Götz Spielmann hat knapp 15 Jahre nach seiner Oscar-Nominierung mit dem Film "Revanche" seinen ersten ORF-"Landkrimi" gedreht.

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Michael Steinocher und Sophie Resch* im ORF-"Landkrimi: Schutzengel".

*Erratum: Bei der Bildunterschrift unterlief uns ein Fehler: Die Frau im Bild ist nicht laut ORF-Fotoinfo Henrietta Rauth, sondern Sophie Resch.

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Fritz Karl ermittelt im Waldviertel. Nicole Heesters zählt zu den (nicht ganz) Verdächtigen.

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David Oberkogler (Maier), Oliver Rosskopf (Robert), Fritz Karl (Paul Werner), Michael Steinocher (Martin) im "Landkrimi: Schutzengel".

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Zehn Jahre hat Götz Spielmann Pause gemacht, jetzt kehrt der oscarnominierte Regisseur von Revanche mit einem Landkrimi zurück. Die Folge Schutzengel führt den Wiener Kommissar, gespielt von Fritz Karl, ins Waldviertel, wo er den Mord an einer Haushälterin aufklärt – zu sehen kommenden Dienstag um 20.15 Uhr im ORF. In weiteren Rollen spielen Michael Steinocher, Oliver Rosskopf, Nicole Heesters, Michael Rotschopf und Susi Stach. Schutzengel ist ein traditioneller Krimi – ein Mord ohne Motiv, dazu ein introvertierter Ermittler, verdächtig sind alle und keiner.

STANDARD: Ein traditioneller Krimi, tiefgründig und unauffällig wie das Waldviertel?

Spielmann: Ich würde leise widersprechen, dass es der übliche Krimi ist, weil er von der Erzählweise doch sehr anders ist als die Konvention. Aber ja, er ist aus der Gegend heraus geschrieben. Ich habe seit sieben Jahren ein Sommerhaus im Waldviertel und eine Zuneigung zu der Gegend und den Menschen. Vieles in der Geschichte habe ich beobachtet.

STANDARD: Doch hoffentlich keinen Mord?

Spielmann: Das nicht. Aber zum Beispiel, welches Risiko es bedeutet, einen riesigen Stall zu bauen, um den Hof zukunftsfähig zu machen. Das Thema des Bauernsterbens und auch dieses so andere Lebensbild, wo der Wunsch nach und das Leben für Familie zentral ist.

STANDARD: Der Kommissar – Fritz Karl – ist ein Mann, der seinen Job erledigt – und sonst nichts. War Ihnen wichtig, dass es einen makellosen Helden gibt, ohne persönliche Geschichte, wie es derzeit so beliebt ist?

Nüchtern betrachtet ist ein Kommissar aber keine dramatische Hauptfigur, sondern er macht einfach seinen Job. Er ist nicht persönlich verwickelt in die Schicksale rund um den Kriminalfall. Ich dachte, es ist interessant, das nicht zu verschleiern, sondern zu betonen.

Spielmann: Eine Geschichte erzählt sich einfacher, wenn die Hauptfigur einen Konflikt hat, der sie zum Handeln antreibt. Das ist fast schon ein dramaturgisches Klischee und der Grund, warum Ermittler gerne persönliche Betroffenheiten oder schwierige Vergangenheiten umgehängt bekommen, damit sie die Anforderung der dramatischen Hauptfigur irgendwie erfüllen. Nüchtern betrachtet ist ein Kommissar aber keine dramatische Hauptfigur, sondern er macht einfach seinen Job. Er ist nicht persönlich verwickelt in die Schicksale rund um den Kriminalfall. Ich dachte, es ist interessant, das nicht zu verschleiern, sondern zu betonen. Deshalb ist mein Kommissar eher ein Beobachter des emotionalen Geschehens, beinahe eine Art Erzähler.

STANDARD: Dazwischen wird ausgiebig Nietzsche zitiert. Warum das?

Spielmann: Was denken Sie, warum?

STANDARD: Um den Figuren eine Bedeutung zu geben, den Fall in eine Richtung zu treiben und damit die Zuschauerinnen und Zuschauer etwas über Nietzsche erfahren?

Spielmann: Das kommt dem ziemlich nahe. Was meine Filme ausmacht, hoffe ich, ist Empathie mit meinen Figuren, nämlich für alle, auch mit den "Bösen". Mein Blick auf Menschen ist zuerst ein empathischer, kein kritischer. Deshalb habe ich mir schwergetan, die Figur des kalten, zynischen Mörders zu verstehen. Ich habe mich gefragt, aus welchem Denken so eine Kälte, so ein Zynismus kommen könnte. Ein Aspekt in Nietzsches Philosophie, der "Übermensch", der auch in der Vergangenheit häufig fehlinterpretiert wurde, hat mir dabei geholfen, die Figur schreiben, erfinden zu können. Und ja, zugegeben, es hat mir auch Spaß gemacht, in einem Krimi um 20.15 Uhr auch solche Fragen aufzuwerfen. Ich habe Vertrauen in die Zuschauer und glaube nicht, dass sie davon überfordert sind.

STANDARD: Welche Überlegungen hatten Sie zu den Frauenfiguren? In Ihrem Film zählen Sie eher nicht zu den handlungsleitenden Figuren.

Spielmann: Ja, aber es sind dennoch wichtige und vielschichtige Figuren. Das Grundthema aber, das mich hier interessiert hat, war "Männer und ihr Wunsch nach Familie". Deshalb sind hier die Hauptfiguren Männer. Und?

