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Rund eine Tonne Windelabfall pro Kind landet im Müll.
Foto: getty images

Alle, die ein Kind haben, wissen es wahrscheinlich: Schon ab dem ersten Tag entsteht durch Windeln ganz schön viel Müll. Wie viele es insgesamt sind, wurde wissenschaftlich zwar noch nicht erhoben, aber die Rechnung lässt sich leicht aufstellen. Fünfmal pro Tag muss ein Baby oder Kleinkind in etwa gewickelt werden. Das ergibt rund 5.000 Windeln, bis ein Kind nach durchschnittlich zweieinhalb bis drei Jahren sauber wird.

Windeln werden im Wesentlichen aus erdölhaltigen Materialien erzeugt. Sie müssen also mit dem Restmüll entsorgt und verbrannt werden. Laut Fachleuten entspricht der Müll, der je Kind durch Windeln entsteht, etwa einer Tonne. Im ersten Jahr seien es bereits 50 schwarze Restmülltonnen, wie der SWR in einem Beitrag verdeutlicht.

Dass das alles andere als ökologisch ist, liegt auf der Hand. Welche Lösungsansätze gibt es in der Windelmüllproblematik?

SWR Marktcheck

Lösungsansatz 1: Ökowindeln

Es gibt bereits mehrere Marken, die Windeln vertreiben, die angeblich besonders ökologisch sind. Ein Beispiel ist Eco by Naty. Die schwedische Firma wirbt damit, keine schädlichen Chemikalien zu verwenden und Windeln aus nachhaltigem Zellstoff und natürlichen, biologisch abbaubaren Materialien herzustellen. Die Windeln können sich mit diversen seriösen Zertifikaten schmücken, etwa OK-Biobased von TÜV Austria. Aber wie umweltfreundlich sind sie wirklich?

"Ökowindeln sind wahrscheinlich eine Spur besser als herkömmliche Windeln", sagt Daniela Einsiedler, Expertin für Abfallvermeidung bei der Umweltberatung. Doch auch, wenn Teile der Windel biologisch abbaubar sind: Kompostiert werden können die Ökowindeln derzeit dennoch nicht, weil sie noch nicht ganz ohne fossile Rohstoffe auskommen. Auch sie landen am Ende im Restmüll, "und die Müllmenge bleibt dieselbe", sagt Einsiedler. Es werde zwar daran gearbeitet, die Windeln zu 100 Prozent kompostierbar zu machen, heißt es von Eco by Naty. Aktuell sei man jedoch noch nicht so weit.

Wer sich dennoch für Ökowindeln entscheidet, könne auf die Zertifizierung "Blauer Engel" achten, sagt Einsiedler. Bei Einwegwindeln mit diesem Siegel stammt der Zellstoff zumindest aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Aber selbst wenn Ökowindeln "eine Spur nachhaltiger" seien: "Wir empfehlen in allen möglichen Bereichen Mehrwegprodukte, weil dadurch Abfall zu vermeiden ist."

Lösungsansatz 2: Recycling

Es gibt bereits erste Versuche, Windeln zu recyceln. Der Konzern Procter & Gamble (P&G), der die weltbekannten Pampers-Windeln herstellt, testete das Recycling in einer Anlage in Norditalien – die "Süddeutsche Zeitung" berichtete. In der Anlage werden die Windeln zunächst gereinigt, dann sterilisiert und anschließend in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt – von denen einzelne wiederverwendet werden können. Die saugstarke Zellulose werde etwa für Katzenstreu benutzt, Kunststoff für Wäscheklammern oder Schultische. Ende vergangenen Jahres ist das Projekt allerdings eingestellt worden, gibt P&G auf STANDARD-Anfrage bekannt. Es sei "nicht die gewünschte Qualität erzielt" worden, so der Konzern, der seit Jahren von Naturschützern unter Druck gesetzt wird, etwas gegen die wachsenden Mengen an Windelmüll zu unternehmen.

Ein Team an Forscherinnen und Forschern aus Graz beschäftigte sich ebenfalls mit dem Recycling von Windeln. Sie nutzten dabei Enzyme, die in der Lage sind, die Windelfasern zu trennen und zu recyceln. Zum Fortschritt des Projekts gibt es allerdings keine Neuigkeiten.

Pampers-Hersteller Procter & Gamble startete in Italien ein Projekt, bei dem man Windeln aus der Region recycelte. Es wurde jedoch Ende des Vorjahres eingestellt.
Foto: Reuters/Arnd Wiegmann

Für interessant hält Einsiedler jedoch eine Methode aus den Niederlanden: In einer Müllverbrennungsanlage in Weurt werden Windeln und Inkontinenzbinden mittels 250 Grad Celsius heißem Dampf zum Schmelzen gebracht. Während des Abkühlens entsteht eine Flüssigkeit, die Plastikgranulat enthält. Sie wird zu Biogas und Dünger umgewandelt und das Plastikgranulat weiter recycelt – und im Anschluss etwa zu Autoteilen oder Blumentöpfen verarbeitet. Ganz klar sei allerdings auch hier nicht, wie groß das Projekt bisher ausgeweitet werden konnte, sagt Einsiedler.

