanischen Erfolg bewusst war, zeigen die Memoiren von Konstantin Mihailović. Er war 1455 bei der Eroberung seiner Heimatstadt Novo brdo gefangen genommen wurden und wurde Janitschar, also Soldat in der Eliteinfanterie der Osmanen. Es gelang ihm die Flucht nach Westen, wo er seine Memoiren aufzeichnete. Konstantin erzählt, die serbischen Hilfstruppen seien getäuscht worden, da der Sultan ihnen vorgegaukelt habe, sie würden in Anatolien eingesetzt. Zu spät hätten sie bemerkt, dass es gegen das orthodoxe Byzanz ging. Konstantin schrieb dies Jahrzehnte nach dem Ende von Byzanz auf. Er hält fest, "doch wäre es (Byzanz) auch ohne unsere Hilfe erobert worden". Unwissenheit, osmanischer Zwang, schließlich die geringe Bedeutung der serbischen Truppen führt er als Entschuldigung an. Die Byzantiner sahen das anders und nannten das serbische Verhalten beim Namen: Es war Verrat an der orthodoxen Sache, und die Osmanen nützten die serbische Truppenhilfe sogar noch für ihre Propaganda aus, um orthodoxen Byzantiner zu demoralisieren.

Serbische Adlige und Krieger haben also in entscheidenden Momenten gegen orthodoxe und katholische Staaten dem osmanischen Reich zum Durchbruch verholfen. Serben und Osmanen, zumindest ihre politischen Eliten, gehörten nicht getrennten, sondern verflochtenen Welten an. Doch hatten viele serbische Adlige auch als Vasallen und Grundbesitzer einen Fuß im ungarischen Lager, und auch in Ungarn mischten serbische Adlige sich in die Innenpolitik ein, ein Branković wäre fast auf den ungarischen Thron gelangt. Die serbischen Eliten lavierten zwischen West und Ost, suchten Vorteile und Gewinn in beiden Lagern. Letzten Endes verkalkulierten sie sich – sie hatten Ungarn geschwächt, und sie hatten am Sultanshof doch zu wenig Einfluss, um jemals die osmanische Politik zu bestimmen. Und als die Osmanen endgültig zuschlugen, erwies sich die jahrzehntelange Truppenhilfe als wertlos.

Serbien wurde zwischen West und Ost zerrieben, seine alten Eliten lebten als Pensionäre an Maras Adelssitz, oder sie wechselten vollends ins ungarische Lager und kämpften von dort aus, letztlich erfolglos, für die Rückgewinnung ihrer Heimat, in der sich längst eine neue osmanische Elite festgesetzt hatte. Der Versuch, zwischen den Großmächten zu bestehen und diese gegeneinander auszuspielen, war missglückt. Auch die reichen Einnahmen aus den Silberbergwerken halfen in einer Zeit bei dieser Schaukelpolitik nicht, als Serbien wesentlich wohlhabender war als heute. (Oliver Jens Schmitt, 30.1.2023)