STANDARD: Geschlechterrollen im Krimi sind oft festgeschrieben: Männer spielen oft aktive Rollen, sie klären auf, ermitteln – und sie morden. Frauen bleiben eher passiv – in Schutzengel sind sie entweder tot, verschwunden, schauen zu oder kümmern sich um Haus und Kind.

Frauen interessieren sich als Kriminalbeamte mehr für andere Bereiche. Ich habe das im Vorfeld bei der Recherche erfahren.

Spielmann: Das stimmt doch überhaupt nicht für Krimis im Allgemeinen. Es gibt doch unzählige Kommissarinnen in der Fernsehlandschaft. Im Gegensatz zur Realität übrigens: In den Mordkommissionen in Österreich und Deutschland findet man fast keine Frauen. Ein Grund scheint zu sein, dass das einer der familienunfreundlichsten Jobs in der Kriminalistik ist. Frauen interessieren sich als Kriminalbeamte mehr für andere Bereiche. Ich habe das im Vorfeld bei der Recherche erfahren.

STANDARD: Und deshalb sehen Sie Frauen für die Familie zuständig?

Spielmann: Ich sehe das nicht so. Ich stelle nur fest, dass es vielen, natürlich nicht allen, Frauen wichtig ist, in ihrem Leben einen relevanten Teil den Kindern zu widmen. Das halte ich übrigens nicht für blöd. Es gibt ein interessantes Buch: Fünf Dinge, die Sterbende bereuen. "Ich habe zu wenig Karriere gemacht" gehört nicht dazu. Zeit mit Kindern zu haben, sie zu begleiten, ist wertvoll und sinnvoll. Die Entscheidung, das als eine Priorität zu sehen, kann ich nachvollziehen. Und diese Priorität führt eben zu Berufsentscheidungen. Das ist mit ein Grund, warum im öffentlichen Dienst so viele Frauen Karriere machen, weil es sichere und familienfreundliche Berufe sind. Frauen verdienen da im Schnitt bereits mehr als Männer, ein "Gender-Pay-Gap" sozusagen. Berufe hingegen, die stark von Konkurrenz, von Risiko, von Überstunden, hohem persönlichen Einsatz und so weiter geprägt sind, sind im Schnitt stärker von Männern angestrebt. An sich kleine Unterschiede in den Prioritäten von Frauen und Männern haben dann in Summe eine große gesellschaftliche Auswirkung.

STANDARD: Das neue Filmanreizmodell sieht einen Bonus für mehr Frauen im Film vor. Wie stehen Sie dazu?

Spielmann: Ich bin radikal und hundertprozentig für Gleichberechtigung und Chancengleichheit. In dem Sinn handle ich seit 40 Jahren. Ich halte aber Quoten für falsch, weil sie eine Gleichheit im Ergebnis herstellen wollen, ohne zu beachten, wie die Voraussetzungen sind. Wenn in Summe weniger Frauen Filme machen wollen als Männer – und das ist noch immer so –, dann ist es keine Gleichstellung, wenn diese beiden Gruppen, nach Geschlecht getrennt, jeweils 50 Prozent des Geldes kriegen müssen.

Dass jemand aufgrund des Geschlechts komisch oder sexistisch behandelt wird, kommt bei mir nicht vor. Ich muss deshalb nichts ändern, weder strukturell noch im persönlichen Umgang miteinander.

STANDARD: Der Fall Teichtmeister sorgt aktuell für Aufregung in und außerhalb der Filmbranche. Gefordert wird eine Veränderung der Strukturen. Kann das für die Zukunft helfen?

Spielmann: Großes Thema. Ich kenne nur meine Sets, nur mein Filmemachen. Und das ist wenig hierarchisch, respektvoll, freundlich. Dass jemand aufgrund des Geschlechts komisch oder sexistisch behandelt wird, kommt bei mir nicht vor. Ich muss deshalb nichts ändern, weder strukturell noch im persönlichen Umgang miteinander.

STANDARD: Neuerdings werden Intimitätskoordinatoren und Beraterinnen an Sets hinzugezogen. Wäre das vielleicht eine Option?

Spielmann: Ich wüsste nicht, was ein Intimitätskoordinator mir beibringen sollte. Ich weiß, wie man mit Intimität in der Arbeit umgeht. Ich bin Regisseur, das gehört zu meiner Kompetenz.

STANDARD: Ihnen vielleicht nicht, aber an anderen Sets oder Bühnen, um Missbrauch und Übergriffe zu verhindern.

Spielmann: Ich kenne nur meine Filmsets und weiß daher nicht, wie es allgemein zugeht. Deshalb kann ich dazu eigentlich nichts sagen. Aber ein Fall wie Teichtmeister hat damit ja nicht wirklich zu tun. Sexuelle Erregung in Verbindung mit Kindern kann ich nicht im Geringsten nachvollziehen, das stößt mich ab. Ich betrachte es als Krankheit. Ein sehr kleiner Teil der Menschen hat diese Krankheit, und die geht nicht weg durch irgendwelche Maßnahmen beim Filmemachen. Das ist keine Verharmlosung, Kindesmissbrauch schockiert mich, das geht einfach nicht. Was ja auch gesellschaftlich Konsens ist. Egal wie der Prozess ausgeht, über Florian Teichtmeister ist jetzt schon die soziale Todesstrafe verhängt.

STANDARD: Folgt nach dem Landkrimi die Stadtkomödie – oder anders gefragt: Wann folgt der nächste Spielmann-Film?

Spielmann: Ich habe große Lust auf weitere Arbeit. Mal sehen. (Doris Priesching, 28.1.2023)