Bisher ist Recycling also noch nicht in großem Stil möglich. Für Einsiedler hat das Recycling zudem auch mehrere Haken. Zunächst sei es "relativ energie- und kostenintensiv". Außerdem könne relativ wenig aus einer Windel widerverwendet werden – im Gegensatz zu anderen Kunststoffprodukten.

Schwierig werden könnte schließlich auch die Sammlung, sagt Einsiedler: "Eigentlich müssten die Windeln separat gesammelt und abgeholt werden, was ein logistischer Aufwand ist." Christian Zafiu von der Universität für Bodenkultur gibt eine ähnliche Einschätzung. "In Städten sind die Menschen jetzt schon kaum bereit ihren Biomüll länger als einen Tag in der Wohnung zu behalten. Wie soll man das mit der geruchsstarken Babywindel vereinbaren?", gibt der Experte am Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft außerdem zu bedenken. Dazu komme, dass die Windeln nochmals in einzelne, oft parfümierte Kunststoffbeutel verpackt werden, bevor sie daheim in der Tonne landen.

Lösungsansatz 3: Stoffwindeln

Damit Stoffwindeln ökologischer sind als Wegwerfwindeln, sollten sie bei Temperaturen unter 60 Grad gewaschen werden. Ob das dann auch hygienisch ist, da sind Fachleute skeptisch.
Foto: Rosa Winkler-Hermaden

Umweltfreundlicher als Wegwerfwindeln ist der Expertin zufolge ein Mehrwegsystem, also Stoffwindeln zu verwenden. Das zeige schon eine Gegenüberstellung: Während man für ein Wickelkind rund 5.000 Einwegwindeln bräuchte, würden nur 20 Stoffwindeln benötigt. Wer seine Ökobilanz mittels Stoffwindeln verbessern möchte, sollte allerdings darauf achten, bei nicht zu heißen Temperaturen zu waschen, ökologisches Waschmittel zu verwenden und auf einen Wäschetrockner zu verzichten. Reinigt man sie ineffizient, also bei hohen Temperaturen über 60 Grad, und trocknet sie zusätzlich im Wäschetrockner, können sie in ihrer Ökobilanz schlechter abschneiden als Wegwerfwindeln. Das Um und Auf bei Stoffwindeln sei auch, "dass man sie möglichst lange verwendet, also für mehrere Kinder", sagt Einsiedler. Mittlerweile gebe es einen großen Markt für Secondhand-Windeln.

Zu bevorzugen seien Modelle, bei denen nur die Einlage gewaschen wird, die Überhose nicht. "Das braucht natürlich weniger Energie, als wenn die ganze Windel gewaschen wird", erklärt Einsiedler, die für ihre Tochter selbst Stoffwindeln im Einsatz hatte. Wer sich nicht sicher ist, ob er Stoffwindeln verwenden möchte, könne sie auch erst mieten – und ausprobieren, wie das funktioniert. Für den Kauf gibt es bereits Förderungen – die Stadt Wien vergibt beispielsweise "Windelgutscheine".

Wer keine Lust darauf hat, schmutzige Stoffwindeln zu waschen, der kann mittlerweile auch auf eigene Services zurückgreifen. In einigen Gegenden gibt es bereits Anbieter, die die vollen Windeln von zu Hause abholen, waschen und wieder zurückbringen.

Lösungsansatz 4: Windelfrei

Immer öfter kommt "windelfrei" zur Sprache, wenn es darum geht, Windelmüll zu reduzieren. Bei der windelfreien Erziehung halten Eltern ihr Baby oder Kleinkind über die Toilette, wenn sie merken, dass es muss. Ein Vorgang, der sich "Abhalten" nennt. Voraussetzung dafür ist, dass die Eltern die Mimik und Gestik ihres Kindes deuten können. Windelfrei-Coaches empfehlen zudem, Säuglinge zunächst zu bestimmten Zeiten wie nach dem Stillen oder nach dem Aufwachen übers Töpfchen zu halten.

Auch wenn manches Mal vielleicht trotzdem etwas in die Hose geht – einige Windeln ließen sich mit der Praktik sicherlich einsparen, sagt Daniela Einsiedler von der Umweltberatung. Mal abgesehen davon hält die Expertin den Begriff "windelfrei" für irreführend, denn Eltern könnten ihre Kinder auch "abhalten", wenn sie eine Windel tragen. Für Babys, die wirklich ganz ohne bleiben, gibt es jedoch mittlerweile sogar eigene Kleidung, die sich an den entscheidenden Stellen öffnen lässt

Dass ein windelfreies Aufwachsen funktioniert, bestätigen Kinderärztinnen und Kinderärzte. Ein möglicher Nachteil ist allerdings, dass es frischgebackene Eltern noch mehr unter Druck setzen könnte. Für viele ist das Abhalten wahrscheinlich auch schlichtweg nicht mit dem Alltag vereinbar. Selbst wenn die windelfreie Erziehung in früheren Generationen Normalität war: "Wir haben heute keine Zeit mehr, so mit den Kindern umzugehen. Das passt nicht in Doppelverdiener-Familien, wo die Kinder in Krippen gehen", sagt der deutsche Kinderarzt Burkhard Rodeck. (Lisa Breit, 7.2.2